VISION 20006/2015
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Lasst uns frohen Mutes aufbrechen!

Artikel drucken Auch wenn die Zeichen auf Sturm stehen: (Christof Gaspari)

Krisengeschüttelte Zeiten wie unsere bieten die Chance, sich mit den tieferliegenden Wurzeln der Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen und dadurch zu wesentlichen Fragen des Lebens, die im Alltag zu kurz kommen, vorzustoßen. Der folgende Beitrag ist  ein Versuch in diese Richtung.

Es sind beeindruckende Zahlen: Von Anfang September bis Mitte Oktober reisten heuer allein nach Deutschland 410.000 Asylwerber ein. Das entspricht der Bevölkerung von Augsburg und Regensburg zusammengenommen – in eineinhalb Monaten wohlgemerkt. Verständlich, dass bei vielen die Alarmglocken schrillen trotz der beruhigenden „Wir-machen-das“-Parolen der Politik und der einwanderungsfreundlichen Berichterstattung der meisten großen Medien. Schon die Unterbringung all dieser Zuwanderer bereitet Probleme. Aber noch schwieriger wird es sein, diese Menschen zu integrieren, Menschen, die zum Großteil weder Deutsch noch Englisch sprechen, oft weder lesen noch schreiben können, die aus einer anderen Kultur kommen, daher andere Lebensgewohnheiten haben, die sich religiös im Islam beheimatet fühlen, die nicht gewohnt sind, in einem hoch technisierten Umfeld zu agieren.
Umfragen zeigen: die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist besorgt. In Österreich waren es im Oktober 80% und in Deutschland plädierten zwei Drittel der Befragten für eine Volksbefragung in Sachen Flüchtlinge. Ernste Sorgen über den Fortbestand unseres Gesellschaftssystems machen sich also breit. Das Thema ist in aller Munde. Wir werden uns plötzlich bewusst, wie labil unser scheinbar abgesichertes Leben im Wohlstand ist und wie kurzsichtig, hilf- und orientierungslos die politische Elite handelt.
Orientierungslosigkeit – das ist das Stichwort. Sie wird noch deutlicher in einem politischen Akt, der noch schwerer wiegt als das Versagen in der Einwanderungspolitik. Beinahe unbemerkt fiel da eine schwerwiegende Entscheidung: Der deutsche Bundestag hat am 6. November beschlossen, die Beihilfe zum Selbstmord, insofern sie nicht berufsmäßig erfolgt, straffrei zu stellen. Wieder ist ein Tabu gefallen, ein Wall des Lebensschutzes geschliffen worden. Denn durch dieses Gesetz wird die Mitwirkung an der Tötung eines Menschen vom Staat gebilligt.
Wieder einmal wurde mit der barmherzigen Hilfestellung in extremen Notfällen argumentiert. Aber spätestens seit der Straffreistellung der Abtreibung wissen wir: Sobald eine Bresche in den Lebensschutz geschlagen wird, brechen die Dämme und das Töten wird zur Routine. Man muss nur nach Holland schauen, wo Euthanasie zum Alltagsgeschäft gehört.
Und es steht zu befürchten, dass wir uns mit dem Töten der hilflosen Alten, der unheilbar Kranken, der Schwerstbehinderten ebenso anfreunden werden wie bereits mit dem massenweisen Umbringen der Ungeborenen, das seit Jahrzehnten in unseren Ländern praktiziert wird und sogar als Menschenrecht etabliert werden soll.
Schlimm, nicht wahr? Eigentlich zum Verzweifeln. Aber lassen wir es etwas auf uns wirken…
Warum? Weil es notwendig ist, die Realität nüchtern zur Kenntnis zu nehmen. Wir leben in einer existenziell bedrohten Gesellschaft, die in vielen Aspekten noch sehr attraktiv scheint. Darum flüchten ja so viele Menschen zu uns.
Aber der Schein trügt. Unsere heutige Situation erinnert in vieler Hinsicht an die des untergehenden Römischen Reiches. Über dessen Situation im ausgehenden 4. Jahrhundert berichtet Aurelius Marcellinus in „Res gestae“: Es bestand kaum mehr eine Verteidigungsbereitschaft zu einer Zeit, da der Wohlstand Roms die Völker rundum anzog. Denn im Reich wimmelte es von Reichen, Neureichen, Gebildeten, Zynikern und skeptischen Genießern. Das Geistige war nicht gefragt.
Auf den Straßen häuften sich die Überfälle, die Kriminalität nahm zu. Besonders auffallend: die Degeneration des Theaters, wo jede Art von Sexualität und Brutalität dargestellt wurde. Staatsführung und Verwaltung waren geprägt von Intrigen, Machtkämpfen, Korruption. Überstürzte Reformen der Gesetze verstärkten die ohnedies große Unsicherheit. Es fehlte ein gemeinsames Wertesystem. Astrologie und Wahrsagerei beherrschten den Alltag.
Erinnert an heutige Zustände, nicht wahr? Gesellschaftliche Systeme degenerieren eben, wenn sie sich von ihren Wurzeln lösen. Und genau das geschieht in Europa längst schon im großen Stil. Unsere hochkomplexe, technisch perfektionierte, demokratische Gesellschaft funktioniert nur, wenn sie von einem Menschentyp getragen ist, den nur die christliche Kultur hervorbringen konnte. Sie wird zugrunde gehen, wenn sie sich von diesem Ursprung abnabelt. Das muss man realistisch sehen.
Hören wir, was Papst Benedikt XVI. anlässlich seiner Reise nach Frankreich in einem Vortrag im „Collège des Bernardins“ diesbezüglich klargestellt hat: „Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und damit ein Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das, was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, Ihm zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur.“
Mit dieser nüchternen Feststellung erinnert uns der Papst an eine Wahrheit, die wir aus dem Evangelium kennen: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Nichts, einfach gar nichts, was Bestand haben kann. Das hat unsere Zeit aus den Augen verloren. Sie lebt von den Restbeständen einer christlichen Kultur, die sie systematisch demoliert. Und auch wir Christen lassen uns allzu leicht in Sicherheit wiegen, weil es bisher immer noch funktioniert. Nur sind mittlerweile die sich mehrenden Krisen wie ein Wetterleuchten am Horizont: Wir stehen auf schwankendem Boden.
Ich sage das nicht leichtfertig und will damit keineswegs Angst und Panik verbreiten, sondern ich erfahre diese vielen Krisen – Griechenland, Euro, Finanzmärkte, Kriege, Terror, Christenverfolgung, Millionen auf der Flucht, zig Millionen Abtreibungen und, und, und – als Appell zum Aufbruch, zum persönlichen Aufbruch, mich auf die Suche nach Gott zu machen und meine Bereitschaft zu stärken, Ihm zuzuhören, wie Papst Benedikt festgestellt hat, um nach Seinen Plänen handeln zu lernen. Denn ohne Jesus Christus können wir „nichts vollbringen“.
Das ist der entscheidende Aufbruch, den der Herr von uns Christen erwartet. Das ist der rettende Beitrag, den wir zur Bewältigung der vielen Krisen in unseren Tagen leisten können und leisten müssen, indem wir uns von Gott erfüllen lassen. Brechen wir also wieder auf, begnügen wir uns nicht damit, dass wir uns ohnedies mehr bemühen als viele andere, uns an die Gebote halten, sonntags zum Gottesdienst kommen! Gott hat mit jedem von uns viel mehr vor. Sagt der Herr nicht selbst: „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen…“ (Joh 14,12)
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, stolz auf eine neue Erkenntnis zu sein. Keineswegs, denn Aufbrüche, wie sie heute so dringend erforderlich wären, finden ja an vielen Orten schon – zum Teil seit langem (siehe dazu auch die Zeugnisse in diesem Schwerpunkt) – statt.
Allein, was meine Frau und ich in den letzten Jahrzehnten erleben durften, ist Grund zu großer Freude und Hoffnung. Da waren die vielen Menschen, die bei Cursillos Jesus Christus neu entdeckt haben, oder jene, die sich im Verlauf von Kursen der Charismatischen Erneuerung für das Wirken des Heiligen Geistes geöffnet haben. Oder die Impulse, die vom 12. Internationalen Familienkongress (bei dem VISION 2000 das Licht der Welt erblickte) ausgegangen sind: Allein am ersten Tag nahmen 5.200 Personen teil an dieser Veranstaltung, die Vielen Mut zu einer christlichen Familie gemacht hat.
Wer erleben will, welche Wunder Jesus heute wirkt, sollte einmal eine Niederlassung der von Mutter Elvira (siehe S. 20-21) gegründeten Gemeinschaft Cenacolo besuchen: strahlende Gesichter junger Leute, die in der Gosse gelandet waren und zu einem frohen Leben mit Jesus Christus gefunden haben.
Zu Umkehr und einem neuen Aufbruch entschließen sich auch viele, viele Tausende, ja Zehntausende, wenn sie nach Medjugorje kommen, die Intensität des Gebetslebens, den Andrang zur Beichte und die Sorgfalt bei der Feier der Liturgie sehen.
Aus nächster Nähe erlebten wir auch den Aufbruch von Radio Maria, jenes Radio, das weltweit die größte Expansion zu verzeichnen hat (siehe auch Interview S. 8-9). Wir ahnen kaum, welchen Halt das gemeinsame Gebet der Hörer während der vielen Gebetszeiten im Radio unserer schwankenden Welt gibt, wie viele Menschen sich neu für Jesus durch die vom Radio ausgestrahlten Sendungen entschieden haben. Es mangelt da jedenfalls nicht an Zeugnissen von Lkw-Fahrern oder ans Krankenbett gefesselten Personen.
Ich belasse es bei diesen Beispielen. Es gäbe noch vieles zu erzählen. Was ich damit zeigen wollte: Gott ist wie seit jeher machtvoll am Werk. Und es ist in unserer so bedrohten Welt wirklich dringend, dass wir uns für dieses Wirken öffnen – und zwar konkret, heute, damit die Welt neue Hoffnung schöpfen kann.


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