VISION 20006/2015
« zum Inhalt Schwerpunkt

Freunde Jesu werden

Artikel drucken Worum es bei der Neuevangelisierung geht (Von Weihbischof Andreas Laun)

Neuevangellisierung: Dieses von Papst Johannes Paul II. geprägte Wort begleitet uns seit Jahren. Wozu aber ruft es uns Christen auf? Zu einem Aufbruch, zur Er­neuerung und Vertiefung unserer Freundschaft zu Jesus Christus, ruft Bischof Laun in Erinnerung  

Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ Diesen Satz seines Vorgängers Benedikt XVI. in dessen Enzyklika Deus caritas est hat Papst Franziskus in seinem Schreiben Evangelii gaudium zitiert und gesagt, er werde „nicht müde“ ihn zu wiederholen, weil wir nur durch eine glückliche Freundschaft mit Gott erlöst werden!
Auch  in der Einleitung zum ersten Band seines Buches Jesus von Nazareth schreibt Papst Benedikt XVI. in demselben Sinn: Die „innere Freundschaft mit Jesus ist es, auf die doch alles ankommt“. Den möglichen Einwand, dass wir Menschen Jesus doch gar nicht wirklich kennen, beantwortet er Seiten später in einer Schlüsselstelle seines Werkes: „Die große Frage, die uns durch das ganze Buch begleiten wird, lautet: Was hat Jesus eigentlich gebracht, wenn er nicht den Weltfrieden, nicht den Wohlstand für alle, nicht die bessere Welt gebracht hat? Was hat er gebracht?“ Und der Papst antwortet ganz einfach: „Gott, Er hat Gott gebracht, den wahren Gott hat er zu den Völkern der Erde gebracht!“
Da wären wir also angekommen: Wir Menschen brauchen die persönliche Freundschaft mit Gott, und diese ist möglich, weil Gott zu uns gekommen ist! Diese Freundschaft beginnt mit einer Begegnung und zwar einer Got­tesbegegnung! Für die Kirche und ihre Mission und Evangelisierung bedeutet das: Ihre Aufgabe ist es, Gottesbegegnungen zu ermöglichen, sie herbeizuführen! Und wie soll das nun gehen?
Zuerst einmal mit dem Ruf: „Verhärtet nicht euer Herz, hört auf die Stimme des Herrn!“ Und wie geht das, wie kann man die Verhärtung auflösen? Wohl nicht mit nur moralischen Bemühungen, sondern durch den zweiten  Teil des Satzes: „Hört auf die Stimme des Herrn!“
Gut, aber wo und wie hört man diese Stimme des Herrn? Eine erste Antwort lautet: Dein Gewissen redet, hör auf seine Stimme. Ein zweite, anders formulierte Antwort lautet: Lausch auf dein Herz und vertrau der Diagnose des Psalms (63,2ff) über den Grund deines Unglücklichseins: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen.“  
Und jetzt mache Dich auf diesen Weg, um Seine „Macht und Herrlichkeit“ zu sehen! Ja, wo sieht man sie denn? Antwort: Jesus ist diese Macht und Herrlichkeit! Auf die Bitte seines Apostels Philippus (Joh 14,8f.): „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns!“, antwortete Jesus: „Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater?“ Also, wer die Sehnsucht spürt, möge sich aufmachen, Jesus und eine Begegnung mit Ihm suchen!
Auch jede Evangelisierung besteht darin: Wie Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus führen! So ist die notwendige Begegnung in greifbare Nähe gerückt, und aus der ersten Begegnung kann die große Liebe deines Lebens entstehen. Sie ist dann der Beginn einer Liebesgeschichte und endet, eigentlich wie jede wirklich große Liebe, in einem nie endenden Zusammengehören!  
Kann man Gott wirklich in einer „persönlichen Freundschaft lieben“? Der Evangelist Johannes (1 Joh 4,16) sagt eindeutig: Ja, das ist möglich und er begründet es offenbar mit seiner Erfahrung und der der anderen Apostel: „Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt!“ Und seither ist diese „Erkenntnis“ der Liebe tausendfach von vielen, vielen Christen bestätigt worden, die uns ihre glühenden Liebeserklärungen an Gott hinterlassen haben, oft mit ihrem Blut geschrieben und bezeugt!
Bleibt die Frage: Und wo kann ich Gott „begegnen“, wie und wo kann ich, mit aller gebotenen Vorsicht, versuchen, mich auf diese Freundschaft einzulassen und sie zu leben?
Die erste beruhigende Antwort lautet: Keine Angst, es wird Gott selbst sein, der anfängt! Es liegt nur an dir, „Ausschau zu halten“ nach Ihm, nach Seiner „Macht und Seiner Herrlichkeit“! Wo und wie? Hab Geduld und vertraue Ihm, Er hat viele, viele Wege zu Dir! Oft kommt Er ganz unerwartet in dein Leben: Durch ein Erlebnis, durch einen anderen Menschen, vielleicht sogar durch eine Gefahr hindurch oder gar durch etwas, was du und deine Umgebung für ein Unglück haltet, sich dann aber als großes Glück herausstellt!
Hierher passt die Erinnerung an meinen eigenen Vater: Als er schon lange auf dem Weg war, aber sich noch immer nicht entschließen konnte, katholisch zu werden, erlitt er einen schweren Unfall an einer Maschine, die ihm außer dem Daumen die vier Finger der linken Hand abriss. Und er erzählte: „Als ich in der Maschine hing und meinen Arm hielt, um nicht diesen auch noch zu verlieren, fiel die Entscheidung: Ich werde katholisch!“ Als er mir später davon erzählte, zeigte er mir gerne seine verstümmelte Hand und sagte: „Das ist meine Glückshand, durch diesen Unfall wurde ich katholisch!“ An seine Konversion dachte er immer mit tiefer Dankbarkeit und sagte nicht nur einmal: „Du weißt, wie sehr ich Deine Mutter liebe, aber meine erste Liebe gilt der heiligen Kirche Jesu Christi!“
Andere Beispiele? In Hülle und Fülle im Leben vieler Christen, besonders gut dokumentiert im Leben von Leuten, die die Kirche „Heilige“ nennt. Eine so kluge Frau wie Edith Stein kam zum Glauben und zur bedingungslosen Liebe zu Christus durch das Buch einer anderen großen Frau, nämlich der hl. Teresa von Avila. Romano Guardini, ein großer Theologe unserer Zeit, hat gesagt: „In den Heiligen erstrahlt die Freiheit und Herrlichkeit Gottes!“ Also sind sie ideal für eine, die große Freundschaft begründende, Gottesbegegnung. Und wie schaut diese Freundschaft aus? Edith Stein antwortet: „Es muss so sein, dass man sich ohne jede menschliche Sicherung ganz in Gottes Hände legt. Umso tiefer und schöner ist dann die Geborgenheit.“
Was die Erkenntnis des hl. Johannes betrifft, wie sehr Gott den Menschen liebt, gibt es kaum ein gewaltigeres Zeugnis als das, was Katharina von Siena über diese Liebe geschrieben hat in einem Ton, den sich wohl nur sie leisten konnte: „Du, und dabei ist Gott gemeint, Narr der Liebe! Hast Du denn dein Geschöpf nötig? Also scheint es mir, denn du tust, als könntest du ohne es nicht leben und bist doch selbst das Leben, und ohne dich lebt nichts. Warum bloß bist du so vernarrt? Weil du in Liebe zu deinem Geschöpf erglühtest, darum ... bist du versessen auf sein Heil. Es entflieht dir, und Du machst dich auf die Suche nach ihm, es entfernt sich, Du aber näherst Dich ihm, und näher konntest Du ihm ja nicht kommen, als indem du dich mit seiner Menschheit bekleidetest!“
Das ist wirklich stark, ja umwerfend. Diese Worte verändern unser nicht selten zu bürgerliches, kleinliches Gottesbild! Keine andere Religion kennt auch nur annähernd eine solche Vorstellung von Gott, für keine ist eine persönliche Liebe zwischen Gott und Mensch denkbar! Aber jene, die in Jesus den Messias erkannt haben und beginnen, Seine Liebe zu begreifen, können sie unmöglich verschweigen!
Ich verrate Ihnen, lieber Leser: Wenn ich mit muslimischen oder sonst andersgläubigen Taxifahrern  unterwegs bin und es halbwegs passend erscheint, sage ich am Ende der Fahrt gerne. „Besser wäre es, Sie werden katholisch.“ Das sage ich, freundlich lachend, auch meinen guten evangelischen Freunden!
Nicht bei jedem Smalltalk lässt es sich einfügen, aber öfter als man glaubt! Wenn wir einmal vor Gott stehen und diese Geschichten aus ihrem Leben vorgelesen werden, kommt das „gut an“, glauben Sie mir!

© 1999-2025 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11