Die Heilsverheißungen der Neuzeit haben ihren Glanz verloren. Und die Zahl der Menschen, die das spüren, wächst. Eigentlich ein günstiger Zeitpunkt, die Botschaft Christi in die Welt zu tragen, meinen zwei engagierte Christen im folgenden Interview.
Thibaut Dary, warum haben sie diesen beinahe nach Ideologie klingenden Titel Manifest für ein engagiertes Christentum gewählt?
Thibaut Dary: Weil der Glaube an Jesus Christus nur engagiert gelebt werden kann. Wer in seinem Inneren von Christus erfasst worden ist, der begreift: Es geht darum, manchmal sogar radikal, sein Leben zu ändern. Und was das Wort Manifest anbelangt: Darin kommt das Bemühen der jungen Generation, oft auch „génération JMJ“ (Generation Weltjugendtage) genannt, zum Ausdruck, im Gefolge des Aufrufs von Johannes Paul II., den Glauben entschieden, ohne Komplexe zu leben sowie ohne Angst gegen den Strom zu schwimmen, wenn es nötig ist. (…) Heute ist es höchste Zeit, den Glauben mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen. Und als Christen zu leben – jetzt und ohne Abstriche.
Ihr Buch, so schreiben Sie, sei der Reflex einer Generation, der eine Schlüsselrolle in einem „historischen“ Moment zukommt und der die Pflicht auferlegt ist, den Glauben sichtbar zu machen.
Dary: Jede Generation hat ihrer Aufgabe in der Geschichte der Christenheit gerecht zu werden. Da nun die Jahrzehnte vor uns geprägt waren von einer Abkehr vom Christentum, liegt es dann nicht an uns, eine Neuevangelisierung einzuleiten? Wir sind ja mit dem Scheitern der ideologischen Heilsverheißungen konfrontiert. Der Materialismus strahlt keine Hoffnung aus und hat keine Antwort auf die grundlegenden Fragen. Unsere, aller Illusionen beraubte Gesellschaft ergeht sich in Konsum und Spaß. Nur die Kirche verfügt über eine wirklich stimmige Botschaft, um das Schicksal des Menschen zu erleuchten. Nützen wir doch den Umstand, dass es immer noch eine Mehrheit von Getauften gibt. Auf dieser Grundlage lässt sich aufbauen, bevor diese Basis ganz zerbröckelt. Wenn wir nichts tun, nehmen wir in Kauf, dass das Katholische bei uns bald zur Randerscheinung wird.
Gaston Piétri: Was man landläufig als Entchristlichung bezeichnet, ist tatsächlich die Heraufkunft einer Gesellschaft, in der die Botschaft Christi immer weniger ankommt. Zum Teil mag das sicher auf den mangelnden Mut zur Verkündigung zurückzuführen sein. Allerdings gab es auch beachtliche Veränderungen, die Kirche jedoch behielt einen Stil bei, der einer anderen Art von Gesellschaft entsprach. Ich denke da an den Lebensstil, die Zeiteinteilung (etwa das Wochenende), unausgesprochene Wertesysteme, Brüche in den Beziehungen der Generationen. Auf diesem Hintergrund spielt sich die Evangelisation mehr und mehr im Rahmen von pastoralen Angeboten ab, die man keineswegs als „klassisch“ bezeichnen würde. Die Weltjugendtage sind da ein typisches Beispiel…
Warum aber sollte gerade jetzt die Zeit gekommen sein, den Glauben sichtbar zu machen?
Dary: Wie sollen unsere Mitbürger Christus entdecken, wenn wir unseren Glauben verstecken? Wenn wir das tun, schreitet der Glaubensverlust weiter voran. Wer das Kostbarste, was er besitzt, geheim hält, obwohl es andere glücklich machen könnte, ist schlicht und einfach ein Egoist. (…) Was mich anbelangt, so gab es eine Zeit, da ließ ich mir meinen Glauben nicht am Arbeitsplatz anmerken. Aber das hat mir Unbehagen bereitet. Ich war zwischen dem Anruf, Zeugnis zu geben, und blanker Angst, mich zu exponieren und abgelehnt zu werden, hin- und hergerissen. Dank der Unterstützung von Freunden habe ich mit dem Versteckspiel aufgehört – und ich wurde zu meiner großen Überraschung innerlich ruhig, froh, dass die Leute von meinem Glauben wussten, dass ich sonntags in die Messe ging. Genau damit beginnt die Sichtbarkeit: mit der Bereitschaft, so gesehen zu werden, wie man eben ist. Das ist allerdings nur ein erster Schritt. Man muss darüber hinaus Ansätze mit prophetischem Charakter finden.
Piétri: Ich sehe das wie Thibaut, dass die großen Hoffnungen, die tollen Zukunftsperspektiven die Leute nicht mehr bewegen. Was mich heute aber besonders beeindruckt, ist die vorherrschende unfassbare Gleichgültigkeit. Mir laufen dauernd Menschen über den Weg, die gar nicht den Wunsch haben zu glauben, die sagen, sie hätten gar keinen Bedarf nach Glauben. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache, denke ich: Es geht vor allem darum, das Leben unserer Mitbürger zu teilen, an ihren Interessen und Sorgen Anteil zu nehmen. Dann kann es geschehen, dass eines Tages die Frage nach den letzten Dingen auftaucht, die grundlegende Frage nach der Bedeutung menschlicher Existenz. Die Gute Nachricht kann ich jedoch nur dann weitergeben, wenn vorher schon eine wirkliche Vertrautheit bestanden hat.
Ich möchte nicht mehr im Stil von „dem Mutigen gehört die Welt“, Fahne voraus, wie ich das früher gemacht habe nach dem Motto: „Wir werden die Welt für Jesus Christus erobern“, vorgehen. Das bringt uns, meiner Meinung nach, nicht ein Schritt voran bei der Evangelisierung unserer Zeitgenossen. Für unsere Zeit eignet sich eher die Haltung Christi, der sich in das Gespräch einmischt: „Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?“, fragt Er die zwei Jünger auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus.
Tatsächlich schreiben Sie, Gaston Piétri, ja dann auch in Ihrem Buch: „Es nützt nichts auf den Straßen laut ,Christus ist auferstanden!’ zu verkünden.“ Aber sind Sie, Thibaud Dary, nicht Teil einer neuen Generation, die meint, die Zeit einer direkten kerygmatischen Form der Evangelisation sei gekommen, eben wie zur Zeit der ersten Christen?
Dary: Tatsächlich meine ich, dass jene, die auf Straßen und im Sommer an Stränden das Evangelium verkünden, im Einklang mit dem sind, was die Kirche will. Man sollte ihren Mut – er gleicht jenem der Apostel – nicht karikieren. Sie begeben sich mit offenem Visier auf die Suche nach Seelen. „Die Welt für Christus gewinnen“: Wo gibt es da ein Problem? Natürlich ist es auch wichtig, das Leben mit denen, die uns umgeben, zu teilen. Ich bin aber überzeugt: Es gibt auch einen Punkt, an dem man sich trauen muss zu sagen: „Ich glaube, dass Jesus wirklich gelebt hat, dass er gestorben und wirklich auferstanden ist. Ich glaube, dass Er lebt und dass Er mich aus dem Tod rettet. Und auch dich rettet er aus deinem Tod.“ Das ist eine enorme Herausforderung für die Vernunft. Und es ist heute wie vor 2000 Jahren „eine Torheit und ein Ärgernis“. Dennoch muss dieses Wort verkündet werden. Wer sonst sollte es tun?
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Ihrer Ansicht nach besteht eine Voraussetzung für die Evangelisation: Man muss eine persönliche Begegnung mit Gott gehabt haben. Liegt darin nicht die erste große Herausforderung für die Kirche?
Dary: Das ist ein Geschenk. Ich würde mich aber nicht trauen zu behaupten, Gott geize damit. Ja, es ist eine Gnade, aber man muss sie erbitten. Wenn wir uns mit einer ideologischen Sicht des Christentums begnügen in der Meinung, es erzeuge die historisch beste Zivilisation für den Menschen, dann reduzieren wir es auf ein System – und dabei ist es doch ein Bund. Auch ich habe früher so gelebt , ausgestattet mit dem gesamten Waffenarsenal der katholischen Soziallehre: alles äußerlich, ohne das Feuer einer gelebten Liebesbeziehung zu Christus. Der Widersacher hält uns von dieser Begegnung ab. Er fürchtet, das Leben könnte dadurch völlig verändert, unsere Sünden aufgedeckt werden und dass Gott von uns Unmögliches verlangen könnte. Es ist ja so viel einfacher, ein Christentum auf Augenhöhe des Menschen zu leben, das man klar zu definieren und zu beherrschen vermag.
Wie kommt es, dass heute so viele – sogar unter praktizierenden Christen – nicht die Erfahrung einer persönlichen Beziehung zu Gott machen?
Dary: Ich würde das nicht so schwarzmalen. Zwar ist die Rede von 5% Praktizierenden, aber immer noch wollen 46% der Franzosen, dass ihre Kinder getauft werden und in die Kirche kommen! Da sind die Leute also nicht nur auf der Straße, sie klopfen an die Kirchentüre. Was wollen sie? Klar, sie kommen nicht, um Jesus Christus zu begegnen. Sollte uns das aber davon abhalten, ihnen den Glauben zu verkünden – und ebenso bei Hochzeiten und Begräbnissen? Man muss diese Gelegenheiten nützen, um wirklich den Glauben vorzustellen. Vor zehn Jahren haben uns die Bischöfe gesagt, man müsse von einer Pastoral des Empfangens zu einer des Anbietens gelangen. Nur: Wenn 46% der Franzosen für ihre Kinder die Taufe wollen, wie vielen von diesen wird eine religiöse Erziehung zuteil?
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Besteht nicht ein Problem darin, dass unsere Pfarren heute allzu oft keine wirklichen christlichen Gemeinschaften mehr sind? Man kann dort das Evangelium verkünden, aber die Leute haben nicht den Eindruck, in eine echte Familie aufgenommen zu sein. Kein Wunder, dass sich die Kirchen lehren.
Piétri: Heute gibt es immer mehr Gemeinschaften, die ich als „elektiv“ bezeichnen würde: das Neokatechumenat, Communione e Liberazione, die Focolari, die Gemeinschaft der Seligpreisungen, die Gemeinschaft Emmanuel, Chemin Neuf… Ich nenne sie „elektiv“, denn diese Gemeinschaften bestehen aus Leuten, die sich für einen bestimmten Stil christlichen Lebens entschieden haben. Da teilt man – trotz aller möglichen Unterschiede des Temperaments und der Herkunft – eine gewisse Anzahl von gemeinsamen Anliegen. In der Pfarre hingegen ist das anders. Sie umfasst ein Gebiet. Das heißt nicht, dass nicht auch da ansatzweise Gemeinschaft entstehen könnte. Aber aus einem Gebiet wird nicht gleich auch eine Gemeinschaft. Früher, in den Dörfern, gab es das schon. Aber heute, vor allem in großen Städten, ist es schwierig geworden. Die Leute, die am Sonntag zur Eucharistie-Feier kommen, knüpfen allerdings schon auch Beziehungen, die sie eine Gemeinschaft erfahren lassen. Das geschieht jedoch nur, wenn sie sich regelmäßig um die Eucharistie versammeln und den Wunsch hegen, diese Begegnung fortzusetzen. Die Pfarre kann Träger, eine Startrampe für Gemeinschaften sein. Mehr kann man von ihr nicht verlangen.
Dary: Die Priester geben durchaus zu, dass sie eher eine „Sonntagsversammlung“ vor sich haben als eine „Pfarrgemeinschaft“. Dennoch können unsere Pfarren echte Gemeinschaften werden. Nur wer soll Männer und Frauen jeden Alters und jeglicher Herkunft zusammenführen? Wieder einmal: Christus – Er allein! Von der Liebe für Christus getroffen, verbrannt, erobert zu sein – das muss die Kirche den Gläubigen in den Pfarren vermitteln. Es ist die Basis jeglicher christlicher Gemeinschaft. Was das betrifft, können die „elektiven“ Gemeinschaften den Pfarren viel weitergeben. Darüber hinaus war ich beeindruckt von dem, was Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Deus caritas est gesagt hat. Er verweist nach dem Vorbild der ersten christlichen Gemeinschaften besonders auf die Notwendigkeit gegenseitiger brüderlicher Unterstützung (bis hin zur finanziellen Solidarität). „Seht, wie sie einander lieben“, sagte man von ihnen. Das lässt sich auch heute leben. Aber haben wir dafür ausreichend viel Liebe? Damit in unseren Kirchen diese familiäre Dimension wiederentdeckt wird, muss uns die Dreieinigkeit zu Brüdern und Schwestern machen. In dieser Welt wird es auch durch Gottesbegegnung zur Ansteckung kommen, im Gefolge einer wahren unter uns gelebten Caritas
Thibaut Dary, ein junger Laie, Ende 30, gehört der „Generation Weltjugendtage“ an und ist Autor eines Manifests für ein engagiertes Christentum.
Gaston Piétri ist seit mehr als 45 Jahren Priester und Autor des Buches „Pourquoi je suis croyant“ (Warum ich gläubig bin). Mit ihnen führten Emmanuel Pellat und Luc Adrian ein Interview für Famille Chrétienne v. 16.2.08.