Vorehelich zusammenzuleben - ist das nicht der beste Weg, um den anderen nicht allzu verklärt zu sehen?
P. Denis Sonet: Nein. Auch da träumt man. Unbewußt sehnt man sich weiterhin danach, ein glückliches, wunderbares Paar zu werden, man träumt von der heilen Familie. Da man sie aber nicht verwirklicht, sagt man sich: "Mit ihm ist es nicht." Da man aber schon Bindungen eingegangen ist, verharrt man im Hin- und Herschwanken: "Eigentlich möchte ich ihn verlassen, weil er mich enttäuscht, aber ich bleib' trotzdem." Gleichzeitig lebt man in der Illusion: "In zwei Jahren wird's besser sein". Viele, die so zusammenleben, sagen mir: "Wir werden heiraten, dann wird's schon werden." Nur das nicht! Die Ehe ist keine Werkstatt: Sie repariert keine schlecht funktionierende Beziehung.
Dabei lebt das Paar doch so, als wäre es verheiratet?
P. Sonet: Ja, aber mit einem Notausgang. Irgendwo in ihrem Hirn bleibt die Idee, daß sie gehen können, wenn sie wollen. Das führt dazu, daß man nicht alles d'ransetzt, sich aneinander anzupassen. Aber: Es ist gerade der Wille zur Dauer, der das Leben als Paar ausmacht. Dieses "Wenn's nicht klappt, gehe ich", das unterbewußt vorhanden ist, wirkt zerstörerisch. Die Partnerschaft ist in ihrem Kern geschwächt. Auch, weil man dazu neigt, die Probleme zu verdrängen oder unter den Tisch zu kehren, statt sich ihnen zu stellen. Es gibt aber keine konfliktfreie Partnerschaft, keine Beziehung ohne Anpassung durch den Konflikt. Verschobene Konflikte werden nämlich zum Abszeß, das einmal platzt... und dann geht alles in Scherben!
Wie gerne hätte ich, daß man das voreheliche Zusammenleben ebenso genau psychologisch und soziologisch untersucht,wie man es mit der Ehe getan hat! Das wäre aufklärend. Es stimmt: Die Ehe hat ihre Grenzen. Man weiß das, seit es sie gibt. Aber das unverheiratete Zusammenleben ist oft unter der scheinbar idealen Oberfläche eine Falle, die enormen Schaden macht und viele Enttäuschungen hervorruft.
Voreheliche Beziehungen als Liebesfalle?
P. Sonet: Ja. Diese Art der Beziehung gibt zu viel und gleichzeitig zu wenig. Zu viel, weil sie zu intensive, zu rasche Bindungen erzeugt, aus denen man sich nicht ohne Bruch freimachen kann. Zu wenig, weil es dem Paar die königliche Gnade des Sakraments ebenso vorenthält wie die Kraft, die ein festes und endgültiges Engagement verleiht. Eine unumkehrbare Entscheidung erzeugt eine Dynamik der Anpassung. Verheiratete Paare brechen die Brücken hinter sich ab: Sie zwingen sich dazu voranzuschreiten! Andere Paare lassen sich einen Notausgang offen.
Ist die Probeehe nicht so etwas wie ein kleineres Übel, um Scheidungen zu verhindern?
P. Sonet: Auf den ersten Blick scheint diese Idee überzeugend. Man lebt zwei Jahre miteinander: Klappt es, so heiratet man; wenn nicht, geht man auseinander ohne Anwalt, ohne Probleme mit den Finanzen, ohne Wehwehchen. Toll! Tatsächlich ist das ein Schwindel. Wenn man zwei Jahre zusammenlebt, hat man weder die Kinder, die Arbeitslosigkeit, die Krankheit, das Alter "ausprobiert"... Wer wirklich einen Test machen will, muß alles, was stören kann, ausprobieren. Dazu braucht man ein ganzes Leben, also... heiratet man am Vorabend seines Todes!
Zweitens bin ich nicht, so wie ich wirklich bin, wenn ich getestet werde. Man testet einen Gegenstand, ein Auto, einen Computer, einen Druckkochtopf - weil ein Gegenstand nichts von der Testsituation weiß. Aber kann man eine Person ausprobieren? Und kann man sich mit einem Fragezeichen binden, sich halb verschenken? Wüßte ich, daß die Probe-Ehe Scheidungen verhindert - ich denke, dann wäre ich dafür! Aber es ist ja das Gegenteil: Es gibt viel mehr Scheidungen dort, wo man vorher in einer Probe-Ehe gelebt hat.
Viele Junge wählen die Probe-Ehe aus Angst, sich zu irren. Wie können Verlobte sicher sein, daß sie richtig gewählt haben?
P. Sonet: Da gibt es keine Garantie! ... "Wären die Frauen bei der Wahl ihrer Liebhaber ebenso anspruchsvoll wie bei der Auswahl ihrer Strümpfe, hätten sie weniger Probleme," sagte Marcelle Auclair! Aber diese schrecklich menschliche Seichtheit ist verständlich: Die aufblühende Liebe idealisiert. Man projiziert auf den anderen Eigenschaften, die er nicht hat - und wie mächtig sind Träume! Man kann einfach nicht auf die eigensüchtige Freude, geliebt zu werden, verzichten. Und man ist auch ungeduldig... Und dann gibt es die sexuelle Abhängigkeit, die zur Fessel werden kann, und das gemeinsame Leben, das den Schritt zurück verhindert, es gibt den sozialen Druck, der manchmal zur Heiratsmaschine werden kann für zwei Junge, die miteinander gehen...
Was sind aber Ihre Maßstäbe?
P. Sonet: Erstens die Anziehung. Im Westen ist es heute fast notwendig, daß zu Beginn auf der Gefühlsebene eine Anziehung besteht. Die kleinste Schwierigkeit in der späteren Ehe würde notgedrungen auf das Fehlen einer solchen Leidenschaft zurückgeführt werden.
Aber reicht das?
P. Sonet: Selbstverständlich nicht! "Ich liebe" darf nicht heißen "Ich heirate sofort." Sondern - ich lerne kennen. In der Erwählung gibt es einen rationalen Aspekt ("Er verdient, geliebt zu werden, er hat diese Eigenschaften...") und einen irrationalen ("er gefällt mir, ich weiß nicht warum"). Beides muß übereinstimmen. Oberflächliche Divergenzen sind in einer Ehe unvermeidlich - und nicht unbedingt tragisch. Aber es mag tiefreichende geben, die eine unbedingte Kontraindikation für die Ehe darstellen: Homosexualität, eine zu enge Elternbeziehung, eine schwere geistige Belastung... Achtung auch vor zu großen Charakterunterschieden - allen Paaren gelingt es nicht, über sie hinauszuwachsen - und vor Meinungsverschiedenheiten in wesentlichen Fragen, etwa bezüglich des Kinderwunsches.
Erfordert das Heiraten ein Minimum an Reife?
P. Sonet: Ein Maximum, ja! Es ist schwer zu sagen, was einen Erwachsenen ausmacht und wann man erwachsen wird. Es gibt aber zweifellos Merkmale des Erwachsenseins. Die Fähigkeit zur Autonomie beispielsweise: Das Paar, das in finanzieller Abhängigkeit von den Eltern lebt, kann autonom sein, wenn es seine Entscheidungen verantwortet, ohne seiner Familie Rechenschaft zu geben. Es ist fähig, Verantwortung zu übernehmen.
Auch die Fähigkeit, Einsamkeit zu ertragen. Letztere ist eine existentielle Wunde des Menschen und man wird mit ihr auch in der Partnerschaft zurechtkommen müssen. Um für das Eheleben tauglich zu sein, muß man vorher auch zölibatär leben können; bevor man sich bindet, muß man gelernt haben, allein zu leben.
Und dann: Ist man zur Hingabe-Liebe fähig oder nur zur Liebe des Verlangens? Kommt man mit seinen Regungen zurecht? Kann man über seinen Egoismus hinauswachsen, vom Traum zur Wirklichkeit durchdringen? Etwa nach dem Motto: "Früher sagte ich: Sie hat alle gute Eigenschaften. Heute sage ich: Sie hat diesen Fehler, aber ich liebe sie." Wer erwachsen ist, kommt mit der Unvollkommenheit zurecht. Er nimmt seine eigen Grenzen an und die des anderen. Er lebt mit dem Frust, der aus jeder Entscheidung auch hervorgeht. Sich für eine Frau zu entscheiden, heißt auf tausend andere zu verzichten. Und sobald die Wahl getroffen ist, heißt es zu ihr zu stehen.
Wann weiß man denn, daß man die Frau, den Mann für's Leben gefunden hat?
P. Sonet: Wenn man gegen die anderen immun ist! Ein Paar, das sich vor dem 20. Lebensjahr liebt, geht ein großes Risiko ein: rasch konzentriert man sich da ausschließlich auf ein Wesen - und es gibt keine Wahl mehr. Später begegnet man Menschen im Berufsleben und denkt sich: "Zu dumm! Für diesen wäre ich bestimmt gewesen!" Es braucht die Gelegenheit zu einer gewissen Auswahl. Den Verlobten sage ich: "Tanzt mit anderen, schaut, ob Ihr in den Armen von jemand anderen Gefühle entwickelt."
Die Zärtlichkeit während der Verlobung ist ein Spielen mit dem Feuer?
P. Sonet: Das stimmt. Die sexuelle Regung dringt leicht in die Bresche der Zärtlichkeit. Der Trieb ist stets zum Sprung bereit - unter der Maske der Freundschaft. Dennoch bin ich erstaunt zu sehen, wieviele Junge zärtlich zueinander sind, ohne sexuelle Beziehungen einzugehen. Wenn Verlobte einander wirklich lieben, wächst beim Burschen ein tiefer Respekt.
Es ist aber schwierig jahrelang als Paar keusch zu leben, wenn man kein Engel ist!
P. Sonet: Es ist sogar unmöglich! Vor kurzem kamen zwei Verlobte zu mir: "Wir können nicht mehr, wir werden sexuelle Beziehungen eingehen. - Warum heiratet Ihr nicht? - Weil meine Schwester in drei Monaten heiratet... Zwei Hochzeiten, das geht doch nicht!" Was ist denn das für ein Argument! Meine Antwort darauf: "Ihr strebt nach einem christlichen Ideal? Ihr glaubt, daß im Ehesakrament jede Liebesbezeugung gleichzeitig auch eine Liebesbezeugung Christi ist? Na dann heiratet!"
Genügt es nicht, ein christliches Ideal zu haben?
P. Sonet: Wenn wahre Zärtlichkeit, echte Kommunikation, echte Anziehung, emotionale Reife vorhanden sind, dann ist es ein Unsinn darauf zu warten, daß das Studium beendet ist. Man kann von 22jährigen Jugendlichen nicht verlangen bis 27 mit dem Heiraten zu warten. Seien wir Realisten! Da streite ich oft mit den Eltern. Sie drängen ihre Kinder, oft ohne es zu wissen, zu vorehelichen Beziehungen oder in eine Probeehe. "Aber sie hängen finanziell noch von uns ab," heißt es dann. "Na und? Gebt ihnen, was ihr ihnen auch ohne Ehe gegeben hättet - und sie werden sich durchwurschteln! Sie werden zwar wenig haben, aber dieser materielle Kampf und das einfache Leben werden ihre Liebe nur weiter steigern."
Denis Sonet ist Eheberater. Das Gespräch, ein Auszug aus Famille Chrétienne v. 20.5.99,
führte Luc Adrian.