VISION 20006/2015
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Die Erneuerung der Kirche

Artikel drucken Tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert (Christof Gaspari)

Schon lange habe ich kein Buch gelesen, mit dessen Aussagen ich mich über weite Strecken so identifizieren kann. George Weigel, Theologe und führender US-Publizist, stellt Gedanken über Die Erneuerung der Kirche an und plädiert für eine „tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert“. Seine Überlegungen bewegen sich jenseits der ausgetretenen Pfade, der üblichen Kampflinie zwischen „progressiv“ und „konservativ“.
Es gehe darum, sich von beiden Sichtweisen zu verabschieden, „der (typischerweise im progressiven Lager verbreiteten) Vorstellung, das Konzil habe mit der Vergangenheit gebrochen, und der (von den Traditionalisten bevorzugten) Vorstellung, das Konzil sei ein Zugeständnis an die Moderne und schon allein deshalb ein furchtbarer Fehler gewesen.“
Was also dann? Weigel bricht eine Lanze für einen „evangelikalen Katholizismus“. Das ist keine Anbiederung an die evangelikale Richtung im Protestantismus, sondern der Aufruf zu einer radikalen Umkehr, zu einem Dasein, das aus der Freundschaft mit Jesus Christus lebt. „Der evangelikale Katholizismus lädt die Menschen der Kirche, Laien wie Kleriker, zu einem Leben ein, in dem alles – unsere persönliche Identität, unsere Beziehungen, alles, was wir tun – um die Freundschaft mit Jesus kreist. (…) Aus ihr erwächst alles andere. Deshalb ist der evangelikale Katholizismus keine Lifestyle-Entscheidung, sondern ein lebensverändernder Prozess der lebenslangen Umkehr zur Wahrheit des Evangeliums.“
Der evangelikale Katholik liest täglich in der Schrift, empfängt häufig die Sakramente, insbesondere die Eucharistie und das Sakrament der Versöhnung – und er macht sich auf, seine Freude über sein Leben mit dem Dreifaltigen Gott mit anderen zu teilen: Er wird zum Missionar. „Der evangelikale Katholik – Laie, Priester, Bischof oder Ordensmitglied – betrachtet jeden Schauplatz seines (…) Lebens als Gelegenheit zur Evangelisierung.“ Der evangelikale Katholik deutelt nicht an der Wahrheit herum. Er ist dankbar für den Glaubensschatz, den die Kirche über die Jahrhunderte hinweg vertieft hat, und ist bemüht, anderen diesen Schatz in zeitgemäßer Form zu erschließen. Er strebt nach Heiligkeit, jener Eigenschaft, die „die Zwillingskriterien Wahrheit und Mission im evangelikalen Katholizismus zusammenführt.“
In acht Kapiteln führt Weigel dann aus, wie diese evangelikale Reform in verschiedenen Bereichen aussehen sollte: im Episkopat, bei Priestern und Laien, im geweihten Leben… Dieser Teil des Buches ist gespickt mit einer Fülle von Anregungen, interessanten Über­legungen, wertvollen Hinweisen. Schwer, sie zusammenfassend darzustellen. Daher nur ein paar Kostproben:
„Die Priesterweihe verändert einen Mann nicht nur im Hinblick auf das, was er tun kann, sondern im Hinblick auf das, was er ist. (…) Deshalb muss jeder katholische Priester – und das ist eine elementare Forderung – ein von Grund auf bekehrter Jünger des Herrn Jesus Christus sein.“ Dass sich daraus viele Folgerungen für die Priesterausbildung ergeben, leuchtet ein.
Zur Liturgie: „Es geht weniger um die Frage, ob der Priester die Messe ,mit dem Gesicht zum Volk’ oder ,mit dem Gesicht zum Altar’ zelebriert, als vielmehr um die Frage, welche Richtung beim liturgischen Gebet der Kirche, biblisch und theologisch betrachtet, korrekt ist – und zwar für jedermann. (…) Deshalb wird eine evangelikale katholische Liturgiereform die Wiedereinführung der klassischen christlichen Gebetsrichtung während der Eucharistiefeier ernsthaft in Erwägung ziehen. (…) Auch in Zukunft würden Priester und Gemeinde einander während des Wortgot­tesdienstes gegenüberstehen (…) In der Eucharistiefeier aber würde sich die gesamte Gemeinde ein­schließlich des Zelebranten dem Herrn zuwenden…“
Massives Plädoyer für eine erneuerte Ehevorbereitung: „Ehevorbereitungskurse, die idealerweise von Teams aus Priestern und verheirateten Paaren durchgeführt werden, werden sehr viel mehr Zeit auf die Bibel und den Katechismus als auf den Myers-Briggs-Typenindikator und andere diagnostische Spielereien verwenden (…) Das Paradigma der kirchlichen Ehevorbereitung sollte die Katechese sein – und keine Populärpsychologie.“
Über das Agieren im öffentlichen Raum: „Die Themen des Lebensschutzes haben unter allen Themen der sozialen Gerechtigkeit sogar oberste Priorität. (…) Der evangelikale Katholizismus verteidigt das Recht auf Leben von der Empfängnis bis zum Augenblick des natürlichen Todes, errichtet eine Kultur des Lebens und unterstützt den Entwurf einer gesetzlichen Architektur, die das menschliche Leben in allen Stadien und unter allen Umständen rechtlich schützt.“
Ich belasse es bei diesen wenigen Kostproben. Vielleicht haben sie Ihnen, liebe Leser, Lust gemacht, das Buch zur Hand zu nehmen. Ich kann es Ihnen guten Gewissens empfehlen.

Die Erneuerung der Kirche. Tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert. Von George Weigel. Media Maria. 414 Seiten. 25,70 Euro.

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