VISION 20001/2016
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Die Todsünde Europas: ein Humanismus ohne Gott

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Die größte Schwäche, die ich die Todsünde Europas nennen würde, ist die „schweigende Apostasie“, von der schon der heilige Johannes Paul II. gesprochen hatte. Oder der Wille, einen „Humanismus ohne Gott“ aufzubauen. Europa und die westlichen Gesellschaften im Allgemeinen haben sich von Gott entfernt, dies nicht mehr und nicht allein auf der Grundlage einer Ablehnung seiner Existenz, sondern auch in den äußersten Konsequenzen auf der Grundlage einer Gleichgültigkeit gegenüber dem religiösen Sinn.
So ist heute aus der für die Postmoderne typischen Behauptung, die mit der Revolution der Sitten der sechziger Jahre entsteht und nach der Gott nicht existiert, der Satz geworden: „Ob es ihn gibt oder nicht, zählt wenig: jeder ist frei zu glauben, was er will, solange er dies im Privaten tut“.
Das bedeutet die Negation von allem, zu leugnen, dass der Mensch die Wahrheit suchen kann (insofern dies unnütz wäre): da nämlich alles gleich ist, zählt nichts mehr. Doch dieser Relativismus ist viel schlimmer als der Nihilismus. Der Westen will daher heute leben, indem er die Möglichkeit ausschließt, auf das große „Warum“ des Lebens eine Antwort zu geben, er will leben, ohne einen Bezug auf das ganzheitliche Wohl und auf die Werte der Liebe und der Gerechtigkeit zu haben. 


Es war wieder Papst Benedikt XVI., der gesagt hat: „Erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist“ (24. April 2005). Deshalb ist der Westen, und nicht nur Europa, in Gefahr, weil er in diesem Prozess der Gottesvergessenheit das zerstört hat, was das Christentum an Höchstem und Schönstem gegeben hat: die Achtung des Lebens, der Würde des nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen.
Und da ist ein letzter und noch schlimmerer Aspekt: er besteht im oft gewaltsamen Anspruch des Westens, diese seine Dekadenz auch dorthin zu „exportieren“, was nicht „Westen“ ist. Aber ich frage: wenn das Leben nicht in der Wahrheit sein letztes Ziel hat, welchen Sinn hat es dann noch? 


Ich glaube, dass wir einen Neuanfang nur dann schaffen können, wenn wir Gott wieder in unser Leben eintreten lassen. Es muss uns gelingen, Gott wieder in den Mittelpunkt unseres Denkens zu stellen, in den Mittelpunkt unseres Handelns, in den Mittelpunkt unseres Lebens, an den einzigen Platz, den er einnehmen muss, damit unser Weg als Christen seinen Gravitationspunkt in diesem Felsen hat, der Gott ist, in dieser festen Gewiss­heit unseres christlichen Glaubens.
Ich mache einen Vorschlag: kehren wir wieder zum Gebet zurück, das die Weise ist, um mit Gott in einen Dialog zu treten: nur wenn wir unsere Beziehung mit Gott bessern, bessert er die Beziehungen unter den Menschen, ohne diese werden wir immer Kriege, Hass, Zerrissenheit haben. Wir müssen Gott Zeit geben.

Auszug aus einem Interview mit Armin Schwibach in kath.net v. 4.12.15

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