Ich bin 1967 als Kindergärtnerin ins Kloster St. Ursula in Brig im Oberwallis eingetreten. Und schon bald, ein halbes Jahr später, begann eine heimtückische Krankheit, mit der ich viel zu kämpfen hatte. Es begann mit Morbus Raynaud, einer Gefäßkrankheit... Dann wurde es bald einmal als Parkinsonsyndrom diagnostiziert. Es war immer etwas atypisch, eine extrapyramidale dystonische Erkrankung, die progressiv den ganzen Bewegungsapparat befiel bis zu totalen Invalidität: Krücken, Rollstuhl, Pflegefall...
Wenn ich in dieser Zeit nicht das Gefühl von Hineingenommensein in das große Heilsgeschehen gehabt hätte, in das große Erlösungsopfer Christi, hätte ich es wohl nicht tragen können!
Auch das, auch die Krankheit war Zeit der Gnade. Ich habe immer gedacht, Kranksein ist vielleicht auch ein Privileg: Der liebe Gott mutet nur denen etwas zu, die es tragen können.
Ich spürte meine Kräfte zusammenbrechen, begegnete meiner eigenen Schwachheit, und hie und da war ich ihr fast nicht gewachsen. Es war echte Kreuzesnachfolge, harte Zeit und bis zuletzt Gnade des Nullpunkts. Von mir konnte ich eigentlich nichts mehr erwarten, aber von Gott alles.
Lange Jahre habe ich gekämpft, es waren 20 Jahre, von 1967 bis 1987. Ich lebte mit Medikamenten... Viele Physiotherapeuten haben an mir ihre Kraft verbraucht. Fast zehn Jahre ging ich mit Krücken, dann kam der Rollstuhl, und dann war ich ein hilfloser Pflegefall im Kloster...
Ich war nicht immer einfach als Patientin. Die aggressiven Phasen, die Frau Kübler-Ross in ihren Büchern beschreibt, die habe ich alle durchgemacht, immer im Kampf ums Überleben. Der Zustand verschlechterte sich täglich: Ende Mai hatte ich noch 36 Kilo, schlaff und spastisch gelähmt, dazu Muskelkrämpfe. Ich lebte von Madopar zu Madopar. Madopar ist ein Parkinsonmedikament. Das ersetzt das Dopamin, das bei Parkinsonpatienten zu wenig produziert wird...
Am 5. August 1987 brachte man mich hilflos im Rollstuhl zu einer Kontrolle ins Inselspital Bern. Ich sah auch fast nichts mehr. Die Leute waren alle nur so bleistiftgroß... Ich stellte dem Professor die Frage: "Soll ich zum Augenarzt gehen?" Der Professor schaute mich verblüfft an, und seine Reaktion war eindeutig: "Für was denn... Wenn Sie jetzt noch hoffen, ist das nicht mehr normal! Ich muß es beim Namen nennen." Und ich sagte dann nur: "Herr Professor, muß ich denn das alles gelassen hinnehmen?" Und der Professor: "Gelassen ist die Frage. Aber hinnehmen müssen Sie es!"
Am 13. Oktober waren die Dopaminreserven auf null. Und ich wußte von den Büchern: Dopamin-Koma, Dopamin null heißt Tod des Parkinsonpatienten. Es war Abendmesse in der Klosterkapelle: Der ganze Tonus der Muskeln brach zusammen, schichtenweise in mich hinein wie Papier. Die Spastizität wechselte dann in totale Schlaffheit, in totale Lähmung.
Das war ein unbeschreiblicher Zustand. Der Körper war wie tot. Ich spürte ihn eigentlich nicht mehr, ich lebte wie im Kopf allein, war aber geistig voll da. Dann gab man mir die Krankensalbung.
... Ende Oktober 1987 kam dann die Nacht des Umschwungs. Ich hatte keine 30 Kilo mehr, war eigentlich in Todesangst, in Agonie. Ich möchte betonen, daß in der Zeit meiner Krankheit viele Schwestern und liebe Menschen, vor allem meine Angehörigen, mit mir auch den Himmel bestürmt haben und mich auch im Durchhalten bestärkt haben...
Die Agonie ist nicht einfach. Ich hatte Angst, Todesangst, fürchtete den Durchgang, nicht so sehr, was nachher kommt, aber den Durchgang. Ich erwartete den Tod, aber ich gab trotzdem die Hoffnung nie auf, ich hoffte wider alle Hoffnung, obwohl der Professor sagte: "Wenn Sie jetzt noch hoffen, ist das nicht mehr normal."
Ich habe einfach den Himmel eingesetzt, ich gab nicht auf. ... Und dann habe ich der Muttergottes gesagt: "Von Dir sagt man, Du seist die größte Fürbitterin der Welt, so zeige es ihr doch. Sag es Du dem Dreifaltigen Gott, auf Dich hört Er besser!"
Und ich hatte dann ein Abkommen mit Gott. "Für Dich ist das keine große Sache, Du kannst mir das Leben verlängern. Du mußt das nur denken und dann bin ich wieder ganz. Ich möchte mich noch einsetzen für Dich. Die Zeit, die Du mir dann schenkst, die gehört dann nicht mir, die gehört dann Dir." Und darum bin ich etwa hier.
... Meine Gebete waren keine großen Geistesflüge, wie Edith Stein sagt, ich habe gestürmt wie die Kinder bei Vater und Mutter. Dann habe ich gesagt: "Vater, ich glaube, daß Dein Wort wahr ist. Für mich stimmt die Bibel, das ist nicht ein leeres Wort. Du hast gesagt, wenn man Dich im Namen Jesu bittet, dann werde die Freude vollkommen sein. Ich bitte Dich jetzt im Namen Jesu."
Dann, in diesem Gespräch mit Gott, in diesem Beten drinnen, in diesem Stürmen drinnen haben mich auf einmal wie zwei Hände gepackt, ganz massiv geschüttelt und mich einfach so wie hingeworfen. Aber das war so massiv, daß ich gedacht habe, das ist jetzt der Durchgang, Sterben, Tod. Jetzt sehe ich dann Gott so, wie Er ist!
Dann muß ich in einen tiefen Schlaf gefallen sein, denn es war Morgen, als ich erwachte. Und alles war anders. Ich merkte auf einmal, daß ich meine Hände bewegen konnte. Ich war ja total gelähmt... Ich weiß nicht, wie oft ich so gemacht habe und mich so gepackt habe. Ich wußte nicht, ist das jetzt der Zustand nach dem Tod, bin ich tot, bin ich schon in einem anderen Zustand?
Auf einmal habe ich gemerkt, nein, ich bin ja da im Kloster in meinem elektrischen Bett. Und dann konnte ich die Decke selber wegtun und schauen, ob ich noch Füße habe, weil ich vorher vom Körper nichts mehr gespürt habe... Dann habe ich gemerkt, daß ich neue Zehennägel habe, das hat mich am meisten verblüfft, und ich habe immer nur gesagt: "Lieber Gott, ich habe ja neue Zehennägel wie ein Baby." Und alles war regeneriert, die ganze Muskulatur. Ich konnte sitzen...
Ich probierte neben dem Bett zu stehen. Das konnte ich, und zwar ohne Gleichgewichtsstörungen. Und dann habe ich gedacht, dann muß ja das Gehen auch funktionieren. Und ging ohne jegliche Hilfe zum Fenster und wieder zurück. Und dann habe ich fast laut geschrien: "Lieber Gott, es geht ja ohne Stöcke und ohne Rollstuhl!" Der Körper war ganz, aber mit der Psyche kam ich noch ein paar Wochen nicht mit. Angst, Furcht und Schrecken waren viel größer als die Freude...
Man fuhr mich zu ersten Kontrolle ins Inselspital. Der Professor hat alle Reflexe geprüft, ohne Worte, hat mich so angeschaut und gesagt: "Alles hundertprozentig völlig normal, Sie können es glauben oder nicht. Haben Sie den ganzen Himmel eingesetzt?" Ich habe nur gesagt: "Herr Professor, der Himmel war dabei, das ist klar!"...
Die Kontrollen wurden noch drei Jahre lang durchgeführt... Nach drei Jahren wurde ich glockengesund entlassen. Der Professor hat gesagt: "Ich muß es beim Namen nennen: Sie haben uns die Wissenschaft ganz gründlich über den Haufen geworfen." Dann habe ich gesagt "Das war nicht ich, das war der liebe Gott!" "Vergessen Sie nie zu danken, menschlich gesehen wären Sie nicht mehr!"
Stark gekürzte Fassung des Zeugnisses von Sr Pirmin bei der Maria Namen-Feier des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs in der Wr. Stadthalle. 12.9.98