Im Anschluss an einen Vortrag, den Fabrice Hadjadj letzten Februar in Rom gehalten hat – Thema: die Attentate in Paris –, sprachen ihn zwei Personen an: der Präsident der jüdischen Kultusgemeinde und der Vizepräsident der islamischen Religionsgemeinschaft.
Mit dem ersten habe ich für den folgenden Tag ein gemeinsames Mittagessen am Sabbat vereinbart; mit dem zweiten habe ich mich gleich auf ein Gespräch – um nicht zu sagen eine Kontroverse – eingelassen.
Nach dem Austausch von zwei, drei Höflichkeitsfloskeln bin ich so höflich und einfühlsam wie möglich gleich ins Fettnäpfchen getreten: „Der Unterschied zwischen mir und Ihnen besteht darin, dass Sie den Koran für gottgegeben ansehen, während ich sicher bin, dass dies nicht der Fall ist. Denn das Wort Gottes ist Jesus Christus, das Wort, das Jude geworden ist. Und meine Aufgabe besteht darin, Sie davon zu überzeugen…“
Ich ahne schon, wie Proteste laut werden: Wie kann man so arrogant daherreden? Besteht der Dialog nicht darin, dass man den anderen zuerst anhört, um den Reichtum seiner Kultur kennenzulernen – und dann erst, nach mehreren Begegnungen, mehreren Pfefferminztees in der großen Pariser Moschee, dann…?
Es ergab sich allerdings, dass mein muslimischer Gesprächspartner sich weitaus weniger über meine direkte Rede erregt hat, als unsere Kommunikationsexperten – stets bereit für andere zu denken – vorausgesagt hätten. Im Gegenteil, ein Lächeln huschte über sein Gesicht: „Sie haben recht,“ sagte er, „der Relativismus ist kein guter Einstieg in einen Dialog.“
Im Grunde genommen hatte er diesen männlichen Zugang erwartet und nicht eine Liebedienerei, das taktische Herumreden, das Augenzwinkern einer geistigen Unterwürfigkeit, die sich gern als Toleranz tarnt. Der wahre Respekt dem anderen gegenüber besteht darin, dass man ihn einer Konfrontation für würdig hält und für ausreichend intelligent, wirklich nach der Wahrheit suchen zu wollen. „Ja, man soll nicht relativieren,“ setzte er fort, „aber auch nicht in Extremismus verfallen.“
„Man soll kein Extremist sein,“ stimmte ich zu, „wohl aber radikal…“ (Sein Lächeln wurde breiter) „Was mich betrifft, so hoffe ich radikaler als die Djihadisten zu sein. Und meine Radikalität besteht in der Überzeugung, dass der Gott, den ich verkünde, der Ursprung Ihrer Existenz ist. Ja, Er ist das Innerste Ihres Herzens und Sie wären imstande Ihn zu hören, wenn wir nur alle die üblichen Schlagworte ausblendeten. Christus sagt es ja ganz klar: ,Wenn ich erhöht bin von der Erde, werde ich alle an mich ziehen…’ Alle Menschen, also auch Sie. Wahrscheinlich Sie sogar eher als mich… Haben Sie Lust mit mir über das Geheimnis der Verkündigung bei einem Capuccino zu plaudern…“
Man sollte sich gut an das erinnern, was der Ewige dem Propheten Jeremia verkündet hat: „Du aber, gürte dich, tritt vor sie hin, und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage. Erschrick nicht vor ihnen, sonst setze ich dich vor ihren Augen in Schrecken.“ (Jer 1,17) Wir müssen gegen diese Art von Islamophobie kämpfen – jene, die sich vor den Muslimen so fürchtet, dass sie sich verpflichtet fühlt, ihnen den Hof zu machen und die sich in der Unterwürfigkeit gefällt.
Es gilt vielmehr eine gewisse Muslimophilie zu entwickeln, ich meine damit ein Liebe zu den Muslimen, die sich nicht davor scheut, das Evangelium zu verkünden und sie brüderlich zu ermahnen. Klarerweise setzt das unsere eigene Umkehr zum Evangelium voraus. Im Grunde genommen stellt sich die Frage: Sind wir überhaupt noch wirklich Christen? Oder ist die Liebe erkaltet?
Wir feiern heuer den 500. Geburtstag der heiligen Teresa von Avila. Man kennt die Anekdote aus ihrer Kindheit: Mit sieben Jahren verschleppt sie eines Tages ihren älteren Bruder, damit sie beide im Kampf gegen die Mauren als Glaubenszeugen sterben – bis ihnen ein Onkel über den Weg läuft und sie an den Ohren ziehend heimbringt. Meiner Meinung nach ist das eine schöne Geschichte. Unsere Jugend erwartet von uns einen radikalen Aufbruch, der konkret Heldenmut erweckt. Wenn wir ihnen das nicht bieten, ist eines sicher: Sofern sie sich nicht mit Vergnügungen betäuben, werden sie anfällig für Extremismen, seien sie nun pro- oder anti-islamisch.
Der Autor ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Der Vortrag, auf den er sich bezieht ist im Internet unter „Les djihadistes, le 11 janvier et l’Europa du vide“ zu finden.
Famille Chrétienne v. 4.6.15