VISION 20002/2016
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Geheilt durch Seine Wunden

Artikel drucken Was uns das Grabtuch von Turin über das Leiden und Sterben Christi erkennen lässt (Von Gertrud Wally)

Wer regelmäßig die Liturgie der Karwoche mitfeiert, hat die Lei­densgeschichte Christi schon x-mal gehört. Besteht da nicht die Gefahr, sie routiniert zur Kennt­nis zu nehmen? Welch schreckliche Tortur der Herr über sich ergehen lassen musste, zeigt die wissenschaftliche Untersuchung des Turiner Grabtuchs

Seit den Anfängen des Christentums versuchen gläubige Christen, sich in das Erlöserleiden unseres Herrn Jesus Christus zu vertiefen und darüber nachzudenken. Aber erst die im 20. Jahrhundert begonnenen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Grabtuch von Turin und seiner Komplementär­reliquie, dem Schweißtuch von Oviedo, ermöglichen einen zusehends objektiven Zugang zum physischen und psychischen Leiden des Herrn, der widerstandslos unsagbar bestialische Folterungen über sich ergehen ließ, um „uns aus der Knechtschaft der Sünde zu erlösen…“
Es gab im 20. Jahrhundert sogar Freiwillige, die die Kreuzigung (bis zu einem gewissen Zeitpunkt) an sich nachvollziehen ließen… freilich, ohne die wissenschaftlichen Daten zu erbringen, die auf dem Grabtuch von Turin ersichtlich sind. Der Grund ist einfach der, dass alle Kreuzigungsversuche die Evangelien außer Acht ließen und daher die Agonie am Ölberg total ignorierten. Aber gerade die Todesangst Christi ist der Schlüssel zum überraschend schnellen Todeseintritt, der auch Pontius Pilatus in Erstaunen versetzte .
Heute vertreten die Ärzte die Ansicht, dass die hohe physische und psychische Stresssituation am Ölberg einen Spasmus der Koronargefäße, eine Thrombose und schließlich einen Myokardinfarkt hervorgerufen haben, der freilich erst nach etlichen Stunden einen tödlichen Ausgang nahm. Denn laut einiger Mystikerinnen, wie Marguerite Marie Alacoque, Sr. Faustina Kowalska u.a. sah Christus, der Gottmensch, in diesen qualvollen Ölbergstunden nicht nur sein persönliches Leiden voraus, sondern vor allem, was mit der Kirche, seinem mystischen Leib, geschehen würde; Er sah alle Spaltungen und Profanierungen voraus. All das musste Ihm – im wahrsten Sinne des Wortes nach einem bitteren Ringen um den Willen des Vaters – das Herz brechen.
Im Hause des Kaiphas wurde Jesus das erste Mal schwer miss­handelt: Schläge, Stockhiebe ins Gesicht und auf den Kopf, ein stellenweise ausgerissener Bart, vielleicht auch eine jüdische Geißelung mit Ruten und Ochsenriemen, deren Spuren auf den Unterschenkeln und Knöcheln ersichtlich sein sollen.
Pilatus zauderte bekanntlich, Jesus zum Tode zu verurteilen und wollte Ihn nach einer exemplarischen römischen Geißelung freilassen. Diese Geißelwunden, 159 verbotenerweise vorne auf Brust, Ober- und Unterschenkel und 213 auf Rücken, Lendengegend, Ober- und Unterschenkel wurden durch die römische „verknotete Geißel“ (flagrum taxillatum) verursacht, bei der paarweise angebrachte Bleikügelchen an drei an einem Stiel befestigten Lederriemen auf das wehrlose Opfer niederprasselten.
Aus Folterberichten der heutigen Zeit weiß man, dass bereits 100 Geißelhiebe zum Tod führen können. Manche Gerichtsmediziner sind der Ansicht, dass die römische Geißelung, die im Körper, vor allem in der Lunge, eine Schwächung wie 30 K.O.–Schläge hervorrufen würde, mit ausschlaggebend war, dass bei der postmortalen Herzöffnung durch einen Soldaten Blut und Wasser aus dem Brustkorb geflossen sind.
Die Dornenkrone scheint nur für Jesus von den nichtjüdischen Henkern erfunden worden zu sein. Denn nirgends sonst im ersten Jahrhundert vor der Zerstörung Jerusalems wird von der Dornenkrönung und Kreuzigung eines Königs der Juden berichtet. Auf dem Grabtuch von Turin sind über 51 blutige Einstiche auf der Kopfhaut des Opfers von den bis zu 3 cm langen Dornen des „Kreuzdorns“ (rhamnus spina Christi) und anderen wie des „Christusdorns“ (Paliurus spina Christi), des „Syrischen Christusdorns“ (Ziziphus spina Christi) oder der „Dornigen Distel“ (Gundelia Tournefortii) sichtbar.
Was aber Jesus durch das „Kreuztragen“ und die an­schließende schmachvolle Kreuzigung erdulden musste, wurde erst in letzter Zeit erforscht. Ob Christus das ganze Kreuz – wie es viele Mystiker geschaut haben – oder „nur“ das 45 kg schwere Patibulum (Querbalken) zum Hinrichtungsort schleppen musste, ist noch eine Streitfrage der Wissenschaftler. Da das ganze Kreuz aber ca. 130 kg gewogen hätte, scheint es eher unwahrscheinlich, dass ein geschwächter und geschundener Körper eine solche Last hätte tragen können.
Vielleicht schon beim ersten Sturz erlitt das Opfer ein schweres stumpfes Trauma im Nacken und am Schultergürtel. Das Grabtuch von Turin deutet auf schwere Verletzungen der Halswirbelsäule (C5 und C6) und ein verletztes, eingefallenes rechtes Auge (Enophthalmus) hin. Das gesamte Nervengeflecht des Gesichtes und der oberen Gliedmaßen scheint durch die Stürze beeinträchtigt worden zu sein.
Die rechte Hand scheint gelähmt (gestreckte Finger), die rechte Schulter ausgekegelt zu sein, was auch durch das Annageln am Kreuzesholz verursacht worden sein könnte. Die linke Hand, eine „Klauenhand, Krallenhand“, deutet ebenfalls auf eine Nervenwurzelschädigung der 8. Halsnervenwurzel hin bzw. auf eine Verletzung des „nervus ulnaris“ (Ellennerv). Durch diese Verletzungen steht das Grabtuch von Turin im Widerspruch zu den in der Kunstgeschichte oft dargestellten „Segenshänden“ des Gekreuzigten, mit gebeugtem Ring- und kleinem Finger und leicht ausgestrecktem Mittelfinger.
Schwere Stürze könnten ebenso eine Schädigung des ersten Brustwirbels und damit die qualvolle Atemnot verursacht haben, die auch im Schweißtuch von Oviedo nachgewiesen werden kann.
Auch das am Kreuz nach vorne geneigte und leicht nach rechts gewendete Haupt Jesu gibt Zeugnis von einer krampfartig versteiften Halsmuskulatur (Verhärtung des „musculus sternocleidomastoideus“, des großen „Kopfwenders“).
Manche Gerichtsmediziner sind der Meinung, dass nicht die Geißelung, sondern ein schwerer Sturz mit dem Kreuz eine Lungenverletzung und einen Hämothorax (Blutansammlung in der Brusthöhle) ausgelöst hätte. Aber dann hätte Jesus ja nicht mehr vernehmbar sprechen können, wäre zum Schluss bewusstlos gewesen, geschweige denn, dass er einen lauten Schrei hätte ausstoßen können.
Dass die über dem Unterleib gekreuzten Arme zu lang erscheinen, lässt vermuten, dass sie – durch die schweren Stürze oder durch das Hängen am Kreuz – überdehnt bzw. ausgekegelt waren. Denn trotz Leichenstarre und ohne Binden (!) verharren sie in gekreuzter Position. Sie würden normalerweise ohne Binden unweigerlich auseinanderfallen. Dazu kommt noch der Umstand, dass die rechte Hand durch die gekrümmten und steifen Finger der linken Hand wie festgehakt war.
Dass Jesus beim Herunterreißen seiner Kleider von seinem blutenden, geschundenen Körper vor Schmerz nicht ohnmächtig zusammengebrochen ist, sei ein Zeichen – laut Gerichtsmedizinern – dass „Er es so wollte…“
Durch die Annagelung der Hände durch den „Destot’schen Spalt“ im Handgelenk wurde sowohl der „nervus ulnaris“ (Ellennerv) als auch der „nervus medianus“ (Mittelarmnerv) geschädigt, was das Einklappen der Daumen zur Folge hatte. Sie sind daher am Grabtuch nicht sichtbar.
Bei der Annagelung der Füße wurde zuerst der rechte Fuß im Bereich des ersten und zweiten Mittelfußknochens mit einem vermutlich 10 cm langen Nagel auf den Stipes (Schaft des Kreuzes) geheftet. Eine zweite blutende Nagelwunde befindet sich zwischen Kahnbein und Würfelbein im Bereich der rechten Ferse. Es scheint, dass hier ein ca. 25 cm langer Nagel den linken Fuß im Bereich des Sprunggelenks über dem rechten fixiert und somit beide Füße durchbohrt hat. Aus der Lage der erstarrten Füße ist ersichtlich, dass es keine Fußstütze (Suppedaneum) gab. (Sonst wäre nicht die gesamte rechte Fußsohle auf dem lose über den Leichnam gelegten Grabtuch zu erkennen).
Alle durch Nägel verursachten Verwundungen haben jedoch keinen Knochen beschädigt, wie es auch im Evangelium nach Johannes zu lesen ist.
Jesu Agonie am Kreuz wurde abrupt durch einen lauten Schrei beendet. Dieser – lange Zeit von den Naturwissenschaftlern und Theologen ignorierte – Schrei lässt jedoch die Todesart Christi erahnen, die noch bis in neueste Zeit allgemein als ein Ersticken in Verbindung mit einem kardiovaskulären, orthostatischen Kollaps interpretiert wurde. Das steht aber im Widerspruch zu den Evangelien, die Jesu Sterben bei vollem Bewusstsein berichten.
Woher jedoch kommen Blut und Wasser, die aus der Herzwunde so reichlich hervorquollen?
Aus den Evangelien wissen wir, dass Jesus die „Gebeine nicht zerschlagen worden sind, sondern dass einer der Soldaten seine Seite mit einer Lanze geöffnet hat.“ Die Gerichtsmediziner nehmen an, dass der Herz­einstich nahe der sechsten Rippe rechts erfolgte. Es war der von Pontius Pilatus erforderte Todesbeweis und kein Gnadenstoß. Die auseinanderklaffenden Ränder der Herzwunde sind ebenso ein Hinweis, dass der Gekreuzigte bereits tot war.
Es ist postmortales Blut und Serum, das sich bei der Herzöffnung schwallartig aus dem Leichnam ergossen hat. Das wiederum deutet auf eine Herzruptur (Riss der Herzwand) mit Perikardtamponade, einer Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel und vorausgehendem Myokardinfarkt hin, der sich ja schon auf dem Ölberg angekündigt hatte… Bei der Herzbeutel­tamponade ruft das in den Herzbeutel einströmende Blut einen heftigen Schmerz hervor, gefolgt von einem starken Schrei. Dann erfolgt sofort der Tod.
Somit ist Christus, der genau zu dem Zeitpunkt, als die Osterlämmer geschächtet wurden, einen Herztod erleidet, im Sinne des Alten Testaments einen Sühnetod gestorben. Denn bei den Osterlämmern hatte das beim Schächten ausströmende Blut Sühnefunktion. Bei Jesus jedoch wird das in den Herzbeutel ausströmende Sühneblut erst durch die Öffnung mit der Lanze sichtbar.
Doch wie der Vorhang des Tempels beim Sterben Jesu „mitten entzwei reißt“ und einen Blick in das Innerste des Allerheiligsten freigibt, so lässt das geöffnete Herz Jesu die Liebe Gottes erahnen, die uns durch diese Erlösungstat aus der „Knechtschaft der Sünde befreit“ und Sein „Blut zur Vergebung der Sünden vergossen“ hat, damit wir dadurch „geheilt und geheiligt“ werden können.

Dieser Beitrag erschien auch in Betendes Gottesvolk Nr.265, 1/2016


Verwendete Literatur

Dossier Sindone. Von Maria Margherita Peracchino (Hrsg.),  Gli eBook di L'Indro 2015, 2,99 Euro
Sindone. Primo secolo dopo Cristo! Von Fanti Giulio, Pierandrea Malfi, ed. Segno 2014, 17 Euro
Medical News from scientific analysis of the Turin Shroud. Von M.Bevilacqua, M. D’Arienzo, EDP Sciences, 2015
Er sah und glaubte. Von Gertrud Wally,  Bernardusverlag  Aachen, 2010, 14,80 Euro

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