VISION 20003/2016
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„… und am Ende noch ein kurzes Gebet“

Artikel drucken Das Gebet als Atmen der Seele – und die Schwierigkeiten, die dieses Atmen im Alltag erschweren (Von P. Dieter Biffart FSSP)

Haben Sie heute schon gebetet? Ja? Oder nein? So irgendwann nebenbei? Oder haben Sie sich bewusst Zeit und Ruhe genommen für Ihn: Gott, aus dessen Hand wir alles empfangen? Letztgenanntes ist schön, aber nicht bei jedem von uns die Regel.

Vielleicht kennen Sie das: Dies und jenes steht an – und plötzlich neigt sich der Tag und es fällt einem auf, dass man noch nicht gebetet, nicht sein Herz zu seinem Schöpfer erhoben, sondern Seiner vielmehr fast vergessen hatte. Wenn aber nach getaner Arbeit freie Zeit für das Gebet wäre, ist man zu müde um zu beten. Vielleicht ein letzter, schon halb verschnarchter Abendgruß in Richtung Himmel … und schon ist man weggetreten und eingeschlafen.
Auch wenn es zweifelsohne Lebenssituationen geben kann, in denen man nicht viel Zeit für das Gebet findet, darf man sich nicht die Aufforderung des Herrn nicht aus den Augen verlieren: „Betet allezeit!“ (vgl Lk 18,1). Die Ermahnung zu beständigem Gebet zeigt uns die Notwendigkeit des Gebetes auf, sie führt uns vor Augen, dass es sich um eine Überlebensfrage für unsere Seele handelt.
Dem Leib wissen wir beständig zu geben, was er zum Leben braucht. Atmen, Trinken, Essen – wir kommen diesen Aufgaben mit großer Selbstverständlichkeit nach, so dass der Leib sich gar nicht zu bemühen braucht, eine Anfrage an das Notwendige zu stellen.
Bei den Bedürfnissen der Seele ist dies allzu oft nicht so; denn sie braucht zum Überleben ihren Schöpfer, mit dem sie sich durch das Gebet verbindet. Das Gebet ist gleichsam das Atmen der Seele. Oft vergessen wir die absolute Notwendigkeit des Gebetes für unser übernatürliches Leben, mit der Folge, dass das Gebet nachlässig und oberflächlich wird, bevor es in Vergessenheit gerät.
In solchen Augenblicken soll sich der Christ wieder neu bewusst werden, dass er aufgefordert ist, den Rettungsring des Gebetes zu ergreifen, um nicht im Strudel der Welt und dieser Zeit unterzugehen. Der heilige Alfons bemerkt entschieden: „Ein jeder der betet, wird gewiss selig sein. Ein jeder der nicht betet, geht sicher verloren. Alle Seligen sind nur durch das Gebet in den Himmel gekommen; alle Verworfenen sind nur darum in der Hölle, weil sie nicht gebetet haben; hätten sie das Gebet geübt, so wären sie nicht verloren gegangen. (Alfons von Liguori, Die Macht des Gebetes)
Gott will den Menschen zweifelsohne das ewige Leben schenken, aber die Gnade dazu, wird uns durch das Gebet geschenkt.
Wer sich in die Schule des Gebetes begibt, wird folgende Erfahrung machen: Je mehr man betet, desto mehr Freude findet man am Gebet. Je weniger man betet, desto schwerer und langatmiger wird das Gebet.
Freilich genügt es nicht, einfach viel zu beten: „Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden.“ (Mt 6,7) Gebet ist kein Marathon, den man abarbeitet und hinter sich bringt, sondern Begegnung mit dem Dreifaltigen Gott und mit den Bewohnern des Himmels.
Durch das Gebet erhalten wir gleichsam Zutritt zum Thron Gottes. Das Bewusstsein der persönlichen Begegnung der Seele mit ihrem Herrn ist wichtig, um das Gebet nicht zu einem leeren, gedankenlosen und mechanischen Aufsagen von Formeln verkommen zu lassen, das man schnell hinter sich bringen möchte und auf das am Ende der Vorwurf zutrifft: „Dieses Volk ehrt mich nur im Munde und ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber bleibt mir fern.“ (Is 29,13)
Es ist gut, sich vor Augen zu halten, dass wir beim Beten unser Herz zum „Herrn der Heerscharen“ (Is 6,3) erheben, dessen Herrlichkeit die Engel erbeben lässt.
Damit das Gebet fruchtbar wird, ist das Bemühen um Andacht mithin entscheidend: „Ehe du betest, bereite deine Seele, und sei nicht wie ein Mensch, der Gott versucht.“ (Sir 18,23) Das heißt nicht zuletzt: Nimm wahr, dass Gott gegenwärtig ist! Sich dessen bewusst zu werden, bedeutet, eine entsprechende äußere Haltung einzunehmen, die die Bewegung des Herzens unterstützt.
Doch gerade weil das Gebet eine Begegnung ist, braucht es neben dem mündlichen, gesprochenen Beten zudem das stille, erwägende Hören und Aufmerken vor Gott. Was würden wir über eine Person sagen, der wir begegnen, und die uns nie zu Wort kommen ließe? So gilt es beim Gebet auch, still zu werden und Gott sprechen zu lassen.  
Zur Vorbereitung der Seele auf die Begegnung mit Gott ist auch die Wahl einer möglichst geeigneten Zeit und eines zur Andacht stimmenden Ortes nicht bedeutungslos.
Wer sich für Gott nur dann Zeit nimmt, wenn er gerade nichts „Wichtigeres“ zu tun hat, läuft Gefahr, Gott nicht an die erste Stelle im Leben zu setzen, wie es uns das erste Gebot vorstellt. Die Liebe zu Gott drängt den Menschen dazu, gerne bei Gott zu verweilen und ihm eine „kostbare“ Zeit zu schenken, die man auch für andere Dinge hätte nutzen können. Wer beispielsweise den Rosenkranz immer nur dann betet, wenn er beim Autofahren nichts anderes erledigen kann, wird nie zum tiefen Reichtum dieses Gebetes gelangen.
Keineswegs soll damit angezweifelt werden, dass es immer wieder Lebenslagen gibt, in denen Zeit durch die vielfältigen Standespflichten eng bemessen ist: man denke etwa an die fordernden Aufgaben von früh bis spät bei Vätern und Müttern. In solch angespannten Zeiten soll der Christ dennoch nicht vergessen, dass er  allezeit gerufen ist, durch das Gebet seine Seele am Leben zu erhalten.
Hier hilft, immer wieder kurz an Gott zu denken und zu Ihm zu rufen: „Herr, segne meine Arbeit!“ oder ein „Ehre sei dem Vater“ oder das eine oder andere Stoßgebet zu verrichten.  
Wer durch Stoßgebete ausdrückt, dass er eine Sehnsucht nach der Gegenwart des Herrn in sich trägt, wird erfahren, dass Gott sich an Großherzigkeit nicht übertreffen lässt: Er schenkt uns aufgrund unserer Sehnsucht das, was Er uns schenken würde, wenn wir Ihm mehr Zeit widmen könnten.
Die Liebe zu Gott macht erfinderisch: Sie wird Gelegenheiten zum Innehalten vor dem Angesicht des Herrn finden, wo andere achtlos vorübergehen, von der Lebenshast in die seelische Dürre getrieben.
Neben der Zeitwahl ist die Suche nach einem geeigneten Ort ebenso von Bedeutung: „Wenn du betest, geh in Deine Kammer und schließe sie ab.“ (Mt 6,6) Mit diesem Wort will der Herr nicht allein vor Zurschaustellung im Gebet warnen, sondern auch zur Zurückgezogenheit an einen Ort einladen, an dem man nicht abgelenkt werden kann.
Wer sich jedoch für das Gebet den alltäglichen Umtrieben nicht entziehen kann, möge sich am Beispiel der heiligen Katharina von Siena orientieren. Als man in ihrem Elternhaus erfuhr, dass sie sich Gott geweiht habe, nahm man ihr das eigene Zimmer und überhäufte sie mit Aufgaben, damit sie keine Gelegenheit mehr zum Gebet finden könne.
„Der alte Feind aber, durch dessen böses und hinterhältiges Treiben dies alles geschah, machte das Mädchen  gerade da, wo er es zu brechen glaubte, mit Gottes Hilfe nur noch stärker. Denn keine dieser Maßnahmen hatte eine Wirkung auf Katharina, und sie schuf sich, wie der Heilige Geist sie lehrte, in ihrem eigenen Herzen einen geheimen Ort; ihn wollte sie wegen keiner wie auch immer gearteten äußeren Arbeit verlassen. Früher, als sie noch eine eigene Kammer besaß, hielt sie sich teils darin auf, teils ging sie heraus; jetzt aber, da sie sich eine Zelle im Inneren geschaffen hatte, die ihr nicht genommen werden konnte, kam es dazu, dass sie immer in ihr verweilte.“ (Raimund von Capua, Das Leben der Hl. Katharina von Siena)
Wer sich in der Wahl von Zeit und Ort bemüht und vor dem Gebet einen Augenblick innehält, um sich bewusst vor das Angesicht Gottes zu stellen, wird einen guten Boden für ein andächtiges Gebet schaffen.
Was aber, wenn ich trotzdem abgelenkt werde, die Gedanken nach allen Seiten fliegen, nur nicht zu Gott, oder ich sogar Überdruss am Gebet empfinde?        Solche  „Trockenheit“ im Gebet kann mehrere Ursachen haben:
Sicher hat der Teufel keine Freude am Gebet. Manchmal macht er dem Christen das Gebet madig, indem er ihn in diesen heiligen Momenten quält, ganz nach dem Motto: „Vielleicht lässt er sich ja doch abbringen ….“ Unsere Antwort darauf: unverdrossen weiterbeten! Dem bösen Feind wollen wir keinen Gefallen tun. Deshalb gilt es, sich in solchen Prüfungen zu demütigen und dem Gebet entschieden treu zu bleiben. Nicht selten geht einem Fortschritt auf dem Weg zu Gott ein innerer Kampf im Gebet voraus: Die heilige Johanna Fremiot de Chantal lebte viele Jahre in großer Trockenheit. Beharrlich betete sie weiter, und Gott lohnte ihre Treue mit dem Siegeskranz der Heiligen.  
Denn die Prüfungen im Gebet wollen dem Beter helfen, dass seine Gottesliebe geläutert werde. Wir sollen beim Gebet nicht den Trost suchen, sondern den Gott des Trostes. Wer betet, weil es sich gut anfühlt, sucht am Ende sich selbst und nicht den Herrn. „Die Liebe besteht nicht in wonnigen Gefühlen der Andacht, sondern in der Entschiedenheit des Willens, Gott in allem zu gefallen.“ (Heiliger Thomas von Aquin)
Die Gottesliebe wächst in Zeiten der Läuterung – wenn wir nichts fühlen und dennoch beharrlich beten, offenbart sich unsere Liebe zu Gott als echt.
Werden wir im Gebet unfreiwillig abgelenkt, ist das keine Sünde. Fahren wir daher mit dem Gebet fort, wiederholen wir es nicht –  sondern übergeben wir unsere schwachen Gebete in die Hände der Muttergottes, die durch ihre Fürsprache vollenden kann, was unsere Schwachheit nicht erreicht.
Schwierigkeiten beim Gebet können eine Chance sein, sich zu demütigen, anstatt anzunehmen, man könne aus eigener Kraft vor Gott treten, wie es das Gleichnis anschaulich ausführt: „Der Pharisäer stellte sich hin und betete bei sich also: Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. … Der Zöllner aber stand weit zurück und wollte nicht einmal die Augen zum Himmel erheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging als Gerechter nach Hause, anders als jener.“ (Lk 18,10 ff)
Nutzen wir daher die Zeit auf Erden zu intensivem und bewusstem Beten, das bemüht ist, einen Rahmen für die Andacht zu schaffen, auf dass das Gebet nicht als zusätzliche Last zum Alltag empfunden wird, sondern vielmehr die Antwort auf die Einladung des Herrn ist: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)  
P. Dieter Biffart FSSP ist Mitglied der Priesterbruderschaft St. Petrus, Rektor der Kirche St. Sebastian in Salzburg, www.sankt-sebastian.at

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