Es waren abwechslungsreiche Tage, die mein Mann und ich bei einem Journalisten-Treffen des Fe-Verlages und des Vatican-Magazins in Rom verbringen durften. Interessante Vorträge und aufschlussreiche Diskussionen: beeindruckend, verbindend, stärkend und lehrreich. Die Ausführungen von Bischof Kay Martin Schmalhausen Panizo SCV aus Peru haben mich so bewegt, dass ich ihn um ein Interview gebeten habe. In unserem Hotel in der Nähe des Pantheons hat er mir in ausgezeichnetem Deutsch aus seinem Leben erzählt.
Sein Vater, ein Deutscher hat seine Mutter, eine Peruanerin, in Lima kennen und lieben gelernt. Er war damals auf der Rückreise nach Deutschland, nachdem er zunächst in Chicago studiert und dann mehrere Jahre in Puerto Rico gearbeitet hatte. Kurz nach der Hochzeit trat der Vater – damals ohne Bekenntnis – in die katholische Kirche ein.
Gemeinsam zieht das Ehepaar nach Deutschland, wo ihr erstes Kind, eine Tochter, zur Welt kommt. Als die Mutter wieder schwanger wird, treten Komplikationen auf. Daher fliegt sie zu ihren Eltern nach Peru, wo sie sich geborgener fühlt. So wird ihr Sohn Kay Martin 1964 in Lima geboren. Nach einem halben Jahr fliegen Mutter, Tochter und Sohn zurück nach Deutschland, wo der Bub die nächsten 11 Jahre verbringen wird. Der Vater, ein Künstler, unterrichtet in Rüsselsheim Kunst. Sonntags geht die Familie in die Messe. Die Weihnachtsfeiern hat er als schöne, gläubig gefeierte Feste in Erinnerung.
Die revolutionären sechziger Jahre hinterlassen jedoch Spuren auch im Leben der Eltern, deren Ehe geschieden wird, worauf die Mutter mit den Kindern nach Peru zurückgeht. Dadurch verlieren die Kinder nicht nur den Vater, sondern auch ihre Heimat, die Schule, die Freunde in Europa – und, da die Mutter davor mit den Kindern nie Spanisch gesprochen hatte, auch die Möglichkeit, sich leicht zu verständigen. „Die Scheidung der Eltern und dann in eine ganz neue Welt zu kommen und erst Spanisch lernen zu müssen – das war natürlich eine harte Sache…“, erinnert sich Bischof Schmalhausen. „Auch die religiöse Lebensart in diesem neuen Land war mir fremd,“ fügt er überlegend hinzu. So entfernt er sich von der Kirche und von seinem Glauben.
Das ändert sich allerdings ein paar Jahre später. Damals ist er 14: Nach einem Sommerferien-Aufenthalt in Deutschland beim Vater (wo zur selben Zeit der Winter herrscht) erzählt ihm die Mutter, dass sein Cousin, den er sehr gerne hat, auf eine neue katholische Bewegung gestoßen sei. Er könnte ihn doch einmal dorthin begleiten, meint sie. „Sodalitium“ heißt diese Bewegung, die Anfang der siebziger Jahre in Lima durch Laien gegründet worden ist. „Ich war sehr schnell von der Eucharistiefeier, von den Idealen, vom Gedanken, die Welt für den Herrn zu erobern, Apostolat zu machen, Leute zu Christus zu führen, angetan.“
Die Gruppe trifft sich sogar samstags zum Rosenkranzbeten. „Eine tiefe, offene Freundschaft hat die Mitglieder der Gruppe untereinander verbunden,“ erinnert er sich sichtlich gerne. Und, besonders bemerkenswert: Von Anfang an fühlt er klar die Berufung zum Priestertum. „Und die hat Sie nie mehr verlassen?“, frage ich lächelnd. „Nein,“ lächelt er versonnen zurück. „Nein… Der liebe Gott war sehr gut mit mir.“ Die Art, wie der Bischof das sagt, überzeugt mich.
Nach einem Studium an der theologischen Fakultät von Lima, lebt er das letzte Jahr vor der Priesterweihe im Priesterseminar von Medellin und studiert dort an der katholischen Universität. „Das war gut, das hat uns eine neue Perspektive geschenkt und uns langsam die Augen für unsere Berufung geöffnet.“ Im Dezember 1989 wird er zum Priester geweiht. Da die Gemeinschaft, der er angehörte, kirchlich noch nicht anerkannt war, wird er Mitglied des Klerus der 1967 gegründeten Diözese Callao. In dieser in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Lima gelegenen Hafenstadt ist er dann für die nächsten 13 Jahre als Priester tätig.
„Hafenleute sind spezielle Menschen: ganz liebevolle, wunderbare Leute, sehr offen, doch auch mit vielen moralischen Problemen. Die Arbeit mit diesen armen, leidenden Menschen in Boca Negra, ein riesiges Slum von Callao, war wunderschön,“ entsinnt er sich. Allerdings sei es auch eine extrem schwierige Zeit gewesen: „1990 kam Alberto Fujimori an die Regierung…“ – wegen Korruption und schweren Menschenrechtsverletzungen wurde er später zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt – „Als Fujimori an die Macht kam, sprach man vom ‚Fujimori Schock’. Peru war damals ein reines Desaster. Wir hatten jedes Jahr eine Inflation von mehr als 1000%.“ Laut Wikipedia sogar 7000%, der Inflationsweltrekord, lese ich später nach, wodurch die Bevölkerung trotz beachtlichen Wirtschaftswachstums weit verbreitet in tiefes Elend gestürzt wurde.
„Das war eine wirklich dramatische Situation damals. Der Bischof von Callao, ein großer Mann, ein Jesuit, hatte im voraus mit den USA und mit Europa eine finanzielle Hilfe für Peru organisiert. Dadurch konnten wir in den Slums 90 Volksküchen organisieren. Wir arbeiteten mit Frauen (die Männer waren ja meistens nicht da), die dank dieser Unterstützung zu Mittag ein Essen und nachmittags Kakao für Tausende Menschen ausgeben konnten. Das war eine wunderschöne Arbeit,“ erinnert sich der Bischof gern an diese karitativen Aktivitäten.
„Doch gerade in den Slums gab es auch viel Gewalt. Da waren Banden und vor allem die Terroristen des „sendero luminoso“ tätig. Letztere wollten Lima sowie das ganze Land unter ihre Kontrolle bringen und die Regierung übernehmen. Es war eine Zeit ständigen Guerillakriegs zwischen der Regierung und verschiedenen maoistischen revolutionären Gruppierungen. Sie wollten in Peru ein Regime wie das in Nordkorea oder anderer kommunistischer Länder installieren. Priester und Sozialhelfer passten den Terroristen überhaupt nicht ins Konzept, denn die Konflikte, die Gräben zwischen den Menschen sollten ja nicht beseitigt sondern vielmehr vertieft werden.“ So geriet auch mein Gegenüber ins Schussfeld: „Ich feierte ja jeden Samstag in den Slums eine Messe und wir hatten das Projekt, auf einem Grundstück des Armenviertels eine Kirche und ein Pastoralzentrum für die Menschen dort zu bauen. Eine Kirche inmitten dieses Elendsviertels passte den Revolutionären natürlich gar nicht. So wurde mir über die Frauen, die die Volksküchen betrieben, immer öfter von den Terroristen gedroht: ‚Wenn der Priester wiederkommt, garantieren wir nicht für sein Leben’ hieß es da. Das war eine klare Ansage, eine Morddrohung. Ich musste daher 1995 diese Arbeit für 3 Jahre verlassen.“
Fortan bleibt Schmalhausen zwar in Callao aber nicht mehr in den Slums, sondern wirkt an einem weniger exponierten Teil der Stadt. Da kann er nun das fertig entwickelte Projekt einer Kirche und eines Sozialzentrums tatsächlich verwirklichen. „Hier funktionierte es problemloser, weil das mehr im Stadtgebiet war. Ende 1998 fand die Einweihung statt.“
„Sind die Menschen in Peru fromm?“, will ich wissen. „Die Volksfrömmigkeit ist eine Gnade des Himmels, ein vorzüglicher Ort der Evangelisierung. Die Menschen nehmen vielleicht nicht an der Sonntagsmesse teil, aber versäumen niemals das Patronatsfest. Bilder und Statuen sind wichtig, man muss sie sehen und berühren können, den Weihrauch riechen, inmitten der Masse an der Prozession teilnehmen und vor Jesus, Maria und dem Schutzpatron singen, lachen und weinen dürfen. Volksfrömmigkeit ist gleichbedeutend mit dem gemeinschaftlichen Glauben. In ihr tritt der Glaube durch die Sinne ein und drückt sich durch sie aus. Die Statuen, die durch die Straßen getragen werden, sind ein Zeichen, dass Gott, die Muttergottes, die Heiligen sowohl in unseren Kirchen wie auch im täglichen Leben und den Arbeitsstätten der Gläubigen gegenwärtig sind.“ Ja, das ist tatsächlich etwas, was bei uns zu wenig bedacht wird, denke ich unwillkürlich.
Allerdings fügt Bischof Martin hinzu: „Viele leben diese Volksfrömmigkeit mit einem oberflächigen Glauben, ohne die Möglichkeit zu haben, diesen zu vertiefen und ohne über die notwendigen Konsequenzen ihres Glaubens nachzudenken.“ Bei dieser Gelegenheit fällt mir Padre Salerno, der Gründer der „Missionare Diener der Armen der Dritten Welt“, ein (Portrait 4/96), der erzählt hat, wie selten die Menschen in den Bergen die Möglichkeit haben, einem Priester zu begegnen, Katechese zu hören und wie glücklich sie darüber wären.
Zurück zu meinem Gesprächspartner: 2003 wird er gebeten nach Arequipa zu übersiedeln, um bei einem Projekt eines Instituts für Ehe und Familie mitzuarbeiten und an der Universität Ethik zu lehren. Das beschäftigt ihn die nächsten drei Jahre. „Das war eine wunderbare, faszinierende Erfahrung, den Jugendlichen an der Universität bei der Bildung des Gewissens zu helfen. Im Ehe- und Familien-Institut hatten wir dazu noch etwa 60 Studenten jedes Semester. Arequipa ist mehr eine traditionelle Stadt, in der auch die Familiensituation noch besser ist.“
Doch hier gibt es das Problem der Abtreibung. Sie sei an und für sich verboten, höre ich. Doch gab es Frauen, die aus verschiedensten Gründen trotzdem an Abtreibung dachten. „Für sie haben wir ein Hilfezentrum aufgebaut. Dort konnten wir ihnen helfen, ihre Kinder zu behalten und sie auch eine Zeitlang finanziell unterstützen. Bei Konflikten in der Familie wegen eines ungeplanten Kindes haben wir uns bemüht, mit Gesprächen Hilfe anzubieten.“
In jüngster Zeit gibt es allerdings Bemühungen, das Verbot der Abtreibung zu lockern und sie bei Verdacht auf Down-Syndrom straffrei zu stellen. „Es wächst allerdings in der Bevölkerung ein soziales Bewusstsein gegen die Abtreibung,“ freut sich der Bischof. Etwas wie die „Fristenlösung“-Regelung wie bei uns sei in Peru nicht denkbar, fügt er hinzu.
2006 wird Schmalhausen informiert, dass Papst Benedikt ihn zum Bischof von Ayaviri ernennen möchte. Keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellt: „Dort gab es sowohl kirchlich wie sozial schwierige Zustände. Die ersten drei Jahre waren sehr hart. Es war eine Bastion der Befreiungstheologie in ihrer schlimmsten Ausprägung. Theologie wurde durch Soziologie ersetzt, Kirche als Bereich sozialpolitischer Aktion gesehen. Nicht mehr Gott sollte wirken sondern wir mit unserem Willen zur Macht und unserer Fähigkeit die Welt zu verwandeln. Und es bekam uns sehr schlecht: Enorme pastorale Wüsten wurden da hinterlassen.“
Bischof Schmalhausen erläutert: „ In der Kirche hat immer Gott den Vorrang, nicht wir. Es ist Seine Kirche, nicht unsere. Wir sind in ihr, um das Werk des Sohnes zu vollbringen, nicht das unsere. Als ich kam, hatte ich schon den Ruf eines rechtsradikalen Traditionalisten. Eine Gruppe von Priestern und Ordensleuten waren über meine Ernennung sehr irritiert.“ Diese ersten drei Jahre bleiben ihm als eine Art Kampf in Erinnerung: „ Mehrere Priester ebenso wie eine Gruppe von Seminaristen haben die Prälatur verlassen, andere ihr Priestertum wegen moralischer Probleme aufgegeben. Nach drei Jahren hat sich dann die Situation beruhigt.“
Gott sei Dank war der neue Bischof nicht allein gekommen. Vielmehr wurde er durch einen Priester und einige Mitbrüder – Laienbrüder seiner Gemeinschaft –, die ihn begleitet hatten, unterstützt. „Auch mit den verbliebenen Seminaristen – die ersten sind jetzt schon Priester – ist das sehr gut gegangen,“ freut sich mein Gegenüber: „Sie habe ich zwar nicht selbst unterrichtet, sondern nur begleitet, da das Seminar in einer anderen Prälatur und nicht in Ayaviri war. Allerdings habe ich den Kontakt mit ihnen sehr gepflegt, sie besucht und immer wieder Einzelgespräche mit ihnen gehabt. Sie sind heute meine Stütze. Auf sie kann ich mich verlassen. Heute, nach 10 Jahren, sieht alles ganz anders aus. Der liebe Gott hat da eine wunderbare Arbeit gemacht.“ Er lächelt, ein liebes Lächeln, denke ich und überlege, wie wichtig Priester sind, die wirklich auf Gott vertrauen.
Denn Aufgaben und Probleme gibt es nach wie vor mehr als genug. Mit Besorgnis in der Stimme fährt der Bischof fort: „Es gibt massive soziale Probleme durch unvorstellbare Armut. So viele entbehren eine Grundversorgung an Licht und Wasser, leben im Elend – gesellschaftlich und moralisch -, leiden unter Korruption und Gewalt. Viele haben die Gewalt durch die Kämpfe mit dem „sendero luminoso“ der 80-er und 90-er Jahre nie verarbeiten können. Das sind die Wunden des Terrorismus: Entführungen, Erschießungen auf dem Hauptplatz von Lehrern, Bürgermeistern… Alle Autoritäten, die nicht mitmachen wollten, wurden liquidiert – und alle, auch Kinder, haben das mitangesehen. Wenn man hörte, dass Terroristen kommen, versuchten alle zu fliehen, zumindest sich zu verstecken. Wenn das nicht rechtzeitig gelang, gab es eben diese schrecklichen Konsequenzen. All das ist nie aufgearbeitet worden. Da ist ein Trauma geblieben.“
Dieses Trauma ist mit schuld am Elend der Familien, die eines der besonderen Anliegen des Bischofs sind: „Die Familie auf dem Land, in den Dörfern im Hochland, ist weitgehend kaputt. Einmal im Jahr kommt ein Priester in die Dörfer. Da wird dann getauft, geheiratet und, wenn der Bischof kommt, gefirmt. Es gibt aber auch viele Paare die 20 oder 30 Jahre zusammenleben, ohne zu heiraten. Nicht zu heiraten, hat eine jahrhundertealte Tradition. Viele Männer haben Angst, sich mit Frau und Kindern zu belasten. Sie haben oft mal da und mal dort noch eine Frau.“
Große Sorgen auch wegen der Kinder und Heranwachsenden: „Die Kinder leben oft monatelang allein, weil die Eltern irgendwo weit weg arbeiten und vielleicht Geld schicken. Andere sehen die Eltern nur an den Wochenenden, wenn sie vorbeischauen. Die Verantwortung der Eltern ihren Kindern gegenüber ist vielfach zerbrochen. Kinder sind auch häufig Opfer von sexueller Gewalt, ja überhaupt von Gewalt in den eigenen Familien!“ Alkohol und Frust wegen Mangel an Arbeit seien auch daran schuld.
Weiters erzählt der Bischof, dass im Hochland fast gar nicht miteinander gesprochen wird, nicht einmal in den Familien: „Man schaut sich an, aber redet nicht miteinander. Schon gar nicht kann man sich daher ausreden, miteinander über Erlebtes sprechen, es bewältigen. Viele Kinder wissen nicht, was ein Gespräch ist.“
Von den Gesprächen mit Padre Salerno und dessen Mitbrüdern, die in den Anden bei den Indios wirken, wusste ich schon, dass viele Kinder zur Kinderarbeit, richtiggehender Sklavenarbeit und zur Kinderprostitution gezwungen werden, dass sie verwahrlost, geschlagen, missbraucht, ausgesetzt und von skrupellosen Menschen ausgebeutet werden. Daher kann ich die Sorgen des Bischofs nachempfinden, wenn er erzählt: „Diese sich selbst überlassenen Kinder kann man nur zu begleiten versuchen.“ Denn: „Kinderzentren zu gründen, ist leider gefährlich auf Grund der Risiken, die das bietet, insbesondere wegen der Pädophilie… Für mich ist daher die größte Hilfe, die ich anbieten kann, die Beichte.“
Nachdem der Bischof mein Erstaunen bemerkt, erklärt er: „Jeden Sonntag kommen Kinder und Jugendliche zur Beichte. Das hört nicht auf. Diese Generation lernt dabei, Gott im Sakrament der Versöhnung alles, was sie zu Hause und anderswo an Demütigungen, Vergewaltigung, Gewalt erlebt haben, hinzulegen und, dass sie auf diese Weise Heilung finden können – es ist allerdings ein langer Weg, den sie da gehen. Durch die Beichte dieser Kinder weiß ich, was los ist. Zuerst sagen sie, was sie selbst nicht richtig gemacht haben, aber dann bricht immer irgendwann aus ihnen heraus, was sie Schlimmes erlebt haben. In solchen Fällen muss ich ihnen gleich ganz klar sagen, dass sie Opfer sind, dass nicht sie da gesündigt haben. Da muss man viel trösten, denn oft genug haben diese Kinder noch nie ein liebes, gutes, schönes Wort gehört: kein ,Wie hübsch du bist!’, kein ,Ich hab dich lieb“ oder ,Ich bin stolz auf dich’ vernommen. Das ist sehr traurig. Das macht ihr Herz kaputt. Ihnen muss man sagen ‚Du hast eine wunderschöne Seele, du hast ein wunderschönes Herz’ Und ‚Jetzt ist es Zeit aufzustehen’.“
Bischof Schmalhausen fügt hinzu: „Es ist erschütternd, aber es ist auch ein Segen all das zu erleben und als Ministrant Christi helfen zu dürfen.“ Ich spüre, wie sehr all diese Jungen ihm ans Herz gewachsen sind, wie sehr er ihnen helfen möchte. Wieder fällt mir Padre Salerno ein, der geschrieben hat: „Das Fehlen der Zuneigung ist der furchtbarste Hunger. Ihn gilt es so gut wie möglich zu stillen.“ Ja, ich denke, es ist genau das, was Bischof Schmalhausen bei diesen Kindern und Jugendlichen mit Gottes Hilfe gelingen kann: Ihnen zu zeigen, dass Gott Zeit für sie hat, mit ihnen leidet, in der Person des Priesters für sie da ist, sie achtet und liebt. An dieser Stelle lächelt der Bischof: „Das ist meine Prälatur: Viele Wunden, viel Segen.“
Er selbst lebt auf 4000 Meter Höhe. Die höchste Pfarre, die er betreut, liegt auf 5.000 Meter, die am tiefsten gelegene auf 700. Diese Höhenunterschiede machen ihm zunehmend zu schaffen. 32.000 km2 groß ist seine Prälatur. Das Problem seien nicht die Distanzen – auch wenn diese groß sind –, sondern die Unwegsamkeit der Straßen. Daher ist er mit einem kleinen geländegängigen Jeep unterwegs, soweit dies überhaupt möglich ist.
Was ihn das Leben in seiner Prälatur gelehrt habe, frage ich. Da lächelt er auf seine feine Art: „Ooohh, man lernt, sich als ein armer Mensch vor Gott zu begreifen und sich in Seine Hände zu legen. Vertrauen ist alles: Den Willen haben, alles in Seine Hände zu legen. Das ist ein Riesensegen.“
Die Armut selbst sei eigentlich für ihn ein Riesensegen weil „sie uns nüchterner, schlichter, bewusster, sensibler gegenüber den Notwendigkeiten der Menschen – sei es im Materiellen, sei es im Geistlichen, mache“. „Meine Prälatur ist ein Ort, wo man so viele verwundete Menschen sieht, tagtäglich im Kontakt mit den Wunden der Menschen ist. Man sieht sie an ihren Augen, an der Haut, an ihrer Seele – und das macht demütig.“
„Kann man helfen?“ „Teilweise,“ meint er zögernd, „oft aber auch nicht. Aber wir sind ja nicht die Retter der Welt. Das ist der liebe Gott. Dafür hat er uns Seinen Sohn geschickt. Und es wäre falsch, würden wir denken, wir werden das schaffen. Das ist nicht der richtige Weg, weil da viel Hochmut mitschwingt. Natürlich haben wir die Aufgabe zu helfen mit allem, was wir können. Aber letzten Endes kommt der Abend und die Nacht und man kniet vor dem Kreuz und sagt: ,Das ist Dein Werk nicht unseres. Wir können Dir nur helfen, weil wir eben nicht die Retter der Welt sind’.“
Und ich ergänze: „Hier auf Erden ist ja nicht das Letzte.“ Da stimmt er fröhlich ein: „Oh nein, Das Letzte ist der Himmel und meine armen Leute werden werden – so wünsche ich es mir – in der ersten Reihe sein. Und wir werden dahinter und fröhlich und glücklich sein, dass sie so nahe an Gott sind – ,mysterium fidei’: Geheimnis des Glaubens.“