Sie ist keine 7 Jahre, als sie am 1988 einen Schlaganfall erleidet: Mehrere Tag Koma, weitgehende Lähmung, schwere Sprachstörung. In der Rehabilitation lernt sie wieder zu reden, aber undeutlich, schwer verständlich. Auch die linke Hand lässt sich reaktivieren, ein Rollstuhl wird angepasst.
In ihrem Buch „Mein Leben im E-Rolli“ schildert Jasmin Marie Habenicht einprägsam, nüchtern, ohne Selbstmitleid, oft schonungslos mit sich selbst, mit welcher Fülle von Problemen schwer behinderte Menschen zu kämpfen haben. Wie viel Willenskraft ist da nötig, wie viel Durchhaltevermögen, um über scheinbar unüberwindliche Begrenzungen hinauszuwachsen! Und wie viel Demut, um die dennoch weiterbestehenden Grenzen akzeptieren zu lernen, ja, sich unverzagt in ihnen einzurichten!
Jasmin beschreibt ihren Lebensweg durch verschiedene Schulen bis zur Universität in Marburg anhand von Episoden, die ihr in besonderer Erinnerung geblieben sind. Ihre Schilderung lässt den Leser hautnah miterleben, mit welchen Herausforderungen „Behinderte“ – sie legt Wert auf diese Bezeichnung – konfrontiert sind. Besonders betroffen machen jene Situationen, in denen ihr Abneigung und Unverständnis durch ihre Umgebung – darunter auch behinderte Mitschüler und Lehrer – begegnen. Der Leser bekommt aber auch mit, wie viel Gutes durch liebevolle Zuwendung, Zuspruch, moderne Hilfsmittel und vor allem durch selbstlose Hilfe geschehen kann, wie bedeutsam der Rückhalt in der Familie ist.
Habenichts Buch ist sehr empfehlenswert, nicht nur weil es auf unaufdringliche Weise Einblick in ein besonders herausforderndes Leben bietet, sondern weil es allgemein den Blick für unsere Hilfsbedürftigkeit schärft. Diese ist bei behinderten Menschen sehr augenscheinlich, gehört jedoch zur Grundbefindlichkeit des Menschen. Jasmins Erfahrungen machen deutlich, wie folgenschwer – sowohl positiv wie negativ – unser Umgang mit den Mitmenschen tatsächlich ist.
Interessant auch, wie Jasmin Habenicht ihre Beziehung zu Gott erlebt hat. Über kurz oder lang steht das gläubig aufgewachsene Mädchen nämlich vor der Frage, wieso Gott ihr Flehen um Wiederherstellung nicht erhört.
Sie schreibt: „Als nichts passierte, fing ich an, Gott zu hassen. Ich ließ mich in ein sehr tiefes schwarzes Loch plumpsen und da blieb ich liegen…“ Was ihr heraushalf? „Irgendwie kriegte ich Bücher in die Hand, von Menschen, denen es schlecht ging und die fest im Glauben an Gott standen. (…) Ich habe keine Ahnung, wer oder was mich zurück in Gottes Arme geführt hat (…), aber dieses Etwas oder Jemand hatte eine unglaubliche Ausdauer. Ich weiß, dass Gott mich nicht vergessen hat und dass er mich sehr liebt. Ich weiß auch, dass Gott etwas Besonderes mit mir vorhat und dass meine Leiden einen guten Grund haben.“
Wie gesagt: Lesenswert.
CG
Mein Leben im E-Rolli. Von Jasmin Marie Habenicht. Verlagshaus Mainz 2015, 111 Seiten, 9,95 Euro.