Es ist unmöglich, Stille in Worten auszudrücken. Und doch waren es kräftige Worte, die mich zur Erfahrung der Stille eingeladen, ja gedrängt hatten.
Am Anfang meines Weges war es die große Kirchenlehrerin Theresa von Avila: „Es wäre Torheit, wenn wir meinten, wir könnten in den Himmel eingehen, ohne in uns selbst einzukehren. Es hängt nicht davon ab, viel zu denken, sondern viel zu lieben.“
Dann ermutigte mich der niederländische Schriftsteller-Priester Henri Nouwens: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes. Wo könnte die Herrlichkeit Gottes sonst sein, wenn sie nicht dort ist, wo ich bin? In der Gegenwart hier und heute.“ Und schließlich war es der italienische Priester Carlo Carretto, dessen Rat zur „Kontemplation auf den Straßen“ ich seit fast fünf Jahrzehnten zuerst schlecht und jetzt eher recht befolge: „Suche nicht Gott mit dem Verstand zu erreichen, das wird nie gelingen. Erreiche ihn in der Liebe, das ist möglich. Bring ein wenig Wüste in dein Leben, verlass von Zeit zu Zeit die Menschen. Eine Stunde am Tag, einen Tag im Monat, acht Tage im Jahr, länger, wenn es nötig ist, musst du alles und alle verlassen, um dich allein mit Gott zurückzuziehen.“ Roger Schutz, der Gründer von Taizé, schenkte mir den griffigen Spruch der „sportlichen Spiritualität“ und Anthony de Mello, der indische Jesuit, ruft mir auch am Abend meines Lebens zu: „Bewusstheit, Bewusstheit und wieder Bewusstheit!“.
Ich erinnere mich noch, wie schwer es mir in der Illusion meiner beruflichen und apostolischen Unentbehrlichkeit gefallen ist, mich irgendwann im Laufe des Tages für wenigstens fünf Minuten zurückzuziehen. Es hat Jahre gedauert, bis daraus halbe Stunden in einer nahen Kirche oder Bibliothek wurden. Erst in einem weiteren Jahrzehnt entstand All-Täglichkeit. Für den Pensionisten – ja, ich bin ein Pensionist, der Zeit hat! – lässt es sich gut einrichten, das „tägliche Brot“ im Dom mit einstündigen kontemplativen „Stadtwanderungen“ zu verbinden: Kontemplation auf den Straßen, sportliche Spiritualität – wie sie im Buch stehen!
Verhältnismäßig leicht ließ sich schon damals bei hoher beruflicher Belastung der “Tag im Monat“ als Gast in Klöstern organisieren. Am Vorabend bezog ich meine Zelle, verbrachte den ganzen Tag von den Vigilien bis zur Komplet als Gast der klösterlichen Gemeinschaft und kehrte am nächsten Morgen wieder zur Arbeit zurück. Seckau, Heiligenkreuz, Lilienfeld, Silbergasse Wien, Landstraße Linz, Kirchberg am Wechsel und Marienfeld waren prägende Stationen. Seit vielen Jahren bin ich an meinem „Tag im Monat“ meist in den Wiener Hausbergen allein unterwegs. Die jubelnden und dankbaren Kurznotizen in meinem Tourenbuch geben meine innere Erfahrung nicht wirklich wieder. Ein Versuch, sie hier zu zitieren, käme mir wie frömmelndes Geschwätz vor.
Als Carlo Carretto seine Funktion als Caritasdirektor Italiens bewusst zurückgelegt hatte, zog er sich in die Sahara zurück. Ich fand meine „Wüste“ in den Bergen. Ich liebte sie von Jugend an. 1985, in meinen ersten „acht Tagen im Jahr“, durchwanderte ich die Villgrater Berge von Kalkstein bis Lienz. In den Sonnentagen, in den Sternennächten über meinem Zelt, umfing mich ein nie gehörtes Schweigen und eine erstaunliche Gegenwart. Damals habe ich begonnen, eigene Lieder zu singen, eigene Gebete zu finden. Auch die würden sich öffentlich vermutlich eher einfältig anhören.
Meiner Frau zuliebe hielt ich mich später immer an markierte Wege mit Rückmeldung von jeder Hütte. So durchstreifte ich allein viele Gebirgszüge unserer Alpen, immer von Schweigen umhüllt und vom Wind durchweht, heimkehrend mit leuchtenden Augen! Die Pilgerwanderung mit meinem besonderen Freund Christof zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus war ein Höhepunkt.
„Danken macht glücklich“, steht in meinem aktuellen Tagebuch. „Leben ist Geschenk. Im Urvertrauen angenommen gibt es immer Grund zum Danken, täglich, stündlich, ja mit jedem Herzschlag. Für die unaustauschbaren Menschen, ihr Wohlwollen, ihre Zuwendung, ihre Freundschaft, ihre Ermutigungen, ihre Skepsis, ihre Provokationen; für Ruhe und Muße; für die Stille; für das Schweigen.“