VISION 20006/2016
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Im Schweigen offenbart sich Gott

Artikel drucken (Guido Horst)

Der Kinosaal des „Institut français“ im Stadtzentrum von Rom war voll besetzt, als Kar­di­nal Robert Sarah sein jüngstes Buch vorgestellt hat. Die Kraft der Stille – Gegen die Diktatur des Lärms lautet der Titel.

Für den in Ghana geborenen Kirchenmann, der 1979 mit erst 34 Jahren zum Erzbischof von Conakri in Guinea bestellt wurde, ist es heute in der Welt viel zu laut – aber auch in der Kirche, vor allem in der Liturgie. Sarah erzählte zunächst von persönlichen Erfahrungen, die ihn berührt hätten. Etwa von seinem Vorgänger auf dem Bischofsstuhl von Conakri, Raymond-Maria Tchidimbo, der unter dem damals herrschenden kommunistischen Regime neun Jahre in Einzelhaft gesessen und danach das Buch „Noviziat eines Bischofs“ geschrieben habe. In der Stille, der Kardinal sollte es an diesem Abend noch oft wiederholen, offenbart sich Gott. Im Schweigen erfährt man ihn, nicht im Reden oder atemlosen Tun.
Dann ein weiteres prägendes Erlebnis für den afrikanischen Kardinal: ein Besuch in der „Grande Chartreuse“, ein Aufenthalt dort im Februar dieses Jahres. „La Grande Chartreuse“, die Große Kartause, ist das Mutterkloster des Kartäuserordens. Es befindet sich drei Kilometer nordwestlich des Dorfes Saint-Pierre-de-Chartreuse im französischen Département Isere. Der heilige Bruno hat den wohl strengsten Orden der Kirche im Jahre 1084 gegründet, und Kardinal Sarah erzählte von den drei Tagen, in denen er – wie immer, wenn er sich in einem Kloster aufhalte – sämtliche Stundengebete der Mönche mitgebetet habe, auch die in der Nacht.
Hier habe er den „Schock der Nacht“ erlebt, das Stundengebet in völliger Dunkelheit, nur das Licht am Tabernakel habe gebrannt. In dieser nächtlichen Stille, wenn nur das Psalmengebet der Kartäuser zu hören war, habe er selber die Intimität der Liebe zu Gott erlebt. Die Nacht reinige, die Stille ermögliche den Zugang zu Gott. Ein anderes wichtiges Ereignis für Kardinal Sarah – und vielleicht ausschlaggebend für die Abfassung des neuen Buchs: die Freundschaft mit dem erst 37 Jahre alten Bruder Vincent-Marie, der 2014 auf den Tod erkrankt in der Abtei im französischen Lagrasse in seinem Zimmer lag. Er war an Sklerose erkrankt, konnte nicht mehr sprechen, jeder Atemzug fiel ihm schwer. Nur mit Blicken hätten sie sich verständigt, leicht habe Vincent-Marie die Lippen bewegt, wenn sie gemeinsam beteten. Aber in den Augen des jungen Ordensmannes hätte er nur Liebe, Glaube, Freude und Gnade gesehen.
Wenn er Krisengebiete besucht habe, damals noch als Präsident des päpstlichen Hilfswerks „Cor unum“, etwa in Syrien, Haiti oder Japan nach dem Tsunami von 2011, habe er oft erlebt, dass das letzte, was den Opfern der Katastrophen geblieben sei, die Stille war. Aber es könne eine heilsame Stille sein, die Stille des Gebets, in der der Einzelne Trost bei Gott finde…

Der Autor ist Herausgeber von VATICAN magazin und Rom-Korrespondent von Die Tagespost.

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