VISION 20006/2016
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Der heilige Pfarrer von Ars

Artikel drucken (Von Johannes Kreier)

Wie weit sind wir von einer Welt entfernt, in der man nicht mehr über Gott belehrt zu werden braucht, weil Er anwesend ist in uns selbst?
Es ist die Behauptung aufgestellt worden, unser Jahrhundert sei durch ein ganz neues Phänomen gekennzeichnet: das Auftreten der Gottunfähigkeit des Menschen. Durch die gesellschaftliche und geistige Entwicklung sei es dahin gekommen, dass sich ein Menschenbild herausgebildet habe, bei dem gar kein Ansatzpunkt mehr für die Erkenntnis Gottes besteht.
Mag das nun zutreffen oder nicht, wir werden zugeben müssen, dass die Ferne Gottes, das Dunkel und die Fragwürdigkeit um Ihn heute tiefer ist denn je zuvor. Ja, dass wir selbst, die wir uns mühen, Gläubige zu sein, oft das Empfinden haben, als würde die Wirklichkeit Gottes uns unter den Händen weggezogen. Oder fangen wir nicht selbst oft an zu fragen: Wo ­bleibt Er denn in all dem Schweigen dieser Welt? Haben wir nicht selbst oft das Gefühl, dass wir am Ende allen Nachdenkens nur Worte in den Händen haben, während die Wirklichkeit Gottes ferner ist als je zuvor?
So Joseph Ratzinger schon vor etlichen Jahren. Besser  geworden ist das ja nicht. Eher im Gegenteil.
Aber am heutigen Tag könnten wir auch fragen: Ist das, was Joseph Ratzinger schon vor Jahrzehnten festgestellt hat, auch eine Beschreibung etwa der Pfarrei von Ars, jenes winzigen Dorfes, von dem es hieß: Da glaubt kein Mensch mehr? Das ist so ähnlich wie bei uns: Da glaubt kein Mensch mehr.
Was ist zu tun? Es gibt dafür unterschiedliche Rezepte. Auf allen offiziellen Seiten der Bis­tümer kann man lesen, dass es interessante Unternehmungen gibt – gerade der deutschen Kirche. Es werden ganze Truppen ausgesandt: die einen nach Südafrika, die anderen auf die Philippinen, die anderen zur anglikanischen Kirche nach England. Überall gibt es Ideen, hier leider keine.
Natürlich kann man sich fragen, ob das, was man in Kapstadt oder Manila tut, auch hier ein richtiges Rezept ist. Oder, wenn die Anglikaner hinten in der Kirche ein Gebäude einziehen, um eine psychologische Beratungsstelle einzurichten, wird das bei uns sicher Nachahmer finden. Aber ob es das Richtige angesichts der empfundenen Gottferne ist – das ist die Frage.
Jener ganz schlichte Mann, der sich in den gottlosen Flecken Ars aufgemacht hat, ist einen anderen Weg gegangen. Er hat nicht die Möglichkeit – geschweige denn das Geld – für solche Unternehmungen gehabt. Er war vielmehr einer, der Gott ernst genommen und auch mit Ihm gerungen hat. Er hat die Situation, in die er hineingestellt war, ausgehalten, obwohl er – auch das gehört zur Geschichte des Pfarrers von Ars – dreimal weggelaufen ist. Er wollte flüchten. Einmal ist es  ihm gelungen. Dann haben ihn Unwetter abgehalten oder die Leute zurückgezerrt.
Nein, sich auf diese Situation einzulassen, wie sie ist, auch auf die Gottferne, ist eben nicht einfach. Sie ist sehr schwierig.
Aber haben wir gar nichts in den Händen?
Johannes Maria Vianney hatte nicht einmal eine gute Ausbildung. Das ist ja bei den jungen Herrn heute anders – hoffen wir einmal. Sie haben ein Studium, haben alle möglichen Tricks drauf, sind durch sämtliche soziologische und psychologische Interventionen durchgeschleust worden. Die sind also richtig fit, müssen aber trotzdem nach Manila oder Kapstadt fahren, um Ideen zu haben.
Was hingegen hat Johannes Maria Vianney gehabt? Er hat etwas gelernt, er, der nicht einmal zur Schule gehen konnte. Denn wir müssen uns vor Augen führen, in welcher Zeit er gelebt hat.
Es ist die Zeit der französischen Revolution, also die Zeit des großen Umbruchs. Als er dann Priester wurde, ist Napoleon gerade in Waterloo gescheitert. Führen wir uns kurz die geschichtliche Situation vor Augen: Priester waren gezwungen, einen Eid auf die Verfassung der Französischen Revolution abzulegen. Wer das nicht tat, wurde verfolgt.
Jean Marie ist Priestern begegnet, die diesen Eid verweigert hatten. Damit er seine Erstkommunion von einem Priester, der diesen Eid verweigert hatte, empfangen konnte, mussten Männer vor der Scheune mit der Schrotflinte stehen. Er konnte gar nicht zur Schule gehen, konnte sich auch nichts gut merken. Angesichts des kleinen Johannes Maria würden wir nicht unbedingt vom Drama des begabten Kindes sprechen.
In der gottlosen Situation, dieser Zeit des Umbruchs, in der die Kirche in Frankreich quasi am Ende zu sein scheint, findet er einen Priester, der sein Kloster hatte verlassen müssen, einen Benediktiner aus Paris: ein hoch gebildeter Mann, der sich als Landpfarrer hatte durchschlagen müssen. Und dieser erkennt in diesem Jungen, dass etwas in ihm steckt, das jenseits intellektueller Begabung ist: dass er ein gottnaher Mensch ist, dass er Potenzial hat – nicht in dem, was man ihm in Latein oder sonst noch beibringen konnte, sondern, dass er eine fromme Seele ist.
Und dieser Mann fördert ihn, begleitet ihn, gegen alle Widerstände bis zum Priestertum. Dann nimmt er ihn als Kaplan zu sich, weil ihn keiner sonst haben will. 30 Monate später ist er tot. Und dann ist Vianney auf sich allein gestellt und sein Kampf geht weiter.
Was hat also dieser Priester? Er hat das Gleiche, was heute auch wir hätten: Er hat das Gebet, das er sehr ernst nimmt. Er hat die Zuwendung zu Christus im Sakrament der Eucharistie – eine besonders tiefe. Er hat einen Blick für die Menschen, gerade die verlorenen, die zuerst nichts von ihm wissen wollen, dann aber doch in Strömen, in Scharen zu ihm kommen. Und er hat die Auseinandersetzung mit dem Fürsten der Finsternis, der ihn jede Nacht behelligt, sein Dasein verfinstert, der ihm zusetzt.
Er setzt ihm so zu, dass Vianney am Ende seines Lebens vollkommen ausgezehrt ist. Dafür hat aber Ars, dieser gottlose Flecken, ein Gespür für Gott bekommen. Und er zeigt es in der Umkehr, zeigt es in der Hinwendung zu Gott und wird für den Glauben zu einer der fruchtbarsten Gegenden Frankreichs.
Wenn wir Vianneys Geschichte lesen, tun wir das ab wie ein Märchen aus uralten Zeiten. Es ist aber eine Wirklichkeit – noch gar nicht so lange her. Und das alles sollte heute nicht möglich sein?
Ich weiß: Von der Heiligkeit dieses Mannes, von dem Ausmaß, in dem es ihm möglich war, sich für Gott zu öffnen, gerade durch seine harte Askese, seine Buße, seine Frömmigkeit – davon sind wir Priester, jedenfalls ich persönlich – leider –, Lichtjahre entfernt.
Aber wäre es nicht ein erster Schritt, dass wir anfangen, unter der beschriebenen Situation, unter dieser Gottlosigkeit zu leiden? Wirklich zu leiden, dass es weh tut! Dass wir dieses Leiden auf uns nehmen, dass wir es nicht schön reden, nicht verzieren mit irgendwelchen blödsinnigen Ideen aus anderen Ländern! Wir müssen die Wirklichkeit endlich so annehmen, wie sie ist, die Gottlosigkeit – bis in die Kirche hinein: Worüber reden wir denn? Und wer glaubt noch? Und wer glaubt was?
Der Aufbau beginnt mit jedem Leiden, für das der Pfarrer von Ars jahrelang steht. Er braucht Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, um überhaupt irgendeinen kleinen Erfolg zu sehen, irgendeine kleine Saat, die aufgeht. Dieses Ausharren in Verbindung mit Buße und Gebet wäre ein Beginn. Ein Beginn, der heute möglich ist, heute wie damals…

Homilie zum Gedenktag des Hl. Johannes Maria Vianney (4. 8. 2016) von Dr. Johannes Kreier, Rektor des Klosters am Rande der Stadt. Neben dieser Aufgabe war J. Kreier 25 Semester lang Hochschulpfarrer an der Universität des Saarlandes und arbeitet derzeit in der Fachstelle Liturgie im Bischöflichen Generalvikariat Trier.
(https://www.youtube.com/user/KlosterundKHGSB)

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