Im Zeitalter des Pluralismus, da alles gleich gültig zu sein hat, erscheint vielen Mission überholt. Gerade in diesem Umfeld ist es notwendig, den Sendungsauftrag der Kirche neu zu beleben. Gespräch mit dem Nationaldirektor von Missio Austria.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war das Wort Mission auch in der Kirche eher out – und dabei ist Mission doch ein Grundauftrag Jesu an Seine Jünger. Wie kam es dazu?
P. Karl Wallner OCist: Wir müssen ehrlich zugeben, dass sich der heilige Auftrag Christi, die Freudenbotschaft von der Erlösung in die ganze Welt und in jedes Menschenherz zu tragen, zu manchen Zeiten auf unselige Weise mit Zwang, Unterdrückung von Völkern und imperialistischen Ansprüchen verbunden hat. Auch theologisch meinte man, statt von Mission von Dialog sprechen zu müssen. Aber irgendwie ist eine Wende da und man beginnt, Mission wieder positiv zu sehen. Denn sie ist ja nicht ein Missionieren im Sinne von Aufoktroyieren eigener und Niederzwingen anderer Meinungen. Es geht vielmehr darum, die Fülle des geschenkten Glaubens an den Erlöser, den Herrn, den Heiland, an den liebenden Gott Jesus Christus, in die Welt zu tragen. Christliche Mission ist von der Sache her etwas ganz Positives. Eine Kirche, die nicht aus der Sendung lebt, die Christus ihr aufgetragen hat, taugt zu nichts. Unter Papst Franziskus wird diese Sichtweise stark unterstrichen.
Sie haben von der Polarität Mission-Dialog gesprochen. Heute vertreten viele die Meinung, im Gespräch mit Andersdenkenden müsse man sich auf einer neutralen Ebene bewegen und nur ja nicht den eigenen Glauben zu sehr in die Auslage stellen. Wie sehen Sie das?
P. Wallner: Wer tief im Glauben steht, wer Jesus Christus als dem Erlöser begegnet ist, kann nicht anders, als weiterzusagen, was ihm geschenkt worden ist. Sicher soll man sich im Dialog bemühen, andere Religionen kennenzulernen, sie zu respektieren, das „Wahre und Heilige“, das in ihnen liegt, anzuerkennen und zu schätzen. So das 2. Vatikanum in Nostra Aetate 1,1. Aber in dem Moment, in dem jemand im Glauben brennt, kann er gar nicht anders, als dem Gesprächspartner seine Freude, seine Begeisterung mitzuteilen. Und das ist letztlich Mission. Dialog ist gut, aber Mission ist mehr. Sie beschenkt den anderen, gibt ihm das Plus, das Mehr, das in der christlichen Offenbarung steckt, weiter.
Hans Urs von Balthasar sagt: „Wer mehr sieht, hat mehr recht.“ Das Christentum ist die Religion der Selbstoffenbarung Gottes. Uns ist eine Überfülle geschenkt, da wir erkennen dürfen, dass Gott der Dreifaltige jedem Menschen Liebe, Heilung, Erlösung, Leben, Freude und Ewigkeit schenken möchte. Das müssen wir weitererzählen…
Viele Menschen assoziieren Mission mit einem Geschehen, das sich in fernen Ländern abzuspielen hat. Bedarf nicht gerade unsere westliche Welt dringend der Missionierung?
P. Wallner: Die Verhältnisse haben sich heute umgedreht. Die Kirche war vor 100 Jahren nicht im selben Maß Weltkirche wie heute. 1914 umfasste sie 266 Millionen Katholiken. 100 Jahre später waren es 1,3 Milliarden. Eine Milliarde Zuwachs in 100 Jahren! Die größte Erfolgsgeschichte in den 2000 Jahren Kirchengeschichte. In Südkorea, Vietnam, auf den Philippinen, in China, in Südamerika gibt es einen richtigen Boom. Und dann vor allem Afrika: Das ist der Zukunftskontinent der Katholischen Kirche. Papst Pius XI. hat 1926 die Päpstlichen Missionswerke beauftragt, dafür zu sorgen, dass diese jungen, vitalen Kirchen auch die nötigen Hilfsmittel bekommen. Deswegen wurde der „Weltmissionsonntag“ im Oktober mit seiner weltweiten Sammlung eingeführt. Diese Kollekte ist für die jungen Kirchen. Sie hat geholfen, dass diese wachsen können und hilft weiter. Heute sind die jungen Kirchen in Afrika, Asien, Ozeanien sehr vital und gläubig, haben eine große Dynamik, eine große Freude an Liturgie, sie sind aus sich heraus missionarisch, obwohl sie in vielen Ländern unterdrückt und verfolgt werden. Bei uns in Europa und in Nordamerika befindet sich die Kirche jedoch in einem teils dramatischen Schrumpfungsprozess. Allerdings haben wir noch Wohlstand. Plakativ ausgedrückt könnte man sagen: In den Missionsländern haben sie den Glauben, wir haben nur mehr das Geld. Natürlich ist das überspitzt. Aber wir sollten unser Geld nutzen, um die Dynamik der jungen Kirchen zu unterstützen. 1 Euro hat in Afrika oft den Geldwert von 1.000 Euro. Übrigens findet ja bereits ein Austausch statt: Aus den früheren Missionsländern kommen „Missionare“ zu uns: So gibt es beispielsweise in Niederösterreich einen gewählten Dechanten, der aus Nigeria stammt. Viele Priester stammen aus Indien, aus Afrika… Hand aufs Herz: Eigentlich sind wir hier Missionsland geworden!
Die neue Shell-Jugendstudie von 2015 sagt, dass zwar 80% der jungen Muslime regelmäßig beten, aber nur 9% der jungen Katholiken. Da brauchen wir die Hilfe der jungen Kirchen. Wir brauchen vor allem Wege, um die jungen Leute für Christus zu gewinnen.
Was geht uns eigentlich ab, dass wir diesen missionarischen Impuls so wenig zu verspüren scheinen?
P. Wallner: Ich habe am 1. September 2016 die Päpstlichen Missionswerke als Nationaldirektor übernommen und bei meiner ersten Reise in den Senegal die unglaubliche Dynamik der dortigen Kirche erlebt. Da wird Liturgie mit Freude, Drive gefeiert, man trifft auf junge Priester, junge Ordensfrauen, begeisterte junge Christen, missionarische Bischöfe…
Wie äußert sich diese Begeisterung?
P. Wallner: Bei den Gottesdiensten beispielsweise: Sie können gar nicht lange genug dauern (bei uns muss alles schnell gehen). Da kommen die Leute von weither zusammen, auch zu Fuß. Sie kleiden sich besonders schön für den Gottesdienst. Es gibt eine wunderbare Beteiligung der Laien – wohlgemerkt nicht als Priesterersatz, wie bei uns. Die Kirche dort glaubt an Jesus; sie lieben die Eucharistie; sie lieben die Muttergottes. Mehrmals habe ich mir gedacht: Man müsste unsere Leute nach Afrika bringen, damit sie sehen, wie die Kirche dort lebt, wie wertvoll der Glaube den Menschen dort ist.
Ein freudiger Glaube also?
P. Wallner: Ja. Allein, wie da gesungen wird. Sicher, es gibt teilweise diese heißen afrikanischen Rhythmen. Dazwischen aber singen 500 Leute, also die ganze Kirche – viele junge Leute – das Kyrie und Gloria der „Missa de Angelis“. Ja, das muss man erlebt haben. Einfach schön…
Was können wir daraus lernen?
P. Wallner: Papst Franziskus hat uns gesagt, als Päpstliche Missionswerke seien wir auch dafür zuständig, eine missionarische Tätigkeit in Österreich zu entfalten. Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, wie wir das machen könnten. Schließlich erleben wir hier wirklich einen regelrechen Abbruch des Glaubens. Man schaue nur, wie wenig junge Leute in den Gottesdiensten sind. Mit Pfarrzusammenlegungen versucht man, den Schrumpfungsprozess zu managen. Aber das steigert oft nur die Frustration, die Stimmung steht bei vielen Gläubigen auf Niedergang. Gott sei Dank, gibt es auch Aufbrüche, die der liebe Gott inszeniert hat: Gebetstreffen wie der Pfingstkongress der Lorettos in Salzburg, das Pöllauer Jugendtreffen, die monatliche Jugendvigil in Heiligenkreuz… Aber wir brauchen nicht nur vereinzelt „Events“, so gut die auch sein mögen, sondern wir brauchen ein flächendeckendes Hereinholen der jungen Menschen in einen begeisternden Glauben. Und das kann nur „übernatürlich“ erreicht werden. Auf Deutsch: Wir brauchen Wunder! Und wir müssen sie von Gott dringend erbitten.
Also konkret Gottes Hilfe herabzuflehen?
P. Wallner: Die Gründerin der Päpstlichen Missionswerke, Pauline Jaricot, eine Französin, die Mitte des 19. Jahrhunderts gestorben ist, hat den lebendigen Rosenkranz erfunden und vorgeschlagen, jeweils ein Gesätzchen für einen Kontinent zu beten. Ihre Idee möchte ich bei Missio neu aufgreifen: Ich lasse gerade rot-weiß-rote Rosenkränze anfertigen. Und dann möchte ich möglichst viele Österreicher dazu animieren, wenigstens ein Gesätzchen dieses Rosenkranzes pro Tag zu beten für einen konkreten Jugendlichen, der glaubensfern oder noch nicht getauft ist. Wir müssen unsere Jugendlichen hier in Österreich missionarisch „zu Gott beten“. Wir werden also bei den Päpstlichen Missionswerken weiterhin für die finanzielle Unterstützung der Kirche des Südens (immerhin 1180 Diözesen!) sorgen, aber wir werden uns auch für die Wiederbelebung des Glaubens in Österreich einsetzen. Wenn wir nicht schauen, dass wir hier eine Dynamik bekommen, sind wir in absehbarer Zeit ausgebrannt.
Schwebt Ihnen also eine groß angelegte Gebetsinitiative vor?
P. Wallner: Wir müssen die Tatsache nützen, dass es noch viele Österreicher gibt, die beten. Jesus weist uns ja darauf hin, dass wir beten sollen: Bittet, so wird euch gegeben… Und es gibt so viele Beispiele, wo Jesus um Konkretes gebeten wird. Daher mein Vorschlag: Konkret für einen bestimmten jungen Menschen zu beten, ein Gesätzchen zumindest. Wer einen ganzen Rosenkranz betet, kann gleich für fünf Jugendliche beten. Noch einmal: konkret für jemanden beten. Wenn ich als Jugendseelsorger die Erfahrung mache, dass junge Leute wieder zum Glauben finden, Bekehrungen erleben, wieder beichten – dann ist fast immer im Hintergrund eine Großmutter oder sonst jemand, der gebetet hatte. „Meine Oma ist schon gestorben,“ heißt es dann, „aber sie hat immer für mich gebetet…“ Dieses Kapital möchte ich nützen.
Also Konzentration auf die Jugendmission?
P. Wallner: Es gibt keine Zukunft der Kirche in Europa, wenn wir nicht die jungen Menschen mit Christus in Verbindung bringen.
Gebet ist sicher wichtig. Aber geht es nicht auch um Verkündigung? Meinem Eindruck nach spielen sich die meisten Gespräche über den Glauben auf der Ebene der Moral ab. So gut wie nie kommt die Rede auf das Zentrum unseres Glaubens: auf Jesus Christus…
P. Wallner: In der Dogmatik muss ich natürlich auch lehren, dass der Glaube in Begriffen, Argumenten fassbar ist, weil das Wort Fleisch geworden ist. Es ist also notwendig, in Glaubensfragen argumentieren zu können. Meine Erfahrung ist jedoch, dass Bekehrungen fast immer so geschehen, dass jemand im Gebet oder durch das Zeugnis eines Menschen auf einer personalen und nicht primär kognitiven Ebene berührt wird. Daher brauchen wir Räume, wo Menschen Erfahrungen mit der Wirklichkeit Gottes machen können. Bei den Jugendvigilien in Heiligenkreuz – das letzte Mal waren 360 Jugendliche hier – habe ich Gott von Anfang an gesagt: „Wir organisieren das, aber Du musst die Arbeit machen, Du musst die jungen Leute berühren. Wir machen schöne Musik, holen das Allerheiligste in die Mitte – aber dann musst bitte Du etwas tun!“ Das ist es, worum es heute geht: Wir müssen Gott zutrauen, dass Er die Menschen an sich zieht. Wir sind nur Instrumente, die Szenarien schaffen, in denen diese Berührung stattfinden kann.
Und wie könnten solche Szenarien aussehen?
P. Wallner: Wir müssen hinaus in die Öffentlichkeit. In den säkularen Raum. Wir dürfen uns nicht in der Sakristei verschanzen. Daher habe ich 2016 auch den freikirchlichen „Marsch für Jesus“ in Wien sehr stark unterstützt. Wir müssen unbedingt Zeugnis „vor aller Welt“ geben. Ich fördere auch die „Legion Mariens“, die ich seit meiner Jugend kenne. Denn dort geschieht konkretes Apostolat: Es werden Menschen aktiv angesprochen, eingeladen zu beten, über den Glauben nachzudenken. Wir dürfen das nicht den Zeugen Jehovas oder den Salafisten überlassen. Damit dies in größerem Ausmaß geschieht, brauchen wir ein paar Wunder von Gott. Meine große Hoffnung sind jetzt auch die Konvertiten aus dem Islam, von denen ich einige kenne. Sie kommen von so weit her – denn das Gottesbild eines Allah, der den Menschen in den Staub drückt, ist wirklich ganz anders als unseres, als die Offenbarung, die Gott uns von sich geschenkt hat: dass Er uns so liebt, dass er am Kreuz für uns stirbt. Menschen, die aus dem Islam zu Christus finden, haben oft automatisch einen starken Drang, ihre Freude weiterzugeben. Wir sollten Gott bitten, dass Er uns viele solche „Saulusse“ schenkt, die dann zu „Paulussen“ werden. Eine ähnliche Glaubensbegeisterung sehe ich auch bei altorientalischen Christen, die aus Verfolgungssituationen zu uns kommen. Sie haben einen viel festeren Glauben als viele Christen hier, für die Kirche und Glaube etwas Abgestandenes, Fades zu sein scheint.
Was würden Sie dem einzelnen Leser raten, wie kann er sich in eine missionarische Bewegung einbringen?
P. Wallner: Mein erster Tipp ist: Beginne zu leiden! Jesus hat über Jerusalem geweint, weil Er unter der Gottferne gelitten hat. Es darf uns nicht egal sein, dass heute so viele Menschen fern sind von Gott. Es muss uns weh tun. Dieses Leiden soll aber nicht zu Frustration führen, sondern unser Vertrauen in Gott anspornen, dass Er Großes wirken kann. Und dass Er uns als Mitarbeiter möchte. Bei Seinem Eintritt in die Geschichte, bekommt Maria die Zusage: „Bei Gott ist nichts unmöglich.“
Und scheinbar Unmögliches kann Er durch jeden wirken, der sich Ihm zur Verfügung stellt…
P. Wallner: Ja. Du kannst Deinen Beitrag leisten, auf ganz unterschiedliche Weise: Wenn eine Oma ihr Enkelkind in die Kirche mitnimmt, um Kerzerln anzuzünden; wenn sie aus der Kinderbibel vorliest; wenn Eltern ihren Kindern den Glauben nahebringen, ihnen vor dem Schlafengehen ein Kreuzerl auf die Stirne zeichnen; wenn jemand an einem Apostolat mitarbeitet, einen Gebetskreis gründet – etwa Mütter beten für ihre Kinder, ein Loretto-Gebetskreis – oder Mitarbeit bei der Legion Mariens… All dies mag klein aussehen, kann aber Großes in der Welt bewegen. Jeder sollte schauen, wo er seinen Platz hat, um missionarisch in dieser Welt wirken zu können.
Und ich hoffe, dass die Initiative „Lebendiger Rosenkranz“, wo man sich zum Gebet für einen Jugendlichen entschließt (man muss nur Alter und Vorname von ihm kennen), zu einem Gebetssturm wird. Fangen wir auf diese Weise konkret an und überlassen wir es Gott, auch heute Seine Wunder zu tun – im Vertrauen, dass Er dies auch tun will. Denn, wie Madeleine Delbrel gesagt hat: „Wenn wir nicht missionieren, müssen wir demissionieren.“
P. Karl Wallner ist Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heilligenkreuz und Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke Österreich. Das Gespräch mit ihm hat Christof Gaspari geführt.