Wer sich über die Situation der Kirche vor allem aus den Medien informiert, bekommt ein tristes Bild vorgesetzt: Hohe Austrittszahlen machen Schlagzeilen, Meldungen über sexuellen Missbrauch werden herumgereicht, die Konfrontation von „Konservativen“ und „Reformern“ breitgetreten… Keine guten Aussichten – und umso dringender ein Aufbruch zu neuer Mission.
Weil weltlich gesehen die Zukunft der Kirche nicht besonders rosig erscheint, zerbrechen sich alle möglichen Experten den Kopf darüber, wie man der maroden Institution auf die Beine helfen könnte. In Gremien kreist man um Fragen wie: Pfarrzusammenlegungen, Weihe bewährter Laien, Wortgottesdienst statt Heilige Messe, Image-Kampagnen …
Dabei wäre die vorrangige Aufgabe: sich nicht den Kopf über die Zukunft der Kirche zu zerbrechen, sondern über unsere Beziehung zu Jesus Christus. Sie entscheidet über die Zukunft der Kirche. Es reicht ein einziger Heiliger, um eine Revolution auszulösen, um in scheinbar aussichtsloser Situation eine totale Erneuerung zu bringen und Massen-Bekehrungen auszulösen.
Die Kirchengeschichte ist voll von Menschen, die sich konkret auf ein Leben mit Jesus Christus eingelassen und sich Ihm als Werkzeug zur Verfügung gestellt haben. Die Liste reicht von Paulus bis Johannes Paul und Mutter Teresa. Bereitet uns daher die Zukunft der Kirche Sorgen, so ist die erste Frage, die wir zu stellen haben: Herr, was willst Du, dass ich tue? Es geht um meine persönliche Berufung.
Denn jeder Christ ist berufen zu einem vom Heiligen Geist geführten Leben, an dem das Umfeld, wenn schon nicht ablesen, so doch erahnen kann, dass Jesus Christus mächtig in unserer Zeit wirkt; dass die Freude, die ein Leben mit Ihm schenkt, alles andere aufwiegt. Sich auf diesen Weg zu begeben, ist der erste Schritt jeglicher Evangelisation.
Dann macht man nämlich die Erfahrung: Du bist als Christ nicht in einem Rückzugsgefecht, das voraussichtlich mit einer Niederlage enden wird. Nein, du begreifst: Du stehst auf der Seite des Siegers, der von sich sagt: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“
Von dieser Überzeugung waren die ersten Christen getragen. Für sie drehte sich alles um Jesus Christus: Gott ist Mensch geworden – alles ist neu, Er wirkt mitten unter uns! Eine atemberaubende Botschaft, ein Super-Angebot für alle, denen das sinnlose Dahintrotten zu wenig war: Kranke wurden geheilt, Blinde konnten sehen… All das machte die wirksame Nähe Gottes offenbar. Die Märtyrer legten Zeugnis dafür ab, dass das Bekenntnis zu Jesus Christus alles andere aufwog.
Daher konnte Petrus vor dem Hohen Rat, vor den er mit Johannes wegen der Heilung eines Gelähmten zitiert worden war, bekennen: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ Sie mussten einfach der ganzen Welt von den Großtaten Gottes in Seinem Sohn Jesus Christus, den Wundern, die Er gewirkt, die Lehre, die Er verkündet, das Opfer Seines Lebens, das Er für uns dargebracht hatte – und vor allem von Seiner unerhörten Auferstehung von den Toten erzählen.
Wer traut sich heute eine solche Verkündigung zu? Vielleicht ein paar Evangelikale, die wir Katholiken dann eher übertrieben finden. Wir sind daran gewöhnt, dass sich um diese Fragen Experten kümmern, die Hauptamtlichen. Sie werden ja dafür bezahlt – und außerdem kennen sie sich angeblich besser aus. Vielfach stimmt das gar nicht. Denn wir leben in einer Zeit, in der viele Theologen ein einmaliges Zerstörungswerk vollbracht und die Berichte der Heiligen Schrift zu Märchen, Lehrerzählungen und Parabeln verniedlicht haben.
Und viele Hirten sind übervorsichtig. So erklärte kürzlich ein Bischof, das Christentum sei „eine Religion, die trotz aller Fehler, die geschehen sind, eine gute Religion“ sei. Eine gute „Religion“ – das soll alles sein? Nein, Jesus ist die Offenbarung Gottes schlechthin. Er lässt alles andere religiöse Suchen verblassen. Nur Jesus weiß, wer und wie Gott ist!
Diese Botschaft kann und soll jeder Christ heute verkünden. Jeder Getaufte ist zum Propheten gesalbt, also berufen, Christus zu bezeugen – so wie es Petrus und Johannes getan haben. Auch wir sollten „unmöglich schweigen können über das, was wir gesehen und gehört haben“.
Somit stehen wir vor der Frage: Haben wir etwas gesehen und gehört? Etwas, was wir anderen unmöglich vorenthalten können? Oder haben wir nur gewohnheitsmäßig Pflichten erfüllt und Spielregeln, die das Leben mühsam machen, eingehalten? Sind wir uns bewusst, dass jeder von uns ein von Gott gewolltes, geliebtes Kind ist? Der etwas Großes, Schönes mit jedem vorhat?
Viele von uns wissen das leider nicht, fragen sich gar nicht, was Gott mit ihnen vorhat. Wir haben uns angewöhnt, unser Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Klar, dass da jede Dynamik, die nur von Gott kommen kann, fehlt. Ich denke, hier ist der Knackpunkt aller Evangelisation: die Frage unserer Beziehung zum Dreifaltigen Gott, der in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Ist es eine lebendige Beziehung? Eine, die aus dem Gebet lebt? „Betet ohne Unterlass,“ heißt es beim Apostel Paulus und „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten vor Gott!“
Die meisten von uns werden, wenn sie diese Sätze auf sich wirken lassen, zugeben müssen, dass ihr Leben diesbezüglich ausbaufähig ist. Und damit wäre schon die erste Weiche für eine wirksame Mission gestellt: Gott erhält die Möglichkeit, unser Leben zu verändern, damit wir Erfahrungen sammeln, über die wir nicht mehr schweigen können: Erfahrungen Seiner heilsamen Gegenwart. Wenn wir Ihn ernsthaft bitten, wird der Herr uns erkennen lassen, wozu wir berufen sind, welche Wege wir im Leben einschlagen sollen. Und Er wird uns zu Begegnungen führen, in denen Er schon den Boden dafür bereitet hat, dass unser Zeugnis Frucht bringt – vielleicht nicht sofort, wohl aber zur rechten Zeit.
Fassen wir Mut, denn Gott wirkt auch heute. Rund um uns findet Erneuerung statt. Drei Beispiele sollen das illustrieren.
Selbst miterlebt haben wir das wunderbare Zustandekommen des 12. Internationalen Familienkongresses 1988 in Wien. Da hatten wir, rund 20 Österreicher, 1986 an einem fulminanten Kongress in Paris teilgenommen: tausende Teilnehmer, mitreißende Vorträge, ergreifende Zeugnisse, eine frohe Atmosphäre des Glaubens. Wir Österreicher waren hingerissen. So etwas müsste es auch in Österreich geben.
Aber wie? Wir waren alle Laien. Und: Woher das Geld nehmen? Was tun? Ein Brief, in dem das Erlebnis in Paris beschrieben wurde, erging an alle Klöster mit der Bitte, für das Zustandekommen des Kongresses hierzulande zu beten: erster Baustein. Der zweite: eine Wallfahrt nach Medjugorje und ein Besuch von Mutter Teresa bei einer kleinen Gruppe Interessierter in Wien. „Was ihr miteinander zu tun begonnen habt, ist etwas Heiliges. Betet miteinander…,“ sagte sie. „Bevor ihr etwas tut, verbringt mindestens eine Stunde vor dem Allerheiligsten…“
Eine Kerngruppe von Personen macht sich daraufhin auf den Weg im Vertrauen, dass das Werk vom Willen Gottes getragen ist. Er würde die entscheidenden Weichen stellen. Und genaus das geshieht. Wunder über Wunder. Ergebnis: Ein volles Austria-Center in Wien, 12.000 Teilnehmer an vier Konferenztagen, eine frohe Glaubensgemeinschaft, die Mut fasst, von der Initiativen nicht nur in Österreich ausgehen, darunter die Zeitschrift Vision2000, die seit bald 30 Jahre mit einer Auflage von 24.000 erscheint.
Noch eindrucksvoller die Gemeinschaft Cenacolo. Ihr Ursprung liegt in der Berufung von Sr. Elvira. Sie spürt, ihr Auftrag sei es, Drogen- und Alkoholabhängige zur Heilung und geistiger Umkehr zu führen. So verlässt sie ihren Orden und bezieht 1983 mit zwei Frauen ein verfallenes Haus in Saluzzo bei Turin. „Ich spürte den Herrn neben mir und welche Kraft und welchen Mut ich von der Muttergottes empfangen durfte,“ erzählte sie (Portrait 1/04). Schon nach einer Woche stellen sich die ersten „Klienten“ ein. Alles ist primitiv. Die tragende Säule: das Gebet der drei Frauen und das Vertrauen auf Gottes Wirken. Die Zahl der Hilfesuchenden wächst, für die notwendige materielle Basis sorgt Gott, der Gönner und Spender schickt. Und das Werk wächst: über Italien hinaus nach Europa, nach Übersee (siehe Zeugnis S. 13).
Man muss in einer Gemeinschaft Cenacolo gewesen sein, um greifbares Wirken Gottes in unseren Tagen zu erleben: Da begegnen einem strahlende Menschen, von denen man nie annehmen würde, dass sie als Wracks zur Gemeinschaft gestoßen sind. Hier wird erfahrbar, was es heißt vom Tod zum Leben gekommen zu sein – und zwar durch das tagtägliche Leben mit Jesus Christus, der die Quelle des Lebens ist.
Ein weiteres Beispiel: der Regisseur Juan Manuel Cotelo (Portrait 6/16). Erfolgreich im Beruf, durchschnittlicher Christ. Bei Begegnungen mit Christen in Rumänien, mit einem missionarisch gesinnten Priester und weiteren Personen, die von ihrer Bekehrung erzählen, begreift er, dass er gar nicht der „perfekte Katholik“ sei, für den er sich hielt, sondern dass er sich öffnen müsse für das Wirken Gottes, der seine Begabungen nutzen wird – für Besseres, als nette Filme zu produzieren.
Er gründet die Gesellschaft Infinito mas uno – und schon der erste Film Der letzte Gipfel wird ein Riesenerfolg. Er wurde mittlerweile in 18 Ländern gezeigt. Der zweite Film Marys Land ist schon in 26 Ländern gelaufen, zuletzt erfolgreich in Österreich, derzeit läuft er in Deutschland an. Und überall werden Cotello Mitarbeiter zugeführt, die sich einfach dafür begeistern, die Botschaft vom Glauben an Jesus Christus weiterzugeben. „Verrückte,“ nennt er sie.
Zu diesem verrückten Projekt, in einer Welt, die von Gott Abschied nimmt, Zeugnis für Jesus zu geben, sind wir alle berufen. Es genügt, von dem zu erzählen, was wir „gesehen und gehört haben“.