Die Gottesfrage ist wieder „in“. Die Antworten darauf sind mannigfaltig. Doch die einzige Möglichkeit, wirklich zu erfahren, wer Gott ist und wie Er ist, besteht darin, Jesus Christus kennenzulernen.
Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“ So leitet Jesus selbst die vielleicht erste „Volksbefragung“ der Geschichte ein, lässt aber die verschiedenen Antworten Seiner Apostel „die einen für… die anderen für…“ nicht gelten, sondern leitet die Fragen um auf Seine Apostel: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Und da ist zunächst wohl eine große, verlegene Stille entstanden.
Erst Petrus durchbricht sie mit der 2000 Jahre lang bis zu uns hin überraschenden Antwort (Mt 16,16): „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Und wenn wir heute die Antwort hören und sie weitersagen, verschlägt es auch uns Heutigen die Rede und wir getrauen uns kaum noch Stellung zu beziehen. Von den meisten, die sie hören, gilt dann das, was nach der Eucharistie-Rede geschah: „Viele seiner Jünger, die Ihm zuhörten, sagten: Was Er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?“ Und man versteht, was dann geschah, was eigentlich kommen musste. Viele „wanderten nicht mehr mit Ihm umher.“ (Joh 6,60)
Dann rief Jesus Seine Apostel und sagte nicht etwa: „Regt euch nicht auf, lasst uns darüber reden. Im Dialog geht alles besser. So wörtlich habe ich das mit meinem Fleisch essen und Blut trinken auch wieder nicht gemeint!“ Nein, bekanntlich hat Er das nicht gesagt. Im Gegenteil fragte Er die Zwölf: „Wollt auch ihr weggehen?“ Und wieder ist es wohl sehr stille geworden und wieder ist es Petrus, der die Situation sozusagen rettet: Denn „Simon Petrus antwortete ihm: ,Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens‘.“
Wenn nun wir Christen mit der viel späteren Geburt nach dem Geheimnis Jesu fragen, dann drängen sich geradezu die majestätischen Sätze des Prologs im Johannes-Evangelium auf, wo es heißt: „Im Anfang war das Wort! Das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Kaum zu verstehen, aber es kommt noch „ärger“: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“
Hält man sich diese drei Stellen der Bibel zusammen vor Augen, dann ist mit einem Schlag klar: Das Wort (im Prolog) und der Menschensohn (bei der Meinungsumfrage), der uns in der Bibel auf Schritt und Tritt als Jesus Christus begegnet, ist Gott, und wenn wir mit Ihm zu tun haben, haben wir es mit Gott zu tun. Daher muss alles religiöse Leben auf Christus hin geordnet sein, weil es bei Jesus nicht um eine interessante Variante von Buddha, Mohammed oder einem „Guru“ geht, sondern um „Gott oder nichts“ – so Kardinal Sarah!
Wenn das für uns Christen so ist, was heißt dann Religion oder ein religiöses Leben führen? Die Frage lässt sich nur beantworten, wenn wir wissen, wie dieser Gott ist!
Wenn wir uns Gott vor allem wie einen König vorstellen müssen, nach dem Vorbild eines Perserkönigs, dessen königlicher Erlass ebenso „unabänderlich“ (Esther 1,19; Dan 6, 13) und unhinterfragbar war wie königliche Befehle bei den Inkas oder im Europa des Absolutismus, dann wäre nur eine Tugend gegenüber Gott zu empfehlen: Gehorsam, Unterwerfung, sogar blinder Gehorsam, also „Islam“.
Wenn Gott eher einem Richter gleicht, streng, aber gerecht, dann genügt es, sich an seine Gesetze und Vorschriften zu halten und seine „Radarfallen“ nicht zu übersehen. Und wenn Gott – noch schlimmer – wie ein Raubtier wäre, in dessen Beute-Schema wir Menschen hineinpassen, dann heißt es aufpassen und das Raubtier irgendwie füttern, wenn wir herausgefunden haben, welche Futtervorlieben es hat.
Auf die Frage: „Wie ist Gott wirklich?“ kann man sich also viele Antworten vorstellen. Aber da geht es nicht um die Meinung von Herrn und Frau XY! Oder die Meinung der Mehrheit, die „abstimmt“, wie Gott sein könnte oder sein sollte! Auch „Kommissionen“, Arbeitskreise und Fachleute helfen uns da nicht, da auch sie selbst nur vor dieser Frage stehen und nicht wirklich kundig sein können!
An diesem Punkt unserer Suche hilft nochmals das Johannes-Evangelium weiter: Johannes sagte nämlich zuerst, was wir alle wissen und wo wir hängen bleiben: „Niemand hat Gott je gesehen.“ Aber dann lässt er uns nicht in unserem Elend des Nichtwissens und fügt die erlösende Antwort hinzu: „Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, Er hat Kunde gebracht.“
Welche Kunde ist das also, wie ist Gott jetzt wirklich? Jesus hält keinen Vortrag und veranstaltet keine Talkrunde mit angeblichen Experten oder Stars, sondern erzählt Geschichten von Gott. Die berühmteste ist wohl die, die mit den Worten beginnt: „Ein Vater hatte zwei Söhne…“ Also ein „Vater“ ist Gott. Das Wort Vater gibt schon Hoffnung, dass Er ein einigermaßen guter Vater sein könnte! Aber später erfahren wir: Dieser Gott ist ein unvorstellbar gütiger Vater, wie wir Ihn uns in unseren kühnsten Träumen auszumalen kaum getraut hätten.
Jesus erzählt noch eine Reihe anderer „Gottesgeschichten“, die unser Gottesbild noch klarer und verständlicher machen. Dadurch wissen wir, dass Gott nicht ein seniler Greis ist, der zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden könnte. Wir erfahren, was Er mit uns vorhat, dass Er uns als Seine geliebten Kinder behandelt, als Hochzeitsgäste, dass Er uns eine Wohnung (sicher kein Dachkammerl) vorbereitet und dass nicht nur ein Schrebergarterl dabei ist, sondern eine ganze neue Welt, die wohl noch schöner sein wird als die erste Erde, auf der wir jetzt leben.
Und wenn uns bei all diesen Überlegungen von einer Herrlichkeit zur anderen auch einfällt, was wir in unserem Leben unleugbar schlecht gemacht haben, bekommen wir gesagt: Ja, das ist wahr, da hat es viel Dunkles in eurem Leben gegeben, das Gott euch nicht vertuschen lässt und selbst nicht so tut, als wäre es nicht so schlimm gewesen und „nicht der Rede wert.“ Aber, und das ist wieder das Erlösende, bei dem uns der berühmte „Stein vom Herzen“ fallen darf: Er ist ein Gott, der verzeiht, der, wie Jesaja sagt: „All meine Sünden warfst du hinter deinen Rücken“ (38,17); ein Gott, der den Stoff unseres Lebens so sauber macht, als wäre nie etwas passiert: „Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Wären sie rot wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle.“ (Jes 1,18)
Und wie geht es mit unserer Berufung zur Heiligkeit dann im wirklichen Leben, in unserer „Lebenswirklichkeit“, um ein heutiges Modewort zu gebrauchen? Die vielleicht beste Antwort sind die unzählig vielen Männer und Frauen der Kirchengeschichte, die wir „Heilige“ nennen und auch diejenigen, die wir selbst kennen oder gekannt haben, die anonyme Heilige sind.
Wenn man sich da umschaut, findet man alles, was man braucht, um zu wissen, „wie Gottesliebe und Nächstenliebe geht“! Jeder Christ sollte seine besonderen Freunde unter den Heiligen haben. Vielleicht seinen Namenspatron, vielleicht einen „unscheinbaren“, einen, von dem man nur wenig oder nichts Genaues weiß, oder einen berühmten wie Franziskus, Katharina von Siena, Thérèse von Lisieux oder Teresa von Kalkutta. Wir haben im „Angebot der Heiligen“ Kinder und Greise, Ungebildete und wirklich Gescheite, die den Titel Kirchenlehrer bekommen haben. Ihnen allen gemeinsam ist nicht ein Titel, sondern die Weisheit, die von Gott kommt, und vor allem die brennende Liebe zu Christus und zu ihren Mitmenschen. An den Märtyrern wird besonders deutlich, worauf es im Leben wirklich ankommt: Christus nachzufolgen.
Und Seine größte Liebeserklärung an uns ist die Eucharistie, und das haben auch die Heiligen immer wieder betont. Wie könnte Er uns Seine Liebe deutlicher sagen als dadurch, dass Er uns Sein eigenes Fleisch und Blut zur „Nahrung“ und zum Trinken gibt und sich so mit uns im engsten Sinn des Wortes jenseits aller Vorstellungskraft vereinigen will.
Wenn das wirklich so ist, wirklich Sein Leib und wirklich Sein Blut – Jesus beharrt auf dieser Deutung, wie wir oben gesehen haben – dann ist es auch keine fromme Übertreibung, vom „Allerheiligsten“ zu sprechen und sich nach Ihm zu sehnen wie der durstige Hirsch nach der Quelle (Ps 42,2). Daher haben die Gläubigen unter widrigsten Umständen – im KZ oder kommunistischen Gefängnissen – alles daran gesetzt, um die Heilige Messe feiern zu können. Diese Erfahrung hat auch der spätere Kardinal François Xavier Thuan, der jahrelang von den Kommunisten in Vietnam (zum Teil in schrecklicher Einzelhaft) eingesperrt war, gemacht.
Er erzählt: „Nie werde ich meine große Freude in Worte fassen können: Mit drei Tropfen Wein und einem Tropfen Wasser in der hohlen Hand feierte ich Tag für Tag die Messe.“ Und weiter: „Bei jeder dieser Feiern konnte ich die Arme ausbreiten, ich konnte mit Ihm den bitteren Kelch trinken. Jeden Tag bekräftigte ich beim Sprechen der Konsekrationsworte aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele einen neuen Bund, einen ewigen Bund zwischen Jesus und mir, durch Sein Blut, das sich mit meinem vermischte!“ Und am Ende fügt er hinzu: „Das waren die schönsten Messfeiern meines Lebens!“
Thuan eine Ausnahme? Nein. Kardinal Sarah berichtet beispielsweise von seinem Vorgänger Erzbischof Tschidimbo, dieser habe ihm erzählt, wie er im ebenfalls kommunistischen Gefängnis heimlich Messe gefeiert hatte. Tschidimbo bezeugte: „Diese kurzen, in der größten Stille gegen 5 Uhr gefeierten Messen werden die ergreifendsten meines priesterlichen Dienstes sein.“