Das Vergeben ist wirklich eine Herausforderung – besonders für uns Jünger Christi, die wir nicht das Gute tun, das wir wollen, wohl aber das Böse, das wir nicht wollen (vgl. Röm 7,19). Eine Herausforderung für unser Gedächtnis, das speichert, für unseren Leib, der einstecken muss, für unsere Gefühle, die das Feuer nähren, für unseren Stolz, der gern die „beleidigte Leberwurst“ spielt, aber es gar nicht mag, sich den eigenen Fehlern zu stellen. (…)
Um Vergebung zu bitten, erfordert große Anstrengung. Unser Stolz lehnt sich auf und überzeugt uns, dass das getane Unrecht gar nicht so groß – ja schlimmer noch: zurecht getan worden sei. Man findet da stets gute Entschuldigungen. Um Vergebung zu bitten, heißt, die eigene Armut anzunehmen, sie offen einzugestehen und auf Rechtfertigung zu verzichten. Alles andere als einfach. Wer fällt mir da ein? Welches Ereignis drängt sich da auf? Wen habe ich durch meine Worte, meine Handlungen, meine Nachlässigkeit besonders verletzt? Wie kann ich da um Vergebung bitten? Wann? Und wie wieder gutmachen?
Von einem anderen Vergebung zugesprochen zu bekommen, ist nicht unbedingt einfacher. Opfer zu sein, hat auch eine angenehme Seite: Die gekränkte Tugend schmückt sich gern mit Würde, hat einen Hang zu erpressen, gefällt sich in ihrer Machtposition. Man erwartet, dass der Schuldige uns zu Füßen fällt, man lässt ihn ein bisschen in seinem Saft schmoren; „irgendwo“ tut das gut. Irgendwo? Natürlich auf der Seite des Stolzes. Wenn man dann großzügig Vergebung gewährt – statt schlicht zu vergeben –, triumphiert man innerlich: „Wer ist jetzt der Stärkere? Wer hatte letztendlich recht? (…) Vergebung, die man vom anderen wie eine lustvolle Erniedrigung empfängt, lässt das Herz durch diese giftige Freude erstarren.
Die wahre Freude erwächst aus der wiederhergestellten Liebe. Die von einem „zerbrochenen und zerschlagenen Herz“ (vgl. Ps 51) erbetene Vergebung muss von einer „zerbrochenen und zerschlagenen“ Liebe angenommen werden: das ist dann, nach dem Ebenbild Gottes zu sein, barmherzig wie der Vater. Die wahre Vergebung ist gratis, erfolgt unverzüglich, ohne Hintergedanken und ohne Reue. Inwiefern bedarf meine Vergebungsbereitschaft noch der Läuterung?
Manchmal schafft man es nicht zu vergeben. Es geht einfach nicht: Die erlittene Verletzung ist einfach unerträglich, kann nicht saniert werden; das Leiden schmerzt zu sehr. Da geht es nicht um Stolz, sondern im Gegenteil um Armut. Wie soll man dem Mörder unseres Kindes verzeihen? Dem Ehepartner, der uns verlassen, betrogen, geprügelt hat? Dem Chef, dem Professor, der uns gemobbt, gedemütigt, gebrochen hat? Mehr als sonst, ist der Weg der Vergebung in solchen Situationen ein Weg der Heiligkeit. Ein Weg, der den Ärger stillt, die Traurigkeit durchbricht, die Verbitterung überlistet. Man betritt diesen Weg, indem man einen Willensakt setzt und durch einen Glaubensakt ergänzt: „Herr, ich möchte vergeben. Hilf mir! Ohne Dich kann ich nichts tun.“ (Vgl. Joh 15,5)
Famille Chrétienne v. 1.-7.4.17