Rotto. Gebrochen. Sagt der Taxifahrer, wirft nochmals einen prüfenden Blick auf die kleine Kinderhand, die etwas verloren herunterhängt, wendet sich ab und startet. Mit Sportverletzungen kennt er sich aus, sein Sohn ist Profifußballer und hat heute Nachmittag ein Match.
Jetzt bringt er mich und meinen Vierjährigen rasch hoch auf den römischen Hügel Gianicolo, zum Kinderspital Bambino Gesù. Es ist Karsamstagmorgen, und die Pilgergruppe, mit der wir seit einer Woche durch Sizilien und Rom touren, ist gerade auf dem Weg zum Petersdom. Nur wenige hundert Meter weiter warte ich. Nicht vor einer leblosen Pietá aus Marmor, sondern neben einem schreienden Baby mit besorgten Eltern, einer französischen Madame mit Teenagertochter und einem japanischen Schüler samt Großfamilie.
Ich habe einen leisen Groll in mir und bin alles andere als begeistert von dem, was gerade abläuft. Gestern Abend hat sich mein Sohn beim Spielen an der Hand verletzt, es folgt eine schlaflose Nacht auf dieser Reise, die uns über 4.000 Kilometer mit dem Bus durch Italien führt. Von Anfang an begleiten uns als Familie Begrenztheiten, Hürden, durchkreuzte Pläne.
Es ist eine Pilgerreise. Am Mittwochnachmittag habe ich bei P. Francisco gebeichtet, der unsere Reise begleitet. Ohne meine Lebensumstände genau zu kennen, gibt er mir Antwort auf eine Herzensfrage: Jesus Christus, das ist für dich dein Ehemann. Jesus Christus, das ist dein Sohn, das ist deine Tochter. Gott spricht nicht primär in Stille und Anbetung zu dir, sondern durch die dir Anvertrauten! Punkt.
Noch ein zweites lehrt mich diese Beichte: Mein Geist ist frei. Selbst wenn ich während der Heiligen Messe eine Zeitlang raus muss, weil meine Jungs Bewegungsdrang haben, können mich weder Kinderlärm noch Mauern von der geistlichen Realität trennen, meine Andacht ist nicht gebunden an schweigendes Knien vor dem Allerheiligsten. Ich darf Gott meine Sehnsucht hinlegen, warten, meinen Geist ausrichten auf den Allerhöchsten.
An diesem Nachmittag ist eine echte Last abgefallen: Die widrigen Umstände, die mir auf dieser Reise und in meinem Leben zusetzen, hindern mich nicht daran, Gott zu begegnen, sondern sie sind Trainingseinheiten. Der Zorn meiner Lieben – und mein eigener – lehrt mich Geduld. Die Müdigkeit lehrt mich Durchhaltevermögen. Meine Bedürftigkeit und Hilfslosigkeit lehren mich Demut und Dankbarkeit. Menschliches Unvermögen lehrt mich, alles von Gott zu erwarten.
Perfetto, wunderbar, kommentiert die italienische Ärztin und scherzt mit uns herum. Der Arm meines Sohnes ist nicht gebrochen, sondern nur ausgerenkt, und nach wenigen Minuten laufen wir ausgelassen den Hügel herunter in Richtung Petersdom, jagen Tauben zwischen den Kolonnaden am Petersplatz und essen Eis in der Via delle Fornaci. Es ist ein herrlicher sonniger Samstagvormittag.
Eigentlich ist nicht viel passiert in diesen wenigen Stunden. Ich bin erleichtert, ich bin dankbar. Aber vor allem habe ich Gottes barmherzigen Blick auf mein Leben ganz neu angenommen.
Ja: Gott ist dir näher als du denkst. Er wartet nicht unbedingt in einer Kirche auf dich. Er wartet dort, wo du jetzt gerade am meisten kämpfst, wo dein Versagen am größten ist, deine Abhängigkeit am massivsten und dein Leiden am schmerzhaftesten. Er braucht nicht deine Perfektion, sondern deine Sehnsucht. Er braucht dein tägliches Ja zu dir selbst und zu deiner kompletten Abhängigkeit von seiner Güte.
Hinter jedem deiner Probleme gibt es eine geistliche Wirklichkeit und einen liebenden Blick des Vaters auf dich. Lass dich von den Widrigkeiten deines Lebens nicht davon abhalten, aufzuschauen, lass dich nicht fesseln von deinen Nöten, sondern denke über die göttliche Perspektive auf dein Leben nach. Erhoffe alles von Ihm, setze alles auf Gottes Karte!
Aus kath.net v. 21.4.17