VISION 20004/2017
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Mitten im Kampf Zeugnis geben

Artikel drucken Fundamentale Konfrontation zweier Kulturen: der Kultur der Wahrheit, der Kultur der Lüge (Von Kardinal Carlo Caffara)

Die Geschichte der Menschheit wird durch die Konfrontation zweier Mächte geprägt: die Macht Gottes, die durch die Kreuzigung und Auferstehung Jesu die Menschen an sich zieht; und die Macht Satans, des Herrschers dieser Welt, der nicht entthront werden will.

Der Ort, an dem die Auseinandersetzung stattfindet, ist das Herz des Menschen, seine Freiheit. Dieser Kampf hat zwei Dimensionen: eine innere und eine äußere. Jesus, die Offenbarung des Vaters, übt eine starke Anziehungskraft aus; im Gegensatz dazu wirkt Satan dahin, die Anziehungskraft des Gekreuzigten und Auferstandenen zu neutralisieren. Jesus pflanzt ins Herz des Menschen eine Wahrheit, die frei macht, die satanische Macht hingegen wirkt Lüge, die versklavt. (…)
Dieser Zustand, in dem sich der Mensch befindet, nämlich zwischen zwei gegensätzlichen Kräften zu stehen, muss notwendigerweise zwei Kulturen hervorbringen: die Kultur der Wahrheit und die Kultur der Lüge.
In der Heiligen Schrift gibt es ein Buch, das letzte, die Apokalypse, die den Endkampf beider Reiche beschreibt. In diesem Buch nimmt die Anziehungskraft Christi die Gestalt eines Triumphes über die feindlichen, von Satan angeführten Mächte an. Es ist ein Triumph, der sich nach einem langen Kampf einstellt. Die Erstlingsfrüchte dieses Sieges sind die Märtyrer. „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt (…) Sie (die Märtyrer) haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und Zeugnis.“ (Offb 12,9.11)
Stellen wir in unserer westlichen Kultur nicht Fakten fest, die besonders deutlich diesen Zusammenstoß zwischen der Anziehungskraft des Gekreuzigten und Auferstandenen auf den Menschen einerseits und der von Satan errichteten Kultur der Lüge andererseits erkennen lassen? Meine Antwort ist ja. Insbesondere geht es da um zwei Fakten.
Das erste Faktum ist die Umwandlung der Abtreibung, eines Verbrechens also (ein verabscheuungswürdiges Verbrechen hat es das 2. Vatikanische Konzil genannt), in ein Recht. Ich spreche jetzt nicht von der Abtreibung als einer Handlung, die eine Person begeht. Ich rede von der höchsten Legitimation, die eine Rechtsordnung für ein Verhalten erteilen kann: Es der Kategorie des subjektiven Rechts zuzuordnen, eine ethische Kategorie also. Es bedeutet, das Böse gut zu nennen, das Dunkel Licht. „Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge“ (Joh 8,44) Es ist der Versuch, eine Gegenoffenbarung hervorzubringen.
Welche Logik bringt denn die Adelung der Abtreibung hervor? In erster Linie die Verleugnung der Wahrheit über den Menschen. Kaum war Noah dem Wasser der Sintflut entronnen, sprach Gott: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird durch Menschen vergossen. Denn: Als Abbild Gottes hat er den Menschen gemacht.“ (Gen 9,6) Der Grund, warum der Mensch nicht Menschenblut vergießen darf, ist: Der Mensch ist Abbild Gottes. Durch den Menschen verweilt Gott in Seiner Schöpfung; die Schöpfung ist Tempel Gottes, weil in ihr der Mensch lebt. Die Unberührbarkeit der Person des Menschen zunichte zu machen, ist ein sakrilegischer Akt gegen die Heiligkeit Gottes. Es ist der teuflische Versuch, eine Gegen-Schöpfung hervorzubringen. Durch die Adelung der Tötung des Menschen hat Satan das Fundament für seine „Schöpfung“ gelegt: Das Bild Gottes aus der Schöpfung herauszubrechen; in ihr Gottes Gegenwart zu verdunkeln.
Mit dem Moment, da man das Recht des Menschen bejaht, über Leben und Tod eines anderen Menschen zu verfügen, wird Gott Seiner Schöpfung verwiesen, weil Seine ursprüngliche Gegenwart geleugnet, Sein ursprünglicher Wohnsitz in der Schöpfung entheiligt wird: die menschliche Person.
Das zweite Faktum besteht in der Adelung der Homosexualität. Sie ist die totale Leugnung der Wahrheit über die Ehe, des Kerngedankens Gottes über die Ehe. Die göttliche Offenbarung hat uns kundgetan, wie Gott über die Ehe denkt: Die legitime Einheit von Mann und Frau ist Quelle des Lebens. In der Vorstellung Got­tes ist die Ehe eine dauerhafte Beziehung. Sie beruht auf der Dualität der Art, Mensch zu sein: als Frau, als Mann. Nicht gegensätzliche Pole, sondern der Eine für und mit dem Anderen. Nur so tritt der Mensch aus seiner ursprünglichen Einsamkeit heraus.
Eines der Grundgesetze, nach denen Gott das Universum regiert, ist, dass Er nicht allein agiert. Es ist das Gesetz der Mitwirkung des Menschen an der Herrschaft Gottes. Die Verbindung von Mann und Frau, die ein Fleisch werden, ist die menschliche Mitwirkung am Schöpfungsakt Gottes: Jeder Mensch ist von Gott erschaffen und von seinen Eltern gezeugt. Gott feiert die Liturgie Seines Schöpfungsaktes im heiligen Moment der ehelichen Vereinigung.
Fassen wir zusammen. Die Schöpfung ruht auf zwei Säulen: der Mensch, in seiner Besonderheit, die nicht auf Materielles reduziert werden kann; die eheliche Verbindung von Mann und Frau, als Ort, an dem Gott neue Menschen nach Seinem Abbild, Ihm ähnlich schafft. Die Erhebung der Abtreibung zum subjektiven Recht zerstört den ersten Pfeiler. Die Adelung homosexueller Beziehung und ihre Gleichstellung mit der Ehe ist die Zerstörung des zweiten Pfeilers.
Im Tiefsten ist dies das Werk Satans, der wirklich eine eigene Gegen-Schöpfung hervorbringen will. Es ist der letzte schreckliche Fehdehandschuh, den Satan Gott entgegen wirft. „Ich beweise Dir, dass ich imstande bin, eine Alternative zu Deiner Schöpfung zu schaffen. Und der Mensch wird sagen: In der alternativen Schöpfung lebt es sich besser als in Deiner.“
(…) Wie sollen wir uns in dieser Situation verhalten? Die Antwort ist einfach: Mitten im Zusammenprall der Schöpfung und der Anti-Schöpfung sind wir aufgerufen, Zeugnis zu geben. Und dieses Zeugnis besteht in unserer Art zu leben… Zeugnis zu geben, bedeutet auch, reden, sagen, verkünden – ungeniert und öffentlich. Wer nicht auf diese Art Zeugnis gibt, ist wie ein Soldat, der im entscheidenden Moment der Schlacht davonläuft. Wenn wir nicht ungeniert und öffentlich reden, sind wir nicht mehr Zeugen sondern Deserteure. Der Marsch für das Leben ist ein großes Zeugnis.
Zeugnis zu geben, bedeutet, die göttliche Offenbarung ungeniert und öffentlich zu bekunden und zu verkünden, und zwar jene ursprüngliche Augenscheinlichkeiten, die allein schon die recht gebrauchte Vernunft einsieht: nämlich das Evangelium vom Leben und von der Ehe.

Der Autor ist Erzbischof emer. von Bologna. Sein Beitrag ist ein Auszug aus seiner Ansprache beim Marsch für das Leben in Rom am 20. Mai 2017, zitiert in La Nuova Bussola Quotidiana v. 21. 5.17.


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