Der Mensch ist zu einer Lebensfülle berufen, die weit über die Dimensionen seiner irdischen Existenz hinausgeht, da sie in der Teilhabe am Leben Gottes selber besteht. Die Erhabenheit dieser übernatürlichen Berufung enthüllt die Größe und Kostbarkeit des menschlichen Lebens auch in seinem zeitlich-irdischen Stadium. Denn das Leben in der Zeit ist Grundvoraussetzung, Einstiegsmoment und integrierender Bestandteil des gesamten einheitlichen Lebensprozesses des menschlichen Seins. Eines Prozesses, der unerwarteter- und unverdienterweise von der Verheißung erleuchtet und vom Geschenk des göttlichen Lebens erneuert wird, das in der Ewigkeit zu seiner vollen Erfüllung gelangen wird.
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Das Leben, das Gott dem Menschen schenkt, ist anders und eigenständig gegenüber dem eines jeden anderen Lebewesens, weil der Mensch, auch wenn er mit dem Staub der Erde verwandt ist, in der Welt Offenbarung Gottes, Zeichen Seiner Gegenwart, Spur Seiner Herrlichkeit ist. Das wollte auch der hl. Irenäus von Lyon mit seiner berühmten Definition unterstreichen: „Der lebendige Mensch ist die Herrlichkeit Gottes“. Dem Menschen wird eine erhabene Würde geschenkt, die ihre Wurzeln in den innigen Banden hat, die ihn mit seinem Schöpfer verbinden: im Menschen erstrahlt ein Widerschein der Wirklichkeit Gottes selbst.
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Wie schon in Bezug auf die Sachwelt, so gilt noch mehr in Bezug auf das Leben, daß der Mensch nicht absoluter Herr und unanfechtbarer Schiedsrichter ist, sondern — und darauf beruht seine unvergleichliche Größe — „Vollstrecker des Planes Gottes“. Das Leben wird dem Menschen anvertraut als ein Schatz, den er nicht zerstreuen, als ein Talent, das er wirtschaftlich verwalten soll. Darüber muß der Mensch seinem Herrn Rechenschaft ablegen.
Aus Evangelium vitae 2, 34. 52.