Papst Franziskus hat in seiner ersten Predigt als Papst etwas angesprochen, was in der Kirche fast tabu war: die Existenz des Teufels. Der folgende Beitrag zeigt, wie wichtig es ist, das Thema in Erinnerung zu rufen:
Leszek Kolakowski war ein außergewöhnlicher Literat. Als junger Mann ein scharfer Kritiker der Kirche, war er ein führender marxistischer, polnischer Philosoph, bis er schließlich zu viele ungeschickte Fragen über das Leben in der Sowjetunion unter Stalin stellte und in den Westen verbannt wurde. Und dann geschah es, dass er ein Fan von Johannes Paul II. wurde sowie einer der großen Gelehrten des letzten Jahrhunderts.
Genau vor 30 Jahren hielt Kolakowski eine Vorlesung in Harvard mit dem Titel „The Devil in History“ (Der Teufel in der Geschichte). Schon zu Beginn seiner Rede herrschte Ungewissheit im Auditorium. Viele der Zuhörer kannten Kolakowskis Arbeit. Sie wussten, dass er scherzhaft zu sein vermochte und einen gefährlichen Sinn für Ironie hatte. Aber sie hatten keine Ahnung davon, was er mit seiner Vorlesung vorhatte.
An diesem Tag waren auch die Historiker Tony Judt und Timothy Garton Ash unter den Zuhörern. Etwa 10 Minuten nach Beginn des Vortrags lehnte sich Ash zu Judt hinüber und flüsterte ungläubig: „Nicht zu glauben. Er redet tatsächlich über den Teufel.“ Und er tat es wirklich.
In diesem Moment wurde die Engstirnigkeit der Kaste unserer Intellektuellen bloßgelegt: Neben Judt und Ash war die gesamte Zuhörerschaft einfach verblüfft, dass ein bekannter, weltgewandter Intellektueller, der fließend fünf Sprachen beherrschte, wirklich diesen „religiösen Unsinn“, wie es der Teufel und die Ursünde waren, glauben konnte. Genau das aber tat Kolakowski. Und er hat es wieder und wieder in seinen Werken wiederholt:
Beispielsweise: „Der Teufel ist Teil dessen, was wir erfahren. Unsere Generation hat diesbezüglich genug erlebt, um diese Botschaft äußerst ernst zu nehmen.“
Und: „Das Böse gehört durchgehend zur menschlichen Erfahrung. Es geht nicht darum, wie man sich dagegen immunisieren kann, sondern darum, wie man es erkennen und wie man sich vom Teufel abgrenzen kann.“
Und: „Wenn eine Kultur den Sinn für das Heilige verliert, verliert sie jeglichen Sinn.“
Kolakowski erkannte, dass wir unsere Kultur nicht wirklich verstehen können, wenn wir den Teufel nicht ernst nehmen. Der Teufel und das Böse sind ununterbrochen ebenso in der Geschichte der Menschheit am Werk wie im inneren Kampf, der sich in jeder menschlichen Seele abspielt. Angemerkt sei, dass Kolakowski – anders als unsere katholischen Führungspersönlichkeiten, die es besser wissen sollten – das Wort „Teufel“ nicht als Symbol für das Dunkle in unseren Herzen oder als bildlichen Ausdruck für das, was in der Welt geschieht, verwendet hat.
Er sprach von dem Geistwesen, das Jesus „den Bösen“ und „Vater der Lüge“ genannt hat – den gefallenen Engel, der unablässig daran arbeitet, Gottes Heilswirken und Jesu Rettungswerk zu durchkreuzen.
Daher ist das Evangelisieren der Kultur in gewisser Weise stets ein geistiger Kampf. Wir stehen in einem Kampf um die Seelen. Unser Gegner ist der Teufel. Und obwohl der Satan Gott nicht ebenbürtig ist und letztendlich besiegt werden wird, kann er doch in den Angelegenheiten der Menschen schweren Schaden anrichten. Die ersten Christen wussten das. Fast alle Seiten des Neuen Testaments sind ein schriftlicher Beleg für deren Wissen.
Die moderne Welt macht es einem schwer, an den Teufel zu glauben. Aber sie geht ja genauso mit Jesus um. Und genau darum geht es. Mittelalterliche Theologen verstanden das noch recht gut. Sie verwendeten einen lateinischen Ausspruch: Nullus diabolus, nullus redemptor. Wo kein Teufel, da kein Erlöser. Ohne den Teufel fällt es schwer zu erklären, warum Jesus in die Welt kommen musste, um zu leiden und für uns zu sterben. Wovon sollte Er uns denn auch erlösen?
Mehr als sonst jemandem ist dem Teufel genau das recht, nämlich dass man Jesu Mission ohne ihn nicht verstehen kann. Und er nützt das voll zu seinem Vorteil aus. Er weiß: Wenn wir ihn ins Reich der Mythen befördern, dann unterliegt Gott alsbald derselben Behandlung.
Jeffrey Russell, der eine bemerkenswerte vierbändige Geschichte des Teufels geschrieben hat, stellte einmal fest, dass nach der Figur Jesu, Marias und des Teufels sich das Faust-Thema in der Malerei, der Dichtkunst, den Romanen, Opern, Kantaten und Filmen des Westens besonderer Beliebtheit erfreut. Das könnte uns etwas lehren. Wer ist Faust? Er ist der Gelehrte, der seine Seele dem Teufel verkauft auf das Versprechen hin, dass dieser ihm die Geheimnisse des Universums zeigen wird.
Faust ist der Prototyp einer bestimmten Art von modernen Menschen, von Künstlern, Wissenschaftern, Philosophen. Faust geht an Gottes Schöpfung nicht als jemand heran, der nach Wahrheit, Schönheit und Sinn sucht. Er nähert sich ihr mit Ungeduld, um herauszufinden, wie man sie besser beherrscht und kontrolliert, und zwar mit der Wahnvorstellung, dies stehe ihm zu, dieses Wissen sollte eigentlich sein Erbteil sein. Gefangen in seiner eigenen Eitelkeit, zieht er es vor, seine Seele zu verkaufen, als sich vor Gott zu demütigen.
Faust stellt eine Lehre für unser Leben und unsere Kultur dar. Wo kein Glaube, da auch kein Begreifen, kein Wissen, keine Weisheit. Wir brauchen beides: Glaube und Vernunft, um in die Geheimnisse der Schöpfung, aber auch unseres eigenen Lebens einzudringen. Das trifft für den einzelnen ebenso zu wie für ganze Völker. Eine Kultur, die über Vernunft und deren Nebenprodukte – Wissenschaft und Technik – verfügt, der aber der Glaube fehlt, hat einen faustischen Handel mit (dem sehr realen) Teufel abgeschlossen, der nur in der Hoffnungslosigkeit und in der Selbstzerstörung enden kann.
Diese Kultur hat mit ihrem Reichtum, ihrer Macht und ihren materiellen Ressourcen die Welt erobert. Hat dabei aber ihre Seele verkauft.
Der Autor ist Erzbischof von Philadelphia. Sein Text ist die deutsche Fassung einer Kolumne des Erzbischofs auf
Catholicphilly.com v. 5. 6.17