"Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig“ – ist meiner nicht würdig: Diese Frage der Würde bzw. die Tatsache, dass ich unwürdig bin, hat mich in der Vorbereitung auf meine Priesterweihe schwer beschäftigt. Meine Sünde und Unwürdigkeit stand mir stark vor Augen und bedrückte mich. Aber wenn wir dabei stehenbleiben, verfälschen wir den Sinn des Wortes Gottes, verkennen wir den Sinn der Worte Jesu von Grund auf. Der heilige Johannes schreibt: „Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat… Und wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen.“ (1 Joh 4,10.16)
Das ist das Fundament. Im Glauben die Liebe Gottes erkennen und annehmen, die Liebe Gottes, die sich in der Hingabe Seines Sohnes offenbart. Wenn man nicht zuerst die Erfahrung der absoluten und bedingungslosen Liebe Gottes für uns gemacht hat, diese Liebe nicht im Herzen gespürt hat, kann man das heutige Evangelium gar nicht verstehen. Wenn ich nicht diese alles bestimmende Glaubenserfahrung gemacht habe, die der heilige Paulus beschreibt, wenn er von dem „Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20) spricht, kann meine Reaktion nur Auflehnung oder Entmutigung sein. Wenn ich nicht von der grenzenlosen Liebe Gottes berührt worden bin, wenn ich nicht stets die Liebe Christi vor Augen habe, diese Liebe, die für mich bis in den Tod ging, dann hat das alles keinen Sinn.
Kreuzesnachfolge ist kein Jagdkommando-Auswahlverfahren. Es geht nicht um Willensstärke: Zähne zambeißen, Kreuz aufnehmen und Marsch. Ich kann mich nicht per Willensakt dazu zwingen, das Kreuz zu schultern. Wenn ich das tue, so ist es im besten Fall sinnlos, im schlimmsten Fall sogar extrem schädlich, weil ich es dann nur aus Ehrgeiz und Stolz tue. Nein, Kreuzesnachfolge ist nur möglich und sinnvoll als Antwort auf die Liebe Gottes in Jesus Christus. Nur weil Er zuerst für mich sein Kreuz auf sich genommen hat, habe ich überhaupt die Möglichkeit, sehe ich den Sinn, meinerseits das Kreuz zu nehmen und ihm zu folgen.
(…) An und für sich bin ich Seiner Liebe unwürdig, das spür’ ich. Aber Er hat sich nun mal entschlossen, mich zu lieben, Er hat aus Liebe für mich Sein Leben hingegeben, Er hat mir den größten erdenklichen Liebesbeweis entgegengebracht. Er liebt mich. Das ist die Grundtatsache. Wenn ich die Erfahrung dieser grenzenlosen Liebe gemacht habe, hab’ ich nur mehr einen Wunsch: mich würdig zu zeigen und auf Liebe mit Liebe zu antworten. Das ist die Dynamik des christlichen Lebens: Von Gott in Jesus über alles geliebt zu werden und auf diese Liebe antworten zu wollen, wenn möglich, mit einer Liebe die genauso groß, ganz, restlos, bis ins Letzte gehend ist, wie die Liebe, mit der Er mich liebt.
Und als Priester stehen wir im Dienst dieser Dynamik des christlichen Lebens. Als Zeugen, dass es möglich ist, die Erfahrung dieser grenzenlosen Liebe Gottes zu machen. Als Zeugen, dass es möglich ist, auf diese Liebe mit Ganzhingabe zu antworten. Aber nicht nur als Zeugen, sondern auch als Mittler. Durch den Priester gibt Gott jedem von uns, in der Eucharistie, in der Beichte, in den Sakramenten, ganz konkret und persönlich, die Möglichkeit, Seine bedingungslose Liebe zu erfahren. Der Priester ist da, um den Raum zu schaffen, in dem wir diese Liebe erfahren können und ihr zu antworten lernen. Durch den Priester schenkt Gott sich uns in Liebe, damit wir uns Ihm in Liebe schenken können. Und diese unsere Liebe wird sich immer ausdrücken in der Nächstenliebe.
Auszug aus der Predigt bei seiner Heimatprimiz in der Pfarre St. Rochus, Wien, am 2. Juli 2017.