VISION 20005/1999
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Zeig uns den Vater, das genügt uns!

Artikel drucken Betrachtungen über die Liebe Gottes, des Vaters (P. Hans Buob)

Man spricht sehr oft von Jesus Christus. Ich glaube, da hat jeder von uns eine Beziehung: zum Gekreuzigten, zum Guten Hirten, zum Eucharistischen Herrn. Seit einiger Zeit spricht man auch wieder vom Heiligen Geist. Das kommt auch vom letzten Jahr, dem des Heiligen Geistes. Da hat man endlich etwas von diesem unbekannten Gott erfahren. Vom Heiligen Geist erfahren wir auch durch die verschiedenen Erneuerungsbewegungen. Sie sind ja alle Werke des Heiligen Geistes.

Aber, wer spricht vom Vater? Das Wort bei Matthäus (11,27) stimmt leider immer noch: "Niemand kennt den Vater, außer der Sohn." Niemand kennt den Vater. ... Denn dafür ist Er in die Welt gekommen. Das war Seine Sehnsucht - vom Vater zu sprechen. "Denn alles, was ich zu sagen hab', hab' ich vom Vater gehört: Ich tue nichts aus mir selbst, sondern nur, was ich den Vater tun sehe."

Und wenn wir Gott Vater nennen können, ja wenn wir Ihn Vater nennen dürfen, ja sogar sollen, ist das etwas so Großes, daß wir eigentlich Angst haben müssen, wenn wir das Wort Vater zu oft gebrauchen. Nämlich, daß die Kraft dieses Namens verloren geht. Nach diesem Namen wird jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden benannt, schreibt Paulus im Ephesebrief (3,14).

Und Paulus fordert alle auf, mit ihm zusammen vor dem Vater die Knie zu beugen. Nur Jesus konnte vom Vater so reden, wie es dem Vater geziemt. Denn niemand kennt den Vater, nur der Sohn.

Jeder Verkünder hat sein Lieblingsthema. Und das Lieblingsthema Jesu war der Vater, in Seiner Predigt, in Seiner Verkündigung. Wenn Jesus vom Vater spricht, dann machen die Jünger große Augen. Es erfaßt sie eine ganz tiefe Sehnsucht. Und so ruft Philippus begeistert aus: "Zeig' uns den Vater und es genügt uns!" (Joh 14,8) Da muß ja etwas vorausgegangen sein. Jesus muß ja vom Vater geredet haben, daß dem Philippus das Herz aufgegangen ist.

Doch für Jesus ist der Vater nicht ein Thema, das man abhandelt. Für Ihn geht es da um Seinen "Abba", wie er Ihn ganz zärtlich nennt. Sein Abba, der Ihm Seine Herrlichkeit und Seinen Namen gegeben hat noch vor Erschaffung der Welt. Abba ist das Vaterwort aus der Familie. So nennt das Kind den Vater in der Familie. Man kann es schlecht übersetzen. Selbst wenn man Papa sagt, hat man es noch nicht ganz getroffen. Es ist eine kleinere Form. Man kann es eigentlich nur Schwäbisch übersetzen: "Papele". So nennt Jesus Seinen Papa.

Und zu diesem Vater fühlt sich Jesus hingezogen. Seine einzige Sehnsucht auf Erden besteht darin, den Menschen den Vater zu zeigen. Denn Er beschließt Seine Verkündigung des Himmelreiches mit den Worten: "Ich habe ihnen Deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der Du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin." (Joh 17,26) Das Ziel war immer der Vater.

Sogar Sein Leiden muß der Offenbarung des Vaters dienen. Bei Johannes (14,13) heißt es: "Die Welt soll erkennen, daß ich den Vater liebe." Und deshalb sagt Er, als Er Seinem Leiden entgegengeht, zu Seinen drei Jüngern: "Jetzt ist die Stunde da, wo der Vater verherrlicht ist."

Wie kommt es eigentlich zur Ablehnung Gottes als Vater?

Im Römerbrief (5,6-11 und 8,32) spricht der Apostel Paulus von der Liebe Gottes, des Vaters, zu uns als dem Urquell, aus dem die Erlösung hervorgeht. Wir reservieren die Erlösung eigentlich immer nur Jesus. Als ob der Vater Zuschauer auf der Welttribüne gewesen wäre. Aber Urquell, aus der die Erlösung hervorkommt, ist die Liebe des Vaters.

Gott, der Vater, hat Seine Liebe zu uns darin erwiesen, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, also überhaupt nichts dazu beitragen konnten. Aber wer hat uns Seine Liebe erwiesen? Der Vater!

Weiter heißt es (Röm 8,32): Er habe Seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben. Ihr Väter und Ihr Mütter, was für eine Liebe müßtet Ihr für einen Menschen haben, wenn Ihr Euer Kind hingebt? Und wie würdet Ihr leiden, wenn Ihr es hingebt? Könntet Ihr da einfach zuschauen? Was für eine Liebe! und was für ein Leid! Gott Vater zeigt Seine Liebe zu uns, indem Er den eigenen Sohn dem Tod überliefert.

Für menschliches Denken ist das überraschend, fast skandalös. Denn Christus ist doch für uns gestorben, nicht der Vater. Kann man sagen, wie es viele tun, es sei die Grausamkeit des Vaters, der den Sohn sterben ließ? Oder zumindest Seine unbeugsame Gerechtigkeit, die das forderte? So sehen ja viele Gott. Es ist ja etwas Wahres dran. Aber ich muß das im Zusammenhang sehen, um den Vater, den Urquell unserer Erlösung, Seine Liebe, die alles riskiert hat, zu verstehen.

... Eigentlich beruhen die menschlichen Vorbehalte gegen Gott als Vater darauf, daß es in der Welt überhaupt Leid gibt. Der Mensch leidet - und Gott nicht! Der Sohn Gottes hat gelitten, während der Vater unberührt blieb. Deshalb opponieren wir gegen Gott als Vater.

Deshalb ist es wichtig, mit Hilfe des Heiligen Geistes ein wenig Licht in diese Wirklichkeit zu bringen.

Die Heilige Schrift zeigt uns sehr deutlich, daß Gott leidet. Im Alten Testament heißt es, daß es Gott in Seinem Herzen wehtat, den Menschen geschaffen zu haben. (Gen 6,6) Herz ist in der Bibel immer die innerste Mitte der Person. Das ist Leiden.

Nach dem Psalm (78,40) wurde Er in der Wüste gekränkt. Vom Anfang bis zum Schluß ist die Heilige Schrift voll von bitteren Klagen Gottes, die in den Worten (Mich 6,3) Ausdruck finden: "Mein Volk, mein Volk, was habe ich dir getan, womit bin ich dir zur Last gefallen? Antworte mir!"

Der tiefste Grund für diese Klage ist der Verrat an der Liebe des Vaters. Beim Propheten Jesaja (1,2) heißt es: "Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind von mir abgefallen." Tiefster Grund für diese Klage: der Verrat an der Liebe des Vaters.

Aber Gott verfällt nicht in Selbstmitleid, das wäre eine Unvollkommenheit. Ihm fehlt dadurch nichts. Er ist vollkommen. Er ist vielmehr besorgt um den Menschen. Ihm geht es um den Menschen, der abgefallen ist. Denn keiner kann ohne die Liebe leben. Und glücklich sind Sie nur, wenn Sie sich voll und ganz und bedingungslos geliebt wissen.

Deshalb geht es nicht darum, daß Gott Menschen braucht, die Ihn lieben, sondern Er will, daß der Mensch glücklich ist. Und das ist er nur, wenn er lieben kann. Und zwar etwas Vollkommenes, das ihn nicht enttäuscht. Alle Ihre Sehnsüchte gehen dahin. Deshalb will Gott geliebt werden. Nicht weil Er das brauchen würde. Nur wenn wir diesen vollkommenen, unendlichen, ewigen Gott lieben können, sind wir glücklich, weil die Liebe sich nach diesem Unendlichen sehnt. Mit einem begrenzten, sterblichen Menschen kann sie nicht zufrieden sein. Um unseres Glückes willen will Gott geliebt werden. Er läßt sich von uns lieben, das ist Seine Liebe zu uns.

Gott verfällt also nicht in Selbstmitleid, denn Ihm fehlt ja nichts. Ihm geht es um den Menschen. Er ist besorgt um den Menschen, der verloren geht, wenn er von Ihm abfällt. Es ist also bei Gott, dem Vater, ein Leiden aus Liebe. Aus reiner Liebe ist er bekümmert. Das ist nichts Unvollkommenes.

Unser Leiden ist immer ein Manko. Bei Gott ist das nicht der Fall. Bei Gott ist das Ausdruck Seiner Liebe, Seiner Vollkommenheit, kein Selbstmitleid.

... Eigentlich müßte Gott diese Welt gerechterweise vernichten. Stattdessen sind wir Zeugen des genauen Gegenteils. Er tut alles, um sie zu retten. Wenn ich nur daran denke, daß zur Zeit rund 100 Marienerscheinungen auf der Welt stattfinden - das ist kein Dogma, jeder kann darüber denken, wie er will und ich weiß auch nicht, ob alle echt sind. Gott vernichtet die Welt nicht, Er will sie retten. Das ist die Liebe des Vaters, der Ursprung der Erlösung.

Der Prophet Hosea (11,8f) bringt das folgendermaßen zum Ausdruck: "Wie könnte ich dich preisgeben, Israel, wie dich aufgeben, Ephraim! Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf, ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken."

Das ist Gott: "Mein Herz wendet sich gegen mich" - nicht gegen uns. Sein Mitleid lodert auf - das ist Sein Wort zu mir!

... Origines schreibt in einer Homilie zu Ezechiel: "Der Erlöser ist aus Mitleid mit dem Menschengeschlecht auf die Erde herabgestiegen. Er hat unsere Leiden getragen, noch bevor Er am Kreuz gelitten hat, noch bevor Er sich gewürdigt hat, unser Fleisch anzunehmen. Denn wenn Er sie nicht schon vorher getragen hätte, wäre Er nicht gekommen, um das menschliche Leben mit uns zu teilen."

"Welcher Art ist dieses Leiden", fragt er, "dem Er sich von Anfang unterworfen hat?" Und er sagt: "Es ist das Leiden der Liebe. Der Vater selbst, ... Er, der voll Erbarmen und voll Mitleid ist, leidet Er etwa nicht in irgendeiner Weise? Oder weißt du etwa nicht, daß Er, wenn Er sich der menschlichen Dinge annimmt, menschliches Leid erfährt? Er erleidet eine Passion der Liebe." So Origines.

Der Vater erleidet eine Passion der Liebe - und auch Jesus, der Sohn. Die ganze Dreifaltigkeit ist immer in den ganzen Erlösungsvorgang einbezogen. Origines führt zu dem Punkt, wo man sich entscheiden muß, ob man an einen Gott der Liebe glaubt oder nicht. Wenn ich an einen Gott der Liebe glaube, weiß ich, daß Er ein Gott des Leidens ist - um meinetwillen! Um den Knecht zu erretten, gabst Du den Sohn dahin. Ein verrückter Gedanke!

... Sicherlich haben die Worte Passion und Leiden, auf Gott angewandt, eine analoge Bedeutung, die verschieden ist, wie wir Leiden im menschlichen Bereich erfahren.

Bei Gott handelt es sich um ein unendlich freiwilliges Leiden, das nicht aus irgendeiner Notwendigkeit herkommt oder aus einem blinden Schicksal. Bei uns geschieht das. Bei Gott ist Leiden ein Ausdruck der unendlichen Freiheit Gottes. Es ist ein unendlich freiwilliges Leiden, nicht eines, wie wir es oft bezeichnen, das niederdrückt, das ein Manko ist, sondern etwas Vollkommenes, weil es zur Liebe gehört.

Sie kennen Johannes vom Kreuz. Er hat unheimlich körperlich gelitten, wurde auch schlecht behandelt, sodaß er früher gestorben ist, als er hätte sterben müssen. Und als Jesus ihn fragt: Johannes, Du hast so schöne Sachen über mich geschrieben, was wünschst Du Dir?" Antwortet Johannes vom Kreuz: "Weiterleiden." Das ist nicht leicht zu verstehen. Johannes vom Kreuz war schon so tief in Gott hineingenommen, daß für ihn Leiden nicht mehr Manko war, sondern die höchste Form des Ausdrucks seiner Liebe zu Gott. Also etwas Positives. Wir können das nicht nachvollziehen, können aber staunen.

Rein logisch aber werden Sie verstehen: Wenn jemand für mich leidet, sein Leben für mich hingibt, muß er eine ganz große Liebe für mich haben. Für ihn wird die Hingabe seines Lebens nicht Manko, sondern Ausdruck seiner Liebe zu mir sein.

Bei Gott ist das Leiden nicht ein Manko, etwas, was Ihm abgeht, eine Notwendigkeit, gegen die Er sich nicht wehren kann, sondern es ist die Höchstform, wie Er Seine Liebe für uns ausdrückt. Darum kann man Liebe nicht analysieren. Ich kann Liebe nicht erklären.

Darum sagt Jesus in Seiner Todesnot: Wie sehne ich mich danach, diesen Kelch zu trinken. Das ist vollkommene Liebe.

Es ist also kein blindes Schicksal. Es ist das Leiden des Leidensunfähigen, wie es der heilige Gregor, der Wundertäter, nennt. Wäre Gott total unfähig zu leiden, so einer der Kirchenväter, wäre das eine Einschränkung für Gott und ein Zeichen mangelnder Freiheit. Gott kann, wenn Er will, auch leiden, und da Er liebt, will Er leiden. Dieses Leiden Gottes ist Zeichen einer unendlichen Souveränität.

Jesus, zeig uns den Vater. Wer den Leidenden am Kreuz sieht, erkennt die Liebe des Vaters.

Auszug aus dem ersten Vortrag P. Buobs am 31.7.99 am Sonntagberg

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