VISION 20005/1999
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Wenn der Bischof kommt

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Begeben wir uns also zum Anwärmen gleich einmal mitten in den katholischen Suppentopf: Tatort Deutschland, eine beliebige katholische Pfarrgemeinde. Der Bischof kommt. Insider nennen diesen Vorgang Visitation. Früher sah dabei der Bischof in einer Pfarrgemeinde nach dem rechten. Das ist heute anders.

Heute ist es eher die Pfarrgemeinde, die den Bischof visitiert. Und das geht dann so: Zeitig vor dem Ereignis trifft sich der Pfarrgemeinderat, bestehend aus engagierten katholischen Christen mittleren Alters, und berät: Was fragen wir den Bischof?

Nach monatelangen Debatten kommen völlig überraschenderweise unfehlbar folgende vier Themen zustande. Erstens, Sexualität und Kirche oder: der Papst und die Kondome; zweitens, der Zölibat als Problem oder: fällt er nicht, haben wir nicht mehr genug Priester; drittens, Frauen und Kirche oder: ohne Frauenpriestertum keine Gleichberechtigung, und schließlich viertens, der römische Zentralismus, die Unfehlbarkeit des Papstes, zu wenig Demokratie in der Kirche oder: Wir haben sowieso nichts zu sagen.

Analaysiert man diese Diskussionsthemen, so muß man zugeben, daß sie aus sehr unterschiedlichen Bereichen stammen. Strenggenommen haben sie lediglich eines gemeinsam: Der Bischof kann auf all das nur unbefriedgend antworten. ...

Nach der Visitation gehen die Mitglieder des Pfarrgemeinderates nachdenklich nach Hause, man redet noch miteinander über dies und das.

Schließlich sagt einer mit einem tiefen Seufzer: "Wir haben uns so große Mühe gemacht, aber er hat alle unsere Fragen unbefriedigend beantwortet."

Auch der Bischof fährt bedrückt nach Hause zurück. Seinem Fahrer sagt er: "Wissen Sie, das war wieder das gleiche wie in der vorigen Gemeinde, immer die gleichen Themen, aber über die Besonderheiten und Talente dieser Gemeinde habe ich wieder so gut wie nichts erfahren."

Psychologisch nennt man das eine sorgfältig geplante Frustration.

Auszug aus: Der blockierte Riese, Manfred Lütz, Preis: ÖS 219.-

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