Viele fragen sich, wie man heute in einem zunehmend geistig feindlichen Umfeld als Christ überleben kann. Rod Dreher hat sich in seinem Buch The Benedict Option Gedanken darüber gemacht. Er greift auf das Modell des heiligen Benedikt zurück: die Gründung tief vom Glauben geprägter Zentren mitten im heidnischen Umfeld. Gespräch mit Rod Dreher:
Was kennzeichnet die geistige Krise, von der Sie sprechen?
Rod Dreher: Diese Krise hat mehrere Ursachen. Die „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.) ist eine von ihnen. Das Wirtschaftssystem, das mangelnde Verwurzelung begünstigt, ist eine weitere. Dann gibt es da noch die sexuelle Revolution und den Aufstand gegen die Autorität, die von der Generation der 68-er salonfähig gemacht wurden. Was sie alle gemeinsam haben, ist die mangelnde Metaphysik. Wir haben im Westen den Sinn für das Sakramentale im Leben verloren. Die Menschen haben darauf vergessen, „dass alles überall mit Seiner Gegenwart erfüllt ist“. Da ist es kein Wunder, dass das Christentum in einer solchen Kultur verschwindet oder zum Schatten seiner selbst wird.
Worin besteht nun Ihre „benediktinische Option“?
Dreher: Der Hauptgedanke ist: Christen können heute nicht mehr einfach ganz normal dahinleben; es gilt, in Gemeinschaft innovative Ansätze zu entwickeln, die es uns ermöglichen, in einer immer feindlicheren Umwelt unseren Glauben zu bewahren. Es geht darum, sich radikal zu einem Christentum der Gegenkultur zu bekennen, zu einer neuen Lebensform, damit sich unsere Kinder und wiederum deren Kinder nicht dieser Welt gleichförmig machen. Das bedeutet: mit Glauben und Inspiration zu überleben lernen, sein Gebetsleben vertiefen, die Familie und die Gemeinschaft ins Zentrum stellen, Kirchen bauen sowie Schulen und andere Einrichtungen, in denen der christliche Glaube während der Sintflut überleben und sich entfalten kann.
Wodurch unterscheidet sich das von einem simplen, ängstlichen Rückzug aus der Welt oder deren Verachtung?
Dreher: In diesem nachchristlichen Zeitalter hier im Westen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir in derselben Lage sind wie die Juden im babylonischen Exil. Bei Jeremia 29, 4-9 sagt Gott Seinem Volk, es solle sich in der Stadt einrichten und darum beten, dass es dort in Wohlstand und Frieden leben könne. Das ist ein gutes Programm für Christen heute. Vergessen wir aber nicht die Geschichte der drei Juden, Schadrach, Meschach und Abed Nego (Dan 3,8-23). Sie waren dermaßen in die babylonische Gesellschaft integriert, dass sie am Hof des Königs lebten.
Allerdings waren sie wiederum nicht so gut assimiliert, dass sie dem Befehl des Königs, den von ihm errichteten Götzen anzubeten, gefolgt wären. Sie wählten eher den Tod, als vom Glauben abzufallen – einen Tod, vor dem ein Wunder der göttlichen Barmherzigkeit sie bewahrt hat (Dan 3,24-30). Es stellt sich also die Frage: Wie war es möglich, dass diese drei Männer imstande waren, dem König zu dienen, gleichzeitig aber so tief im Glauben verankert zu sein, dass sie den Tod der Verleugnung des Herrn vorgezogen haben? Genau das ist die Frage, die wir uns heute als Christen stellen müssen.
Wieso ist es heute so dringend notwendig, in unseren westlichen Gesellschaften zu missionieren und den Glauben weiterzugeben?
Dreher: Die erstaunliche Wiedergeburt des Benediktiner-Klosters in Norcia, das Napoleon 1810 geschlossen hatte, zeigt, dass Auferstehung möglich ist. 1998 hat P. Cassian Folsom, ein amerikanischer Mönch, das Kloster an dem Ort, an dem Benedikt geboren wurde, wieder eröffnet und es zu einer Stätte gemacht, an der die Messe auf traditionelle Weise (im ordentlichen Ritus) gefeiert wird. Eigentlich sollte es diese Mönche gar nicht geben – aber sie sind nun einmal da. Das gibt uns allen Hoffnung.
Wenn die Familien und die Pfarren jedoch nicht auf die eine oder andere Weise auf diese „Benediktinische Option“ setzen, so sagte mir P. Cassian, dann werden sie für das bevorstehende Unwetter nicht gerüstet sein.
Welche Bedeutung messen Sie den kreativen Minderheiten bei und wie definieren Sie diese?
Dreher: Ich habe diesen Begriff von den „kreativen Minderheiten“ in den Schriften von Kardinal Ratzinger entdeckt. Er stammt vom Historiker Arnold Toynbee. Für diesen rührt die Stärke jeder Zivilisation von den kreativen Minderheiten, also von Gruppen, die innerhalb dieser Zivilisation Ideen und Methoden entwickeln, die es ihnen gestatten, in lebensgefährdenden Situationen standzuhalten. Das ist die Rolle, die der Prophet Jeremias den Juden in Babylon zuschreibt. Dazu hatten sie eine tief verwurzelte, starke und kohärente Identität zu entwickeln, der sie treu bleiben mussten.
Das war umso schwieriger als Gott ihnen auftrug, sich in den Dienst der heidnischen Mehrheit in Babylon zu stellen. Sie mussten einen Weg finden, um diese Mission zu erfüllen, ohne sich von diesem Milieu vereinnahmen zu lassen und in ihm aufzugehen. Benedikt XVI. war davon überzeugt, dass dies die Situation des nachchristlichen Europa ist. Ich würde hinzufügen, dass dies für den gesamten nachchristlichen Westen zutrifft.
Das Gespräch mit dem Autor von The Benedict Option führten Charles-Henri d’Andigné und Samuel Pruvot für Famille Chrétienne v. 30.9.17