VISION 20006/2017
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Gott wurde Mensch – tatsächlich!

Artikel drucken (Guido Horst)

Die Wurzel des christlichen Glaubens ist eine historische. Womit gesagt sein soll, dass die in den Schriften des Alten und Neuen Testaments aufgezeichnete Offenbarung Gottes, das Sichzeigen des Schöpfers in der Geschichte, tatsächlich geschehen ist. Genau das (…) hat sich wirklich ereignet. Einfach so, wie auf der Erde die Dinge nun einmal passieren: an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit; und wer dabei ist und zuschaut, kann darüber berichten, in der Zeitung schreiben, sich später daran erinnern und es seinen Kindern oder Enkeln erzählen.

Eine solche Voraussetzung klingt heute fast wie ein Sakrileg: Dass eine reale, konkrete, fleischliche Offenbarung Gottes unmöglich ist, stellte ein Grunddogma des aufgeklärten Denkens dar, das die geistige Elite der westlichen Welt seit über zweihundert Jahren dominiert.
(…) Die Behauptung, dass die konkrete Selbstoffenbarung Gottes unmöglich ist, stellt den äußersten Versuch der Vernunft dar, selbst das Maß des Wirklichen zu sein. Die Vernunft selbst will das Maß dessen bestimmen, was in der Welt möglich und was unmöglich sein soll. Und dass es einen Gott geben könnte, der nicht nur als Idee, sondern als Mensch unter den Menschen war und der nicht als Idee, sondern in der konkreten, berührbaren Wirklichkeit der Kirche und ihrer Mitglieder weiterlebt, ist eine Hypothese, die den Vertretern der Maßstäbe setzenden Vernunft unerträglich erscheint.

(…) Was wäre, wenn die Berichte über einen menschgewordenen Gott wahr wären, über einen Gott, der gelebt hat und am Kreuz hingerichtet wurde, dann aber auferstanden ist? Wenn sie so wahr wären, wie es wahr ist, dass Hannibal die Alpen überrschritten, Kolumbus den amerikanischen Kontinent entdeckt und Dante die Göttliche Komödie geschrieben hat? Hätte diese Wahrheit konkrete Konsequenzen für unser persönliches Leben? Und wenn ja – welche?

(…) Das Christentum (…) ist keine Idee, auch keine religiöse sondern es ist eine Geschichte. Geschichten haben einen konkreten Ausgangspunkt und einen nachvollziehbaren Verlauf durch die Zeit Ausgangspunkt der Geschichte des Christentums war Jesus Christus, seine Fortdauer in der Geschichte fand es in der von Christus gegründeten Versammlung der Christgläubigen, der Kirche. Man hat versucht, die Geschichtlichkeit des Christentums und vor allem die historischen Aussagen der Evangelien, die diese Geschichtlichkeit verbürgen – auf die verschiedensten Weisen aufzulösen. Große Heiligengestalten verwies man in das Reich der Legende, die Ursprünge des christlichen Glaubens wurden aus hellenistischen und vorderasiatischen Denktraditionen heraus erklärt und somit wieder in das Reich der Ideen projiziert, die Evangelien selbst machte man zum symbolträchtigen Ausdruck der religiösen Erfahrungen späterer Christengenerationen.

Dennoch fällt der Glaube an die Epiphanie, an das Erscheinen des menschgewordenen Gottes auf Erden an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit, immer wieder auf fruchtbaren Boden. Kein Vorurteil und keine scheinbar noch so begründete Alternative haben die Möglichkeit einer Selbstoffenbarung Gottes endgültig und für alle Zeiten widerlegen können. Der christliche Glaube gibt allem Anschein nach auf Fragen und Hoffnungen eine Antwort, die dem innersten Sehnen des menschlichen Herzens zutiefst entspricht.

Der Autor ist katholischer Journalist, Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur des Vatican-magazins.
Sein Beitrag ist ein Auszug aus der Einleitung seines neuen Buches Kirche neu erzählt – siehe Besprechung siehe "Lesenswerte Bücher" in dieser Nr. 6/17


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