Pornographie ist zum Massenkonsumartikel geworden, über Internet und Smartphone jederzeit zugänglich, schon für Kinder. Wie kann man sie und sich selber schützen? Und was tun, wenn man selbst anfällig ist? Gespräch mit dem Vorstand von „Safersurfing“:
Gibt es halbwegs klare Vorstellungen, wie weit verbreitet der Konsum von Pornographie ist?
Phil Pöschl: Wir sind ein kleiner Verein aus Brunn am Gebirge und hatten in den letzten 10 Jahren über 8,5 Millionen Webside-Aufrufe bei 1,8 Millionen Besuchern. Wir sind offenkundig auf ein Thema gestoßen, das für viele bedeutsam ist. Wir selbst haben Umfragen gemacht und sind überrascht zu erkennen, dass etwa jeder zweite Mann sagt, er habe im letzten Jahr bewusst Pornographie konsumiert. Zu meiner Überraschung sagen dies auch 20 Prozent der Frauen. Das trifft vor allem auf die heranwachsende Generation der Mädchen zu. Dabei rede ich von Zahlen aus kirchlichen Kreisen.
Unfassbar…
Pöschl: Ich begleite auch Priester, die mit diesem Problem kämpfen. Auch Priester und Ordensleute haben eben heutzutage Internet, Smartphones. Ist man dann enttäuscht, erschöpft, entmutigt, kann der Wunsch entstehen, sich etwas „Gutes“ zu tun… Und dann gönnt man sich einen Blick auf diese falsche Liebe…
Wie spielt sich das Einsteigen in die Pornographie ab?
Pöschl: Unseren Umfragen zufolge findet der Einstieg im Durchschnitt mit zwölf Jahren statt – Mädchen und Jungs: gleiches Alter. Es gibt Fälle, in denen der erste Kontakt mit drei Jahren stattfindet.
Drei Jahre!?
Pöschl: Wir werden viel in Volksschulen eingeladen, weil es dort Pornokonsum – und zwar Gewaltpornos – gibt. Acht- und Neunjährige konsumieren das. Hier handelt es sich um ganz normale Volksschulen. Elternvereine oder Lehrer rufen uns an, weil sie dieses Problem in der Schule haben – im Pausenhof. Schüler haben das auf ihren Handys mitgebracht. Die Kinder hätten die Bilder gesehen und seien verstört. „Wie sollen wir damit umgehen?“, werden wir dann gefragt. Zurück zu den Dreijährigen: Ein Fall in den letzten 18 Monaten. Da haben die Eltern das Kind mit einem Tablet, auf dem Pornos gelaufen sind, ruhig zu stellen versucht. Der jüngste Pornographie-Abhängige, den ich kennengelernt habe, war sechs Jahre alt. Er kam nicht mehr davon los, konnte weder lesen noch schreiben, wusste aber, wie er auf pornographisches Material stoßen konnte.
Eine Epidemie also…
Pöschl: Ja, nicht nur in Österreich. Mittlerweile haben wir weltweit Einladungen, um über das Thema zu sprechen, in den deutschsprachigen Ländern vor allem im katholischen und freikirchlichen Raum…
Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Pöschl: Ich bin im Alter von acht Jahren auf Pornographie gestoßen. Da habe ich in einem Papier-Container ein Porno-Magazin gefunden, war entsetzt, habe Scham gespürt. Es hat mir davor gegraut. Auf der anderen Seite war ich fasziniert, es wurde mir da eine Welt aufgetan – und bin mit zwölf Jahren so richtig eingestiegen: durch Fernsehen, Computer… 14 Jahre war ich mit Pornographie unterwegs, bis mich meine Verlobte einmal erwischt hat – und es nicht so toll gefunden hat. Ich habe ihre Tränen gesehen, sie war verletzt. In all den Jahren war bei mir allerdings der Wunsch da, aus dieser Sucht herauszufinden. Wir haben dann Hilfe gesucht, haben mit anderen Leuten gesprochen und es auch zum Thema gemacht. Sowohl meine Frau – sie war, wie gesagt, verletzt – wie auch ich haben Hilfe bekommen. Licht kam in unser Leben! Und wie wir aus der Heiligen Schrift wissen, verdrängt das Licht die Finsternis. Jahre später kam der Gedanke von Gott her, wir, meine Frau und ich, könnten ein Seminar zum Thema machen und haben eines organisiert. Zu diesem Seminar kamen 250 Leute! Im ersten Jahr gab es dann drei, im nächsten bereits 20 Veranstaltungen… Mittlerweile haben wir vor 42.000 Personen gesprochen, haben sechs Angestellte, 35 ehrenamtliche Mitarbeiter, katholische und freikirchliche. Ich selbst bin Obmann des Vereins, allerdings nur nebenberuflich engagiert…
Wie kann man Kinder und Jugendliche davor schützen, in diese Misere hineinzugeraten?
Pöschl: Man kann sehr wohl etwas machen – es ist wichtig, das zu wissen. Eltern sind oft verzweifelt, meinen, man könne nichts tun, denn wenn schon nicht zu Hause, so schauen sich die Kinder all das eben bei den Nachbarn, in der Schule an… Dennoch: Man beginne zu Hause. Dort alles sicher machen: Die Computer, die Geräte daheim mit einer gescheiten Software ausstatten, die Pornographie blockieren kann. Das geht auch für Smartphones, Laptops…
Wie kommt man aber zu solchen Hilfen?
Pöschl: Wir beraten siehe: www.safersurfing.org im Internet. Da kann man sich informieren. Dort findet man entsprechende Software, aber auch Berichte von Eltern, wie es ihnen mit ihren Kindern ergangen ist, was man alles tun kann.
Ist das die Lösung?
Pöschl: Nur ein Teil. Ganz wichtig: Mit den Kindern über Sexualität zu reden – immer altersentsprechend, sensibel, früh anfangen…
Was heißt früh?
Pöschl: Es beginnt beim Windelwechseln, die Dinge beim Namen nennen, nichts übertreiben, auf Anfragen der Kinder normal antworten. Wenn sie mit drei wissen wollen, woher die Babys kommen, nicht den Storch bemühen, sondern sagen, wie es ist, ohne Details, die Kinder schalten meist eh schnell ab.
Also auf Fragen adäquat reagieren?
Pöschl: Absolut. Aber auch aktiv ansprechen – und zwar relativ früh. Damit ich es bin, der mein Kind aufklärt, und nicht die Porno-Industrie. Christliche Eltern müssen sich dieser Herausforderung stellen. Von politischer Seite gibt es Bemühungen, dies den Eltern abzunehmen, etwa in der Schule. Viele Eltern sind darüber froh – aber zu Unrecht. Sexualaufklärung ist Sache der Eltern – und dann kommt Lichtjahre nichts…
Was ich in Schulen erlebe von Organisationen, die dort unterwegs sind – ich bin schockiert, was da an Sexualunterricht abläuft. Lehrer dürfen in der Klasse nicht anwesend sein, Kinder werden eingeschüchtert, nichts zu sagen… Aber zurück zur Frage, wie man Kinder schützt: Ich kann sie also selbst aufklären, sie stärken, auch das Thema Pornographie ansprechen. Dann gibt es Gelegenheiten, wie etwa, dass man auf der Straße eher spärlich bekleidete Frauen sieht und das Kind darauf anspricht, wie es das empfinde.
Wichtig ist auseinanderzuhalten: Sexualität und Pornographie. Das Eine ist real und sehr schön, das Andere virtuell, unecht, hässlich und kann den Menschen nicht erfüllen. Im Jugendalter kann man dann auch – ohne auf Details einzugehen – besprechen, wie es im Pornobereich zugeht: dass Frauen das meist nicht freiwillig tun, fast durchwegs unter Alkohol und Drogen stehen, dass sie die Männer hassen und, was da abläuft, dass sie Angst haben, krank zu werden… Der Mensch wird dort wie eine Ware behandelt – und genau das ist menschenunwürdig. Denn der Mensch ist Geschöpf Gottes. Ein Priester hat zu dem Thema einmal gesagt: „Der Mensch wurde geschaffen, um geliebt, die Dinge, um verwendet zu werden. In unserer Gesellschaft ist es umgekehrt: Wir lieben die Dinge, das Smartphone, den Hamburger, mein cooles Outfit – und verwenden, gebrauchen den Menschen.“
Wie kann man Kinder stärken, damit sie standhalten, wenn rundherum Pornos geschaut werden?
Pöschl: Es ist schwer, weil Porno- und Spielindustrie aggressiv werben. Dennoch muss ich nicht resignieren. Da ist es wichtig, dem Kind bewusst zu machen, wie kostbar es ist. Besonders den Mädels muss man das vermitteln. Sehen sie Pornos, ist ihre Reaktion meist: Das ist Sexualität – das muss ich über mich ergehen lassen – nein! Man muss sie stärken, nein sagen zu können. Wichtig ist, von ihrer Schönheit zu sprechen. Ein Appell besonders an die Väter, sie auf ihre innere Würde aufmerksam zu machen. In unserer Familie gehen wir immer wieder mal zu einem organisierten Vater-Sohn– oder einem Mutter-Tochter-Wochenende – zusätzlich zu der Zeit, die wir auch sonst miteinander verbringen: ein herzliches Zusammensein, das die Kinder bestärkt. Und dann gilt es auch, diese Themen in der Familie anzusprechen – ohne Peinlichkeit. Man muss Licht in diese Dunkelheit bringen, damit sie weicht.
Kann man wirklich helfen?
Pöschl: Mit den Jugendlichen haben wir meistens eher präventiv zu tun. Oft sprechen wir bei Jugendveranstaltungen, bei denen es im Anschluss Workshops gibt. Dann melden sich bei den meisten Gruppen 15 bis 20 Jugendliche an, bei uns 200. Daran erkennen wir, dass unser Vortrag die Jugendlichen berührt. Und dann herrscht zu Beginn des Workshops meist Bedrückung – am Ende viel Erleichterung, Lächeln. Immer wieder erleben wir auch bei Begegnungen, dass uns jemand sagt: „Damals vor fünf oder sieben Jahren hat mir geholfen, was ich gehört habe, und ich bin jetzt heraußen…“ Und sie entdecken dann, dass sie neue Lebenskraft, neue Freude haben, weil sie Liebe kennengelernt haben. Liebe zu Gott vor allem.
Wie kommt man aus den Fängen der Pornographie heraus? Was hat sich da bewährt?
Pöschl: Erfahrungen damit haben wir seit elf Jahren. Zunächst muss man erkennen: Ich habe ein Problem. Das Wichtigste ist dann: Ans Licht damit! Erfolge gibt es, wo Männer oder Frauen zu einer entsprechenden Gruppe gehen, zu einer Selbsthilfegruppe. Da wir viel mit Christen zu tun haben, ist es für diese wichtig zu erkennen, dass sie aus der Misere nicht allein herauskommen. Dann kann man sich bewusst machen, dass man vor Gott am Boden liegt und allein nicht aufkommt, und es endlich aufgeben muss, allein gegen die Gedanken zu kämpfen. Man braucht Hilfe, andere Menschen, vor allem aber Gott. Und dann kann Er für diesen Menschen kämpfen.
Für Gläubige kann es da zu einer tiefen Begegnung mit Gott kommen– und zwar auf der emotionalen Ebene. Und das ist für viele ungewohnt. Man beginnt mit Ihm das Leiden anzusprechen. Er hat Erfahrung im Umgang mit dem Thema, wie wir ja aus der Schrift wissen: Maria von Magdala, die Ehebrecherin, die Frau am Jakobsbrunnen… Und dann im Alten Testament: Abraham, Lot, Noah, David… Gott lässt niemanden allein. Er hasst die Sünde, aber liebt den Sünder. Vielen Menschen, die in unserem Bereich aktiv sind, hat genau diese Einsicht geholfen: Da ist jemand, der mich kennt, der mich liebt, der mir aus meiner Not heraushelfen möchte.
Was hilft noch?
Pöschl: In Smartphone und Computer die entsprechende Software einzurichten. Aber das ist nur eine Krücke. Dann: Freundschaften zu pflegen, Liebe aufleben zu lassen. Wir leben im Westen in einer sehr kranken Gesellschaft, wo wir verlernt haben zu lieben. Daher ist es notwendig, sich vom Herrn, dem Autor der Liebe, erfüllen zu lassen.
Kann das Bemühen, aus der Pornographie auszusteigen, ein Weg zu Gott sein?
Pöschl: Ja, wir erleben das. Konkret habe ich das Feedback von vier Leuten vor Augen. Einer von ihnen hat jetzt eine Bibelrunde gestartet.
Phil Pöschl arbeitete als Clinical Research Associate in der Forschung, ist Qualitätsmanager und Vorstand des Vereins Safersurfing. Das Gespräch hat Christof Gaspari geführt.
Sexualkunde-Behelf
Powergirls & Starke Kerle ist ein Sexualkunde-Unterrichtsbehelf für die Alterstufe 10-13 Jahre auf der Basis eines ganzheitlichen Menschenbildes in neun Einheiten. Es geht da um den Selbstwert, die Beziehungskompetenz, die Fruchtbarkeit des Menschen, den Umgang mit Gefühlen, dass es um „Mehr als Sex“ geht, was Pornographie ist und „mit uns macht“. Vor allem aber: dass jeder Mensch kostbar ist.