Vor einigen Tagen fuhr ich wieder einmal durch Mariatrost bei Graz, vorbei an dieser wunderschönen barocken Basilika. Über der Kirche hingen dunkelgraue Wolken, dahinter jedoch war ein heller Himmel zu sehen, voller Licht und Klarheit. Wunderschön. Mein erster Gedanke war, ob das ein Zeichen sein könnte für das bevorstehende Jubiläum? Denn heuer wird sich am 25. Juli zum 50. Male der Tag jähren, an dem die Enzyklika „Humanae Vitae - über die rechte Weitergabe des Lebens“ vom seligen Papst Paul VI herausgegeben, und damit die Kontinuität des Lehramtes bewahrt worden ist.
Kurz davor war der Papst nach Fatima gereist, um die Gottesmutter, die Königin der Reinheit, zu befragen, denn eine Expertenkommission war der Meinung gewesen, dass Verhütung den Ehepaaren nicht schaden würde. Breites Unverständnis, Widerstand und Ungehorsam folgten, Papst Paul VI. veröffentlichte in den 10 Jahren bis zu seinem Tode keine Enzyklika mehr.
In genau dieser Mariatroster Basilika wurde nur wenige Wochen nach Humanae Vitae (HV) die „Mariatroster Erklärung“ der Österreichischen Bischöfe unter Kardinal Franz König, verlautbart. Das subjektive Gewissen der Ehepaare sollte zur wesentlichen Instanz der Entscheidung in der Verhütungsfrage werden. In Deutschland, Schweiz und Kanada erschienen ähnliche Erklärungen. Fatal daran war, dass das Gewissen der Ehepaare davor und danach niemals geschult wurde, und sich „an keiner vorhandenen Norm orientieren konnte“ (Kardinal Meisner).
Somit wurde die Kernbotschaft von HV, nämlich der Zusammenhang von liebender Vereinigung und Fruchtbarkeit mit einem Schlag auseinandergerissen. In den folgenden Jahren, den irren Zeiten der sexuellen Revolution mit der vermeintlich freien Liebe, verhüteten katholische Ehepaare nun „mit dem Segen der Kirche“, und sehr viele tun es heute noch.
„Was gestern wahr gewesen ist, bleibt auch heute wahr. Die Wahrheit, die in Humanae Vitae ausgedrückt wird, verändert sich nicht,“ so Papst Benedikt XVI
Vor zehn Jahren bezeichnete Kardinal Christoph Schönborn im Abendmahlsaal in Jerusalem, nach eigenen Worten gedrängt vom Hl. Geist, diese Erklärungen als erstes „Nein zu Europas Zukunft“ (siehe S. 9), und als „Sünde des europäischen Episkopats, die von heutigen Bischöfen bereut werden sollte“. Keine der Bischofserklärungen wurde jemals zurückgenommen, obwohl wir heute sehr genau die Folgen kennen: Abtreibungszahlen und Ehescheidungen schnellten hinauf, die Frau wurde durch die Verhütung nicht befreit, sondern zu einem „immer verfügbaren“ Objekt gemacht.
Leihmutterschaft und Experimente an Embryonen sind ebenfalls bittere Früchte des Verhüllens und Vorenthaltens der Wahrheit, genauso wie Kirchenaustritte und Glaubensabfall: Wer sich nicht der Schöpfungsordnung unterordnen kann, kann es auch nicht beim Schöpfer selbst. Bis heute sollte man den Namen „Humanae Vitae“ nur im geschützten Raum aussprechen wenn man keine hitzigen Diskussionen möchte.
Hinter dem eisernen Vorhang jedoch, in Polen, hatte in den frühen 60er Jahren Weihbischof Karol Wojtyla im Buch Liebe und Verantwortung bereits über das Thema geschrieben. Er war mit den drängenden Fragen durch die langjährige Begleitung junger Paare und Ehepaare bestens vertraut. Er hatte sich „als junger Mann in die Schönheit der menschlichen Liebe verliebt“ und war fortan von den Themen Liebe, Ehe und Familie fasziniert.
Als Phänomenologe wollte er zeigen, dass „wenn die Lehre der katholischen Kirche richtig ist, dann muss sie auch lebbar sein“. Er erarbeitete mit einer Gruppe Moraltheologen das Krakauer Memorandum und ging darin noch genauer auf die anthropologischen und humanistischen Zusammenhänge ein. Er übermittelte es Paul VI. noch vor der Herausgabe von HV.
Die menschliche
Sexualität ist weit größer als man sich vorstellt
Papst Johannes Paul II.
Die Ernsthaftigkeit seiner Absicht, ein besseres Verständnis für das Thema zu erzielen, zeigte sich bald: Als überraschend gewählter Papst Johannes Paul II hielt er fünf (!) Jahre lang von 1979 an die Mittwochskatechesen zu diesem Thema. Man nennt diese zusammenhängend die „Theologie des Leibes“. Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Papst jahrelang zu einem einzigen Thema Katechesen hält. Der heilige Papst war konsequent, musste er doch genau um die Dringlichkeit seiner prophetischen Worte gewusst haben.
Ihm war ganz klar gewesen, was die große zukünftige Krise der Menschheit sein würde: „Die Degradierung des Menschen zum Objekt, eine Entmenschlichung durch das Benützen der Menschen untereinander.“ Heute kann man ganz einfach feststellen, dass sich das längst bewahrheitet hat.
Wie glücklich ist die katholische Kirche, dass sie eine Antwort hat auf diese Krise! Antwort auf die Verwirrung durch die Genderideologie, auf die ewigen Fragen der Verhütung, der keuschen Lebensweise vor und in der Ehe, der natürlichen Empfängnisregelung, der ganzen Anthropologie des Menschseins. Denn die Theologie des Leibes ist die Antwort auf all diese Fragen, sie ist ein regelrechter Schatz unserer Kirche, der jedoch im deutschsprachigen Raum erst richtig gehoben werden muss.
Zwar gibt es seit einigen Jahren den hochqualitativen, zweijährigen Studiengang in Heiligenkreuz, die große Verbreitung steht noch aus. George Weigel, Autor der berühmten Biographie über Johannes Paul II., bezeichnet die Mittwochskatechesen als „tickende Zeitbombe“, die, wenn sie im 21. Jahrhundert einmal hochgehe, die gesamte Theologie beeinflussen werde. Denn „sie fordert uns auf, die Sexualität als etwas Wesentliches des Menschlichen zu erfassen und dadurch etwas über das Göttliche zu erkennen.“
Der Leib, und nur er, kann das Unsichtbare sichtbar machen: das Geistliche und das Göttliche
Papst Johannes Paul II.
Meine eigene Erfahrung durch Vortragstätigkeit zeigt mir: Wenn Jugendliche die Katechesen über „Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan“ verstehen und diese „neue Sprache“ tief aufzunehmen beginnen, dann wird so vieles klar und geordnet und sie beginnen zu strahlen. Ich habe das oft erlebt. Sie verstehen nun in der ganzen Tiefe, warum die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann und warum sexuelle Handlungen den ihnen entsprechenden Ort ausschließlich in der Ehe haben: Denn wir werden als Ehepaar zu Mit-Schöpfern, Prokreatoren, des neuen Menschen, zu Mitschaffenden mit Gott, der im Moment der Zeugung dem entstehenden Leben die unsterbliche Seele einhaucht.
Damit wird die Sexualität heilig und bekommt eine überirdische Dimension von Schönheit. Als Paar verstehen wir dann, dass die Sexualität auch mit Verzicht verbunden ist, denn die Theologie des Leibes führt automatisch zur natürlichen Empfängnisregelung. Das ist wesentlich, denn der Mensch ist eben kein Tier, sondern Person. Er kann sich für das Richtige und Gute entscheiden.
Dass die Theologie des Leibes das Potential hat, die Kirche zu erneuern, bestätigten mir vor wenigen Wochen in Rom Stephen und Kari aus Amerika. Wir waren aus aller Welt zusammengekommen, um über ein vatikanisches Aufklärungsprogramm zu beraten. Beinahe alle der dort anwesenden Ehepaare und Priester arbeiteten schon länger mit der Theologie des Leibes. Dieses amerikanische Ehepaar, auch Berater der Bischofskonferenz, meinte, dass man den Europäern in den USA voraus wäre, denn dort werde diese Theologie schon in der zweiten Generation verkündet und bereits von Jugendlichen in die Diözesen hineingetragen. Im Amerika wäre ein leichter Aufschwung der katholischen Kirche zu spüren. Welch Freude, das zu hören!
JP II. bringt die Schönheit der Liebe zur Erfahrung des Menschen auf dem Fundament der Erlösung. Denn wenn die Erfahrung berührt, dann kommt Veränderung
Prof. Michael Waldstein, Florida
„Ich kann nur noch einen Mann heiraten, der die Theologie des Leibes kennt,“ so sagte mir kürzlich Katharina, eine Studentin nach einer Vortragsreihe. Sie hatte erkannt, dass hier ein Bild der menschlichen Liebe aufgezeigt wird, nach dem wir uns alle sehnen, das in unseren Körper quasi eingeschrieben ist. Es übersteigt die herkömmliche Vorstellung von Liebe und Sexualität und weist hin auf Jesus Christus, die letzte und endgültige Erfüllung unseres Verlangens und Strebens.
Es gibt den jungen Männern und Frauen die Würde zurück, das Bewusstsein, dass sie zu etwas Höherem geschaffen sind und wertvoll. Es macht die Hingabe in der Sexualität zu einem Geschenk. Man verschenkt sich und wird gleichzeitig beschenkt. Das geschieht auch geistig, wenn man zölibatär lebt, um des Himmelreiches willen. „Geschenk zu sein“ heißt doch, dem anderen zu dienen, ist eine Antwort auf Gottes Liebe zu uns.
„Alle, die in der Ehe die Erfüllung ihrer eigenen menschlichen und christlichen Berufung anstreben, sind vor allem dazu aufgerufen, diese Theologie des Leibes… zum Inhalt ihres Lebens und ihres Verhaltens zu machen.“ (23. Katechese, 2. April 1980, Papst Johannes Paul II.)
Leni Kesselstatt
Die Autorin ist Ehefrau und Mutter von zwei Söhnen sowie Sprecherin der Elterninitiative Familien-Allianz und der Intiative wertvolle Sexualerziehung.
… darf der eigenen Überzeugung folgen…
Da in der Enzyklika kein unfehlbares Glaubensurteil vorliegt, ist der Fall denkbar, daß jemand meint, das lehramtliche Urteil der Kirche nicht annehmen zu können. Auf diese Frage ist zu antworten: Wer auf diesem Gebiet fachkundig ist und durch ernste Prüfung, aber nicht durch affektive Übereilung zu dieser abweichenden Überzeugung gekommen ist, darf ihr zunächst folgen.
Er verfehlt sich nicht, wenn er bereit ist, seine Untersuchung fortzusetzen und der Kirche im übrigen Ehrfurcht und Gehorsam entgegenzubringen. Klar bleibt jedoch, daß er in einem solchen Fall nicht berechtigt ist, mit dieser seiner Meinung unter seinen Glaubensbrüdern Verwirrung zu stiften.
Auszug aus der Maria-Troster-Erklärung der österreichischen Bischöfe vom 22.9.68