In ihrem Buch Frères et soeurs, les aider à s’épanouir schreibt die Psychotherapeutin Dana Castro, vielen Eltern schwebe ein Bild von Brüdern und Schwestern vor, „die in freundschaftlicher Atmosphäre am Kamin miteinander debattieren. Die Aufgabe der Eltern sei es, so meinen sie, alles zu tun, um die Eintracht der Kinder zu erhalten…“ Tatsächlich ist natürlich alles viel schwieriger…
Zärtlichkeit und nettes Geplauder vermischen sich mit Eifersucht, kleinen und größeren Streitereien, mit Tränen. „Das geschieht überall. In der Beziehung zwischen Brüdern und Schwestern gibt es Hochs und Tiefs,“ erklärt Dana Castro. Und die Psychotherapeutin ergänzt: „Perfekter, idyllischer Harmonie ist durchaus zu misstrauen. Das kann sogar dazu führen, dass sich ein Kind quasi aufopfert, um den von den Eltern erwarteten Zustand aufrechtzuerhalten!“
Für Dominik, den Vater von fünf Kindern, ist Harmonie etwas Relatives – und zwar unausweichlich. „Nicht einer Meinung zu sein und dann wieder zueinander zu finden, gehört zum Lernprozess.“ Miteinander auskommen zu lernen, diese erste Zelle der Gesellschaft zu bilden, nachzugeben, zu verzeihen, zu teilen…, stellt eine Vorbereitung auf das Erwachsenenalter dar. Diese für das Zusammenleben so entscheidenden Werte lernt man in der Familie von frühester Kindheit an. Die ganze Palette extremer Gefühle, die man in der Beziehung zu den Geschwistern erlebt, bereiten zweifellos auf das künftige Gefühlsleben vor.
Diese Vorbereitung ist umso wirksamer, als „Kinder sich ja ihre Geschwister nicht aussuchen können,“ stellt Dominik fest. „Sie bringen schon früh und rasch ihr Recht zum Ausdruck, nicht einverstanden zu sein, hinzuhauen – was aber an der Tatsache, dass sie Brüder und Schwestern sind, nichts ändert. Auf diese Weise testen sie unter Geschwistern, was sie sich mit ihren Freunden nie trauen würden – im Guten wie im Bösen.“
Geschwisterlichkeit ist gekennzeichnet von Widersprüchen und Ambivalenz. Man wünscht sie sich, fürchtet sie, sie ist Ort der Liebe und tiefer Schmerzen, von Zärtlichkeit und Neidgefühlen… Die Rolle der Eltern an der Spitze dieser Minigesellschaft erfordert Feingefühl, laufende Justierung und strenge Rahmenbedingungen, „die Kinder unbedingt brauchen, um zu wachsen“, unterstreicht Dana Castro.
Am wichtigsten ist es, alles zu unternehmen, um die Rivalität nicht zu verschlimmern: keine Präferenzen zum Ausdruck bringen, sich auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen einzustellen, Aufgaben gerecht zu verteilen, seine Zeit auf die Kinder angemessen zu verteilen. Konflikte zwischen Geschwistern entspringen nämlich oft dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Sollten Eltern aus Temperament- oder Affinitätsgründen eines der Kinder bevorzugen, müssen sie das bei den anderen dadurch kompensieren, dass sie mit ihnen besondere Zeiten verbringen. Das bedeutet, dass man die Beziehungen zu seinen Kindern offen und ehrlich im Blick hat.
Die Rolle der Eltern ist also entscheidend, besonders wenn Kinder sich überhaupt nicht verstehen, was vorkommen kann. „In diesem Fall kann man die Geschwister nicht zwingen, einander zu lieben. Allerdings ist es entscheidend, die Familie im Gleichgewicht zu erhalten.“ Géraldine, Mutter von vier Kindern, erzählt, dass zwei ihrer Söhne, der älteste und der dritte, miteinander nicht zurechtkamen. „Unser Ältester gibt gern etwas her, verbringt Zeit mit den Kleinen, spielt mit ihnen – nur nicht mit dem kleinen Bruder. Er hat ihm nie sein Lego, sein Playmobil gezeigt. Das war für den Jüngeren ein großes Leiden.“
Die Mutter zögerte da nicht, in die Beziehungen einzugreifen. Sie bat den Älteren, sich etwas Zeit zu nehmen, um mit seinem Bruder zu spielen, wenn dessen Schmerz unerträglich wurde. Und sie ermahnte den Jüngeren, seinem Bruder weniger auf die Nerven zu gehen. „Ich habe mich bemüht, dem einen die Leiden, dem anderen die Erwartungen des anderen zu vermitteln.“
Diese Strategie trägt heute Früchte: Géraldine stellt fest, dass die Kinder, je älter sie werden, Bereiche der Übereinstimmung entdecken. „Da darf man nicht locker lassen,“ stellt diese Mutter fest, für die es zunächst nicht darauf ankommt, dass unter den Geschwistern Harmonie herrscht, sondern dass sich jedes Kind „auf seine Weise entfalten“ kann.
Dana Castro erkennt darin eine entscheidende Aufgabe der Eltern: Sie sind „Transmissionsriemen“, die dafür sorgen, dass das Band zwischen den Kindern niemals zerreißt. So sind die Erwachsenen „die Hüter des Freundschaftsbandes“. Sie vermitteln die wichtigen Informationen, eröffnen den Kindern Wege , den Bruder, die Schwester zu verstehen. Sie helfen damit den Mitgliedern der Familie, eigene Lösungen zu finden und das eigene Verhalten anzupassen.
Da muss man allerdings das rechte Maß finden und nicht laufend in die Streitereien und Missverständnisse zwischen Geschwistern eingreifen. Anne-Sophie und ihr Mann vertreten die Ansicht, dass man nicht den Schiedsrichter spielen muss, wenn die Kinder aneinander geraten. „Wir lassen sie das ausfechten, wenn sie sich nicht an uns wenden. So lernen sie, Konflikte selbst zu lösen.“ Absolut einzuhaltende Grenzen: keine Gewalt, keine Beschimpfungen.
Entscheidend wichtig ist die Aufgabe der Eltern auch beim geduldigen und schlauen Schaffen von Gemeinschaft zwischen den Kindern. Manchmal von Natur aus gegeben, muss sie erhalten und gepflegt werden. (…)
Nicht zuletzt ist das Gebet eine besonders geeignete Zeit, um sich bei dem einen oder anderen Geschwisterchen zu entschuldigen, um für einen der Geburtstage oder für den kleinen Nachzügler, der wegen einer schlimmen Krankheit das Bett hüten muss, zu beten… Gebet ist eine wesentliche Säule der Familie, dieser kleinen Kirche, die ihrem Wesen nach Ort der Brüderlichkeit ist.
Ariane Lecointre-Cloix
Auszug aus Famille Chrétienne v. 27.1-2.2.18
In einer großen Familie – wir haben sieben Kinder zwischen sechs und 22 Jahren (fünf Söhne und zwei Töchter) – gibt es gelegentlich auch Streit unter den Kindern. Aber wir haben den Eindruck, es war schon schlimmer…
Unsere ersten beiden Kinder waren nämlich lange Jahre wie Gegner. Manchmal, wenn sie zusammenkamen, war es wie eine elektrische Entladung. Ermüdend und frustrierend auch für uns als Eltern! Heute bin ich als Mutter der Meinung, viel von dieser Rivalität war „hausgemacht“, das soll heißen, von uns als Eltern (unbewusst) angeheizt.
Es ist uns inzwischen wichtig geworden, keine Vergleiche zwischen den Geschwistern auszusprechen: Zum Beispiel anstatt zu sagen: „Nicht mal das Baby patzt sich so an!“ (das Kind wird in etwa denken: „Sie mag das Baby viel lieber als mich.“) versuche ich einfach zu beschreiben, was ich sehe, ohne ein Geschwisterkind zu erwähnen: „Da tropft etwas Milch auf dein Leibchen.“ (Kind: „Oh, das muss ich abwischen.“)
Selbst vorteilhafte Vergleiche schaden: „Du schaust immer so hübsch aus! Deine Schwester sieht meistens aus, als hätte sie keinen Spiegel“ („Mama mag mich am liebsten! Sie hält nicht viel von meiner Schwester“) Besser ist es, im Detail in Worte zu fassen, was mir auffällt: „Es ist schön, wie der Lavendelton in der Bluse mit dem Violett in deinem Rock zusammenpasst.“ („Ich kann gut Farben kombinieren.“)
Das kurzweilige Buch Hilfe, meine Kinder streiten mit seinen erklärenden Comics haben uns als Eltern auf den ersten Blick klargemacht, worum es geht: Bei unserem Versuch, es jedem Kind recht zu machen, alle ganz gleich zu behandeln, schafften wir mehr Streit als friedliche Stimmung.
Das Kind jammert z.B: „Du hast ihm mehr gegeben als mir!“ Automatisch sagt man als Vater: „Hab ich nicht, ich habe jedem von euch vier Stück gegeben.“ Scheint gerecht zu sein, doch das Kind heult auf: „Aber seine sind größer!“ Der Vater ärgert sich: „Nein, sind sie nicht, ich habe alle genau gleich groß gemacht!“ Doch beim Kind ist gleich viel immer zu wenig.
Wenn das Kind also anfängt: „Du hast ihm mehr gegeben als mir!“ fragt der Vater besser: „Oh, hast du noch Hunger?“ Also eine konkrete Frage ohne auf die Menge zu achten, die das andere Kind bekommen hat. Kind: „Ja, ein bisschen.“
Besonders brenzlig ist die typische Frage: „Mama, wen magst du am liebsten?“
Ich erinnere mich, sie wurde schon damals von meiner Mutter für mich unbefriedigend beantwortet: „Ich habe euch alle gleich gern.“
Eigentlich will das Kind ja wissen, wie sehr es selber von der Mutter geliebt wird, also erwähne ich besser die anderen Kinder gar nicht, sondern fange an zu erzählen: „Jeder von euch ist etwas ganz Besonderes für mich. Du bist mein einziger Johannes. Auf der ganzen Welt gibt es keinen so wie dich. Mit deinen Gedanken und deinem Lächeln… Ich bin so froh, dass wir dich haben!“ („Sie liebt mich wirklich“)
Besonders unsere fünf Söhne tragen Streitereien auch mal „handgreiflich“ aus. Da ist es für uns schwer, das mit anzusehen. Grundsätzlich versuchen wir uns nicht einzumischen, wir vertrauen darauf, dass größere Kinder den Streit alleine lösen können. Gerade wenn wir im Raum sind, scheint es manchmal eher eine schauspielerische Aufführung mit uns als Zuschauer zu sein…
Wir haben natürlich einige „ungeschriebene Familienregeln“ dazu:
• Keine wilden Schimpfwörter, kein „Klodialekt“ .)
• „Wer es schafft, nur mit Worten um sich zu schlagen“ ist Sieger (oder umgekehrt: „Wer schlägt, ist schuld“.)
• Wenn die Situation eskaliert, gefährlich wird: Trennung der Beiden (etwa in verschiedene Räume). Wahrscheinlich werden beide von Mama geschimpft, also zahlt es sich aus, sich vorher zu einigen.)
• Wer geschlagen hat, wird wenig beachtet, eher noch bekommt der Angegriffene Aufmerksamkeit.
Auch negative Gefühle dürfen deutlich in Worte gefasst werden.
(Denn sie zu unterdrücken würde wieder Rivalität schaffen)
Wir bemühen uns, die Kinder möglichst wenig in eine Rolle zu drängen: Der Brave, die Unordentliche … Zum Beispiel ein Jugendlicher macht oft negative Bemerkungen, er sieht manches pessimistisch. Besonders ein Bruder wird viel kritisiert. Wir haben ihn unter vier Augen darauf aufmerksam gemacht, und bei Gelegenheit zwinkere ich ihm zu: „Du bemühst dich, die positive Stimmung in dieser Familie zu verbessern, stimmt’s?“ Dann muss er auch oft grinsen, und das Eis ist gebrochen.
Wie alle Eltern sind wir natürlich auch bemüht, jedes unserer Kinder richtig ernst zu nehmen.
Eine große Hilfe sind uns dabei unsere „Mitarbeitergespräche“. Wie mein Mann in der Firma führen wir im Urlaub mit jedem Kind (die Jüngsten gemeinsam) ein Einzelgespräch bei einem richtigen Eisbecher (mmh!) über seine Wünsche, Pläne und ob es sich richtig wohl fühlt in unserer Familie.
Gabi und Klaus Neuschmid
Das Ehepaar Neuschmid lebt in Thiersee (Tirol). Beide sind Familienassistenten und bieten ein Seminar Familienmanagement an.
Über das Buch Hilfe, meine Kinder streiten! Von Adele Faber und Elaine Mazlishe, Verlag Oberstebrink, 20,60 € erzählen sie: Es hat unserer Familie mehr als viele andere geholfen, ein besseres, friedlicheres Miteinander zu erreichen. Erhältlich z.B. unter www.ehefamiliebuch.at