Marie Philippe hat vor 10 Jahren die Homepage ivg.net ins Leben gerufen. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Frauen, die abtreiben wollen oder abgetrieben haben, vertritt sie die Ansicht, dass dieses „Recht“ auf Abtreibung die Frauen ruiniert.
Sind Frauen, Ihrer Erfahrung nach, wenn sie abtreiben, mit Folgen konfrontiert?
Marie Philippe: Die Ideologen der Abtreibung behaupten, den Frauen ginge es sehr gut. Hört man diesen dann aber zu, so vernimmt man, dass sie sich meist in ihrem Gefühlsleben verletzt fühlen, oft auf heimtückische Weise. Das kann sich auf verschiedenste Art äußern: Alkohol, Rauchsucht, Gefühlsschwankungen, Depressionen, Selbstverletzungen, Selbstmordgedanken… Sie werden hart, können ihre Weiblichkeit nicht annehmen. Sie erzählen uns, dass sie Alpträume haben, an Schlaflosigkeit, tief sitzenden Ängsten leiden, ihr Selbstvertrauen verlieren. Manche fühlen sich sogar schmutzig, kriminell. Manchmal sagen sie: „Ich habe mein Kind getötet“ – etwas, was ich von mir aus nie ansprechen würde.
Wer sind diese Frauen, die sich an Sie wenden?
Philippe: Sie sind zwischen 14 und 45 und aus allen Gesellschaftsschichten. Sie wollen wissen, wie sich eine Abtreibung abspielt. Und was danach passiert. Sie wollen sich auch aussprechen. Wir nehmen uns Zeit zuzuhören und bleiben auch nach der Abtreibung – sollte es dazu kommen – im Gespräch. In ihrem tiefsten Inneren würde die Mehrzahl der Frauen das Kind annehmen wollen.
Das können muslimische Frauen sein, die schon mehrere Kinder haben und denen man im Gesundheitswesen sagt: „Fatima, sind Sie sicher? Sie werden es nicht schaffen…“ Das hat mehr mit einer Art Rassismus gegen diese für das Leben offenen Menschen zu tun als mit Barmherzigkeit! Oder junge Musliminnen, die außerehelich schwanger werden. Sie werden abgelehnt und vor die Tür gesetzt. Sie gehen einen Leidensweg. Andere – junge und weniger junge – schaffen es nicht, sich dem Druck ihrer Umgebung zu widersetzen. Wieviele sagen: „Marie, ich kann nicht mehr, ich bin einfach allein, niemand hilft mir!“ Oder: „Ich stehe im Berufsleben und kann meine Karriere nicht aufs Spiel setzen.“ Frankreich hat komplett die Liebe zum Baby verloren. Ein Kind zu erwarten, ist kein Grund zur Freude, sondern ein „Problem“, das man loswerden muss.
Immer häufiger rufen mich auch Frauen an, die im Ausland abgetrieben haben, und zwar Kinder in einem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft, also illegal, aber unterstützt von Einrichtungen, die aus unseren Steuergeldern finanziert werden. Diesen Frauen geht es dann ganz schlecht. Das Baby wird dann womöglich in der 22. Woche – wenn es fast schon lebensfähig wäre – abgetrieben.
Warum meinen Sie, dass diese Frauen eigentlich Opfer sind?
Philippe: Sie sind Gefangene der schlecht funktionierenden Verhütung. Sie glauben, dank der Pille bekämen sie kein Kind. Falsch! Die Mehrheit der Frauen, die abtreiben, verwendeten die Pille oder die Spirale. Sie sind ihrem Partner wie unterworfen. Es sind die Männer, die wollen, dass abgetrieben wird. Die Leute, die mich am ärgsten am Telefon beschimpfen, sind meist Männer. Durch die Verhütung verlieren sie jegliches Gefühl für verantwortete Vaterschaft. Sie sind wie Lausbuben, die bei der Nachricht der Schwangerschaft erklären: „Nein, dazu bin ich noch nicht bereit!“ Da geht es nur um Lust. Das Kleine da – eine Katastrophe! Der Mann ist der Eckstein. Sagt er: „Behalten wir es,“ so nimmt die Frau ihre Schwangerschaft viel eher an. Außerdem steht die Frau unter dem Eindruck der Irrlehre vom „Wunschkind“. Dieser Begriff macht keinen Sinn, denn er ist Gefühlsschwankungen unterworfen. Er macht aus dem Kind einen kleinen Prinzen, Frucht eines „elterlichen Projekts“. Das geht so weit, dass man zu hören bekommt, es sei für das Kind besser, abgetrieben als von einer alleinerziehenden Mutter groß gezogen zu werden. Der gesellschaftliche Druck ist da enorm. Und zuletzt: Den Frauen mangelt es an Information über die Folgen der Abtreibung. Noch schlimmer, man informiert sie falsch, etwa die Regierung im Internet. Dort behauptet man, abzutreiben wäre risikolos, vor allem was die Fruchtbarkeit anbelangt.
Warum finden Frauen in ihren Familien keinen Halt?
Philippe: Mich macht die mangelnde Nähe der jugendlichen und jungen Frauen zu der eigenen Mutter betroffen. Wir fragen sie nämlich: „Hast du mit deiner Mutter gesprochen?“ Sie darauf: „Zu wenig Vertrautheit. Seit ich einen Freund habe, höre ich von ihr nur, ich soll nicht auf die Pille vergessen.“ Die Mütter haben vielfach abgedankt. Die Frauen ihrerseits haben nicht wirklich den Wunsch, ein Kind zu umsorgen, das Leben zu schenken. Oft drängen auch Mütter, die selbst abgetrieben haben, ihre Tochter dazu, das gleiche zu tun. Unbewusst wollen sie durch das, wie einen Fluch erlebte, Leid etwas Verbindendes zwischen ihnen herstellen. Andererseits beobachte ich, dass jene, die selbst nicht willkommen waren, in eine Pflegefamilie kamen, den großen Wunsch hegen, ein Kind zu haben, um die Liebe, die sie nicht hatten, zu kompensieren.
Ist die Abtreibung nicht eine Frage, die nur Gläubige, die vom Wert des Lebens überzeugt sind, bewegt?
Philippe: Nein. Abtreibung ist ein Thema, das alle Menschen, gläubig oder nicht, angeht… Sie ist eine Frage, die vor allem die Frau in ihrem „Muttersein“, das ihr im tiefsten Inneren eingeschrieben ist, betrifft. Der Lebensschutz muss weit über den viel zu engen Kreis der Gläubigen angesprochen werden. Es besteht ein großer Bedarf an Frauen, die zuhören, an Ansprechstationen vor Ort, an Spendern, an Leuten, die bereit sind, ihnen Liebe zu schenken, sie zu unterstützen, zu ermutigen und ihnen konkret zu helfen. Jenen, die für den „Respekt vor dem Leben“ eintreten, möchte ich sagen: Ab nun müssen Sie den Frauen, die mit diesem Drama konfrontiert sind, konkret helfen!
Das Gespräch mit der Autorin des Buches „Après l’IVG – Des femmes temoignent“ (Verlag Artège, 204 Seiten, 11€) führte Pauline Quillon für Famille Chrétienne v. 16.-22.6.18