VISION 20005/2018
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Lasst die Seele nicht verkümmern!

Artikel drucken Über die medial geförderte „Verkopfung“ und Überbewertung des Verstandes (Von Christa Meves)

Ein mir unbekannter Jan mailt: „Helfen Sie mir! Ich bin computersüchtig!“ Ein anderer: „Mich hat die Pornographie erwischt. Wie komme ich wieder her­aus?“ Eine Mutter klagt: „So schöne Ferienspielprogramme hatte ich mir ausgedacht. Aber meine Kinder, alle drei: 18, 16, 14, sind nur mit dem PC beschäftigt!“

Was haben wir uns mit dieser unkontrollierbaren neuen Technik denn nun eingehandelt? Was ist das für eine Seuche, die sich wie ein Schleier über ein offenbar unzureichend beackertes Feld gelegt hat? Was fesselt hier – nicht etwa nur die jungen Menschen – und schränkt mehr und mehr die persönlichen Handlungsspielräume ein?
Der Hirnforscher Manfred Spitzer hatte bereits vor einigen Jahren mit seinem Buch: Die digitale Demenz davor gewarnt, dass die global genutzte neue Technik in die Gehirne des Homo sapiens eingreife, da diese Maschine unsere Mentalität verändere. Bestimmte, kaum genutzte Areale würden zunehmend eingeschränkt, ja, zum Verschwinden gebracht. Der Mensch würde ein anderer, behauptet er kühn – zumal, wenn man diesbezüglich die Kinderhirne falsch füttere, wie z.B. beim unablässigen Fernsehkonsum vom Babyalter an. Das würde eine generelle, nicht wieder löschbare Einbuße lernfähiger Vielfalt zur Folge haben. Je früher hier PC und Smartphone zur Hauptbeschäftigung würden, umso gravierender wäre diese – wohl als negativ einzuschätzende – Umgestaltung des Gehirns.
Die Mehrheit geht allerdings seit Jahren in die Fallen der digitalen Medien, ohne die Gefahr wahrzunehmen. Damit wächst auch die Frage: In welcher Weise werden denn die Auswirkungen des veränderten Gehirns in Erscheinung treten, wie wird der Mensch der Zukunft aussehen? „Krank,“ sagt Spitzer unverblümt. Und dass die neue süchtige Flut bereits da ist, können überlastete Psychotherapeuten – wie oben gezeigt – bestätigen.
Selbst wer mit aufgeklärter Selbstdisziplin und dank sinnvoller Anleitungen zu vernünftigem Umgang mit den neuen Apparaten der Suchtgefahr zu entgehen sucht, muss zur Kenntnis nehmen: Unser aller Abhängigkeit von den digitalen Medien bleibt eine nicht wieder abschaffbare Gegebenheit für unser aller Gehirn.
Wie wird der neue Mensch in Zukunft aussehen, müssen wir uns dann doch fragen? Als über 90-jährige Therapeutin, die sich seit 60 Jahren mit jungen Menschen beschäftigt hat, lässt sich da einiges vermuten: Allein die alle Ausbildungsbereiche erfassende Notwendigkeit des rationalen, des theoretischen Denkens hat bereits in der heutigen Erwachsenengeneration die Funktionalität wie auch Fernsehpassivität in der Freizeit mächtig verstärkt.
Und so ist die Seele der Menschen in den westlichen Zivilisationen eine leidende Seele geworden, eine verkümmernde, eine elende Seele. Sie hat – gewiss nicht bei allen Menschen, aber bei vielen – nicht mehr genug Möglichkeit, sich zu entfalten, zu leben, zu sein wie eine Birke im Morgenwind. Sie wird verstümmelt, erstickt, gepresst, bedrängt.
Warum geht es ihr so schlecht? Nun, unsere Seele unterliegt genauso wie das Wachstum eines Baumes gewissen Entfaltungsbedingungen, und die werden in unserer Zeit arg vernachlässigt. So lässt sich das Wachstum einer Seele nicht nur durch fortgesetzten Medienkonsum ersticken, sondern auch durch eine Überhäufung mit Anschaffungen, mehr Kleidern, mehr Alkoholika, mehr Essen, mehr Naschereien, mehr technischen Geräten…
So kann man die Seele zum Verkümmern, ja geradezu zum Einfrieren bringen, indem man ihr keine Gelegenheit zum Atmen gönnt, dadurch, dass der Lebensraum immer bereits mit etwas anderem besetzt ist: mit Lärm aus der Röhre, mit visuellen Reizen aus dem Fernsehapparat, mit einer Übermenge an Zerstreuungen, mit selbst gesetztem Stress durch Smartphone und dem Zeit verschlingenden PC.
Das gibt der Seele und dem Körper auf Dauer – ja, sogar dem Heilbleiben des Gehirns, wissen die Neurologen – keine Chance. Die Seele braucht, wenn sie gedeihen soll, zwischendurch immer wieder Stille, um in sie hineinhorchen zu können; sie braucht leeren Raum, damit sie ihre Empfangsorgane ausfalten kann, damit die „Ein-Fälle“, wie unsere Sprache so richtig weiß, ihr zufallen können, im echten Zu-Fall, nicht im willkürlichen, wie man dieses Wort heute fälschlicherweise versteht.
Unsere Seele braucht und sucht Stille – auch am Lebensanfang, sie braucht Pflege in liebevoller Zweisamkeit. Auch Kleinkinder brauchen die Stille der Vereinzelung als Ausgangsbasis ihrer Gestaltungskraft. Die Gesundheit, die schöpferische Gestaltungsfähigkeit und damit auch die Lern- und Empfindungsfähigkeit des Menschen in unserer Zeit sinken nicht zuletzt deshalb immer mehr ab, weil man es bereits den Kindern nicht mehr gönnt, sich in dieses Leben geruhsam einzuwurzeln und zunächst in stiller Vereinzelung spielen zu dürfen. Dann erst, so lässt es sich in der kinderpsychotherapeutischen Praxis immer wieder erfahren, entfaltet sich das Empfangsorgan Seele und vermittelt den schöpferischen Strom aus dem Unbewussten.
Die Menschheit ist aber darauf angewiesen, dass durch sensible, besonders empfangsfähige, eben seelenvolle Menschen im wahrsten Sinne des Wortes die Botschaften aus dem Urgrund zu Gehör gebracht werden: in gesprochenen, gedichteten, gemalten, komponierten Aussagen. Es ist für die Menschheit ein wichtiger Teil, der durch das Empfangsorgan Seele vermittelt wird. Die Seele, nicht der Intellekt, ist das Organ, mit der der Menschheit konstruktive Direktiven gegeben werden, Wegweisungen für Gesundheit an Leib und Seele, für sein Leben, seine Zukunft.
Verstümmelte, erstickte Seele als Zeitkrankheit kommt einer seelischen Erblindung gleich, die den Menschen in das Dunkel der Orientierungslosigkeit, des geistigen Unfruchtbarwerdens und der Hilflosigkeit aussetzt. Deshalb empfindet der moderne Mensch mit Recht so viel Angst, deshalb gibt es so viel Einbruch auch des Bösen und Zerstörerischen in unserer Welt.
Ich habe schon 1972 den Begriff „Verkopfung“ in mein Schrifttum eingeführt, weil mir schon damals auffiel, dass der neue Mensch in den technisch fortgeschrittenen Ländern sich zwar immer noch gesellig, aber immer weniger empathisch mit seinem Umfeld verhält. Er hat offenbar immer weniger Feingefühl für den anderen, weniger Mitleid, weniger Mitmenschlichkeit weniger spontane, natürliche Hilfsbereitschaft.
Und diese Gefühlstiefe scheint mir bei der jungen Generation sukzessive im Schwinden zu sein, nicht der fehlende Wille, sondern überhaupt der Sinn dafür, sich in andere, in Kinder, Alte oder Leidende hineinzuversetzen. Die ganze Bandbreite innerer Gefühlsbewegtheit scheint als allgemeine Eigenschaft kultivierter Menschlichkeit bei der jungen Generation – wenn auch glücklicherweise noch nicht bei allen – im Schwinden begriffen zu sein.
Dem Schicksal der Verkopfung kann ohne besondere Gaben, ohne Glück und besondere Anstrengung heute kaum jemand in unserem Kulturkreis entgehen, wenn er ab Kindergarten und Vorschule der unausgesetzten Intellektualisierung unseres Bildungssystems über mehr als zehn, zwölf, ja bei Studierenden oft über 20 Jahre anheimgegeben wird. Je älter die Lernenden sind, um so mehr wird ihre Bildung zur Ausbildung vornehmlich ihres Verstandes, ihres Denkens.
Das ist gewiss nicht grundsätzlich schlecht, sondern als Voraussetzung für die Berufsausübung im technischen Zeitalter unumgänglich – und dennoch bedeutet es Einseitigkeit, die wie jedes Extrem seine speziellen Gefahren birgt. Es gibt eine Überspitzung, ja eine Wucherung, so könnte man sagen, der Denkfunktion, die der dänische Arzt und Tiefenpsychologe Ewald Bohm sogar als „Verkopfungsneurose“ bezeichnet hat. In seinem Lehrbuch schreibt er darüber: „Diese Menschen zerreden alles und erleben nichts; sie sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie alles zerdenken und zerreden aus Angst vor dem Erleben. Sie glauben meist, sich vorzüglich zu kennen, haben aber eine unerhörte Panzerung.“ Das hat zur Folge, dass die Menschen heute verflachen. Sie glauben nur an die sogenannte Realität, was zählbar und greifbar ist.
Mit der Dominanz der Verkopfung geht eine hochmütige Überschätzung der Verstandeskräfte, der „Machbarkeit“ der Welt und der Position des Menschen in ihr einher. Dass dieser Hochmut dringend der Besinnung bedarf, wird heute schon allein daran sichtbar, dass aus den unvorhersehbaren Nebeneffekten unserer Vertechnisierung Gefahren ungeheuren Ausmaßes erwachsen. Nur ein Beispiel: Mittlerweile gibt es in mehreren Ländern bereits Labors, in denen der geklonte Mensch aus der Retorte ins Zielfeld gelangt ist! Nun wartet das Designer-Baby auf unsere aus den Fugen geratene Welt.
Die Frage ist dann natürlich: Halten vielleicht nur noch einige Restposten aus der Generation, die noch eine natürliche Kindheit haben durften, den Erhalt von Eigenschaften wie Mitleid, Mitgefühl, Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen für erstrebenswert? Oder ist die Menschheit nun auf dem Weg zu einer gefühllosen Robotermentalität? Der Christ jedenfalls will so nicht sein, will so nicht wollen. Er setzt auf das Sein im Schöpfer, auf Dankbarkeit, auf begeisterte Hingabe und Totalopfer aus Liebe. Bleibt die Frage: Kann es überhaupt eine Zukunft des Menschen geben, wenn diese Liebe digital zum Erkalten gebracht wird?
Kluge Eltern sind zumindest, was den Umgang mit den Medien anbelangt, bereits in neuer Unnachgiebigkeit um den Erhalt der Lernfähigkeit und des Freiheitsspielraums ihrer Kinder bemüht: Sie schaffen den Fernseher wieder ab, lassen lediglich einen einzigen PC pro Familie und deren Nutzung nur scheibchenweise zu, sie kümmern sich mit Gesprächen und konstruktiven Beschäftigungen um ihre Kinder, besonders auch um die Jugendlichen. Das setzt aber voraus, dass sich Eltern für ihren Nachwuchs Zeit nehmen, dass Mütter sich mit den Kindern beschäftigen, statt ihnen mit ihrem selbst verdienten Geld dauernd Spielzeug oder das neueste Handy-Modell zu kaufen.
Darüber hinaus müssen wir alle versuchen, in einer ursprunghaften Weise unseren Gefühlen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, den echten, tieferen Sehnsüchten unserer Seelen, sie beachten, achten und pflegen! Wo diese gepflegt werden, kann es neu zur Glaubenssehnsucht kommen und dann auch eher zu Glaubenserfahrungen. Diese Sehnsucht tritt heute so häufig zutage, dass sich dies sogar in der psychotherapeutischen Arbeit nicht länger verleugnen lässt.
Und nicht nur dort! Tapfere Missionsarbeit schlägt hierzulande durch! Neue Glaubens-Oasen entwachsen der Wüste! Gebetshäuser – besonders im Süd­osten Europas – sprießen aus dem Boden, der Mensch beginnt aufzuwachen in neuer Besinnung zu seiner eigentlichen Bestimmung: im allmächtigen Gott, in Jesus Christus den zentralen Halt und neue Kraft zu entdecken!
Kehren wir also um! Wenden wir uns weg von der Überheblichkeit unseres materialistischen, technisierten, intellektualisierten Machenkönnens! Wenden wir uns hin zu der allein sinnvollen Stellung des Menschen: zu unserer Eingebundenheit in Gottes Schöpfung. Dann können wir auch für unseren Leib gesunde Lebensformen entwickeln. Dann kann unsere Seele wieder zu atmen beginnen statt krank zu werden! Nur seelisch gesund lässt sich Verantwortung für Alte, Schwache und die Allgemeinheit übernehmen.
Dann, nur so, können wir heute noch Hoffnung auf Zukunft gewinnen!

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