Nachdem ungefähr in der Mitte des letzten Jahrhunderts der Tübinger Theologe Herbert Haag den Abschied vom Teufel verkündet hat, ist es auch um die Warnung vor der Hölle stiller geworden. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich selber auch noch nie ausführlicher über die Hölle gepredigt habe.
Dennoch ist festzuhalten, dass Jesus ausdrücklich von der Existenz des Teufels und der Dämonen sowie von der Gefahr gesprochen hat, auf ewig verloren zu gehen. Allen, die Ihm in der Not der Mitmenschen nicht geholfen haben, „werden weggehen zur ewigen Strafe“ (Mt 25,46), lesen wir im Matthäusevangelium. In der Bergpredigt sagt Jesus: „Geht durch das enge Tor! Weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und es sind viele, die auf ihm gehen“ (Mt 7,13). Es gibt allerdings auch die gegenläufige Linie in der Bibel: Gott, der Retter, „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen,“ heißt es zum Beispiel im 1. Brief an Timotheus (2,4).
Was lehrt die Kirche zu unserem Thema? Sie hält an drei Wahrheiten fest:
1. Die Hölle existiert.
2. Ihre Strafen dauern ewig.
3. Sie beginnt nach dem Tod und nicht erst beim letzten Gericht am Ende der Welt.
Bis diese Wahrheiten geklärt waren, dauerte es einige Zeit. Gerungen wurde um das Thema der Ewigkeit der Hölle. Gefragt wurde auch, ob eine Strafmilderung für Christen denkbar sei? Ist die Hölle vielleicht nur sinnbildlich zu verstehen? Beginnt sie vielleicht doch erst beim Jüngsten Gericht?
Wie können wir die drei Wahrheiten: Die Hölle existiert – Ihre Strafen dauern ewig – Sie beginnt nach dem Tod - verstehen?
Zunächst einmal müssen wir bedenken, dass wir keine unmittelbare Erfahrung der jenseitigen Wirklichkeit haben. Wir können uns nur unsere sichtbare Welt in Zeit und Raum vorstellen. Unsere menschlichen Erfahrungen lassen sich nicht 1 zu 1 auf das ewige Leben übertragen. Dennoch gibt es nach der Lehre der Kirche den Zustand der endgültigen und ewigen Gottesferne.
Ein Weiteres ist zu bedenken: Bei den Aussagen über die Hölle geht es nicht um Information, sondern um das ewige Heil des Menschen, das im Jetzt vorbereitet wird. Es ist uns aufgegeben, das Leben zu meistern angesichts der realen Möglichkeit des endgültigen Scheiterns. In diesem Sinne ist die Predigt von der Hölle vor allem als Warnung für die Lebenden zu verstehen.
Das Wesen der Hölle besteht im Verlust der Liebe zu Gott und der Gemeinschaft der Heiligen. Wir sind von Gott so geschaffen, dass wir nur selig werden können, wenn wir ihn und die Mitmenschen lieben. Die Strafe der Hölle besteht darin, dass wir in einem Zustand sind, der unserer Natur und unserer Berufung widerspricht. Das wiederum ist mit einem furchtbaren Leiden verbunden. Wir sind gleichsam auf Liebe „programmiert“ und leben ständig dagegen. So sagt der Katechismus der katholischen Kirche in der Nr. 1035: „Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für die er erschaffen worden ist und nach denen er sich sehnt (Vgl. dazu auch 393).“
Damit Geschöpfe lieben können, müssen sie frei sein. Eine instinktive, bloß triebhafte oder erzwungene Liebe ist keine Liebe. Das hat jedoch zur Folge, dass Gott die Freiheitsentscheidung des Menschen respektiert. In der Hölle sind nur solche Geschöpfe, die sich ganz frei und ein für allemal gegen Gott und Seine Liebe entschieden haben. Um es in einem Bild zu sagen: Die Türen der Hölle sind nicht von außen wie bei einem Gefängnis, sondern von innen verschlossen. Obwohl es äußerst schmerzhaft ist, wollen die verdammten Geschöpfe sich von Gott nicht lieben lassen und auch nicht lieben.
Wer ist in der Hölle?
Die Entscheidung der Engel, die sich gegen Gott aufgelehnt haben, ist nach der Überlieferung der Kirche unwiderruflich. So sind und bleiben der Teufel und die gefallenen Engel, die Dämonen, in der Hölle. Die Hölle ist also nicht leer. Die Kirche kennt offizielle Heiligsprechungen, aber keine offiziellen Verdammungsurteile. Es steht uns somit nicht zu, ein endgültiges Urteil über irgendeinen Menschen zu fällen.
Wir dürfen hoffen und beten, dass alle Menschen gerettet werden. Viele Gläubige tun es mit dem Fatima-Gebet, das ja von der Kirche anerkannt ist: „O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden! Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen. Amen.“
Erfahrungen aus dem Befreiungsdienst
Priester im Befreiungsdienst machen die Erfahrung, dass sie es nicht immer mit Dämonen zu tun haben. Es melden sich auch Verstorbene, arme Seelen, die zwischen Erde und Himmel gebunden sind und Hilfe suchen. Sie haben in ihrem irdischen Leben schwer gesündigt. Deshalb machen die Dämonen einen Anspruch auf sie geltend. Wenn es uns gelingt, sie für die Barmherzigkeit Gottes zu öffnen, können sie gerettet werden. Ein bewährtes Mittel dazu ist der Barmherzigkeitsrosenkranz, welcher der heiligen Schwester Faustyna Kowalska geoffenbart wurde. Wir beten ihn in die Todesstunde dieser armen Seelen hinein. Denn, nach einem Wort des heiligen Pater Pio, hilft das Gebet außerhalb von Raum und Zeit.
So viel liegt Gott an der Rettung der Seelen, dass Er nicht nach dem Tod, aber im Tod noch Seine Barmherzigkeit anbietet. Wir wollen auch daran denken, wie viele Menschen in ihrer Lebensgeschichte durch fremde Schuld so verwundet worden sind, dass sie kaum imstande sind, vor dem Tod ganz freie Entscheidungen zu treffen.
Eine Entscheidung noch im Tod?
Auf Grund solcher Überlegungen haben einige Theologen im vergangenen Jahrhundert die Meinung vertreten, der Mensch erhalte im Tod eine letzte Möglichkeit, sich für oder gegen unseren Erlöser Jesus Christus zu entscheiden. In seiner Enzyklika über die Hoffnung Spe salvi sagt Papst Benedikt XVI.: „Einige neuere Theologen sind der Meinung, dass das verbrennende und zugleich rettende Feuer Christus ist, der Richter und Retter. Das Begegnen mit ihm ist der entscheidende Akt des Gerichts. Vor seinem Anblick schmilzt alle Unwahrheit. Die Begegnung mit ihm ist es, die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unserer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeres Stroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen. Aber in dem Schmerz dieser Begegnung, in der uns das Unreine und Kranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick, die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiss schmerzlichen Verwandlung ,wie durch Feuer hindurch’”(47).
In eine ähnliche Richtung weist ein Gedanke des 2. Vatikanischen Konzils. Es sagt in der Pastoralen Konstitution Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute: „Da nämlich Christus für alle gestorben ist (32) und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein“ (22).
Drei Wahrheiten müssen wir versuchen, zusammen zu denken: Die erste Wahrheit ist: Um zum Heil zu gelangen, muss man Jesus Christus begegnet sein, sich von Ihm lieben lassen und Ihn lieben, sich für Ihn entscheiden und in einer tiefen Freundschaft mit Ihm verbunden sein. Denn wir glauben, dass Jesus Christus der einzige und wahre Erlöser ist. Alle Geretteten verdanken ihr Heil letztlich Ihm.
Die zweite Wahrheit, die wir beachten müssen, sagt: Nach dem Tod kommt jeder Mensch sofort in die Hölle, der nicht in der Gnade ist, weil er sich frei gegen die Gnade entschieden hat. Die Kirche lehrt das individuelle Gericht nach dem Tod. Und auch Jesus spricht von der Möglichkeit der ewigen Verdammnis. Doch Thomas von Aquin weiß auch, dass im Evangelium von Menschen die Rede ist, welche Jesus nicht kennen, aber auf Grund ihrer Liebe gerettet werden. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ sagt Jesus in seiner großen Rede über das Weltgericht (Mt 25,31-46). Bei diesen vermutet auch Thomas eine besondere göttliche Offenbarung. Doch auf dieser Vermutung lässt sich keine Lehre aufbauen. Deswegen greifen wir die dritte Wahrheit auf, die wir bei den Konzilsvätern des 2. Vatikanischen Konzils gefunden haben: „Wir müssen festhalten, dass Gott jedem Menschen sein Heil anbietet durch ein ihm bekanntes Mittel.“
Weil es Millionen von Menschen gibt, denen das Heil im irdischen Leben nicht oder in einer für sie unverständlichen Weise angeboten wird, und weil ich weiß, dass Gott es jedem Menschen anbieten will, darf ich annehmen, dass Er dies im Durchgang oder Übergang des Todes tut.
Der Autor ist Bischofsvikar in der Diözese Chur.