Am 24. November fand in Wien ein Marsch für das Leben statt. Ein großer Erfolg. Obwohl beachtliche 1.500 bis 2.000 Menschen am Marsch teilnahmen, wurde er von den Medien totgeschwiegen. Bei der Kundgebung fand P. Karl Wallner, Nationaldirektor von Missio Österreich, klare Worte zum Thema Abtreibung:
Es ist für uns sehr wichtig zu sehen, dass unser Herr Jesus Christus zwei Weisen des Sprechens kennt.
1.) Wo es um Gott, Seinen Vater geht, wo es um Recht und Gerechtigkeit, wo es um die Ehre und Würde des Menschen geht, da spricht Er Klartext. Der Jesus, der uns in den Evangelien begegnet, ist im öffentlichen Diskurs kein „Weichei“, keine „Lusche“, wie man in Deutschland sagt, kein „Softie“, wie wir in Österreich sagen. Jesus ist ein Leader, er beansprucht die Führerschaft in das Reich Gottes. Er möchte die Menschen zu Gerechtigkeit und Frieden führen.
Jesus ist daher konfliktfähig. Er wirft den Führern des Volkes vor, „übertünchte Gräber zu sein“. „Schlangenbrut und Natterngezücht“ gehören zum Repertoire des Sohnes Gottes. Er fordert sie auf, ihre irdischen Kultstätten niederzureißen, denn er wird in drei Tagen etwas Besseres aufbauen, etwas Ewiges und Beständiges. Diese prophetische Dimension im öffentlichen Auftreten dürfen wir Christen nicht vergessen. Diese prophetische Dimension, wo Jesus für die Ehre Gottes und die Würde des Menschen eintritt – gerade auch des Sünders – kostet Ihn freilich das Leben.
Die Kirche heißt „Kirche“ nach Jesus Christus. Denn das deutsche Wort „Kirche“ kommt vom griechischen Wort Kyrios, „Herr“. Die „Kyriake“ ist die Gemeinschaft, die dem Herrn gehört. Daher hat diese Kirche, wenn sie nicht noch weiter ihr Wesen verlieren will, die Pflicht zur Prophetie: zur Christus-nachfolgenden Prophetie.
Daher gibt es Aussagen des kirchlichen Lehramtes vom 2. Vatikanischen Konzil über die Päpste bis hin zu unserem jetzigen Papst Franziskus, die scharf sind. Aussagen, die die Abtreibung scharf und klar und, wie bei Papst Franziskus, manchmal auch sehr plakativ verurteilen. Das ist die Sprache Jesu gegen die Sünde, gegen die Tat, gegen die Handlung.
2.) Aber dann gibt es eine zweite Weise des Sprechens Jesu. Es gibt diesen „anderen Jesus“, den milden, den sanften, den lieben, den gütigen…
Das ist das Verhalten Jesu überall dort, wo er dem Sünder, der Sünderin – also dem konkreten Menschen begegnet, der in Schwierigkeiten ist. Da wo einer vor ihm steht, der versagt hat, gibt es nur Liebe, nur die milde Sprache der Sanftmut, des Vergebens, des Verzeihens, der Barmherzigkeit: „Zachäus, steig schnell herunter!“ „Deine Sünden sind dir vergeben!“ „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Diese Sprache Jesu gilt für den Sünder, die Sünderin, den einzelnen Menschen: „Auch ich verurteile Dich nicht“, sagt Jesus zu der beim Ehebruch ertappten Sünderin. „Ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat!“, sagt er über eine andere, die seine Füße mit Tränen trocknet. „Er isst mit Zöllnern und Dirnen“, werden die Leute über den barmherzigen Heiland sagen.
Ich habe im Beichtstuhl schon oft diese Tränen der Reue erlebt, der Reue einer Mutter über das Nein zu ihrem Kind. Der Reue auch von Großeltern, die ihrer Tochter statt zur Annahme des Kindes zur Abtreibung geraten haben, seltener – aber doch auch – die Reue von Vätern, die durch ihr schäbiges Verhalten die Mutter des Kindes in diese Situation gebracht haben.
Jesus kennt gegenüber dem Sünder nur eines: Barmherzigkeit. Und die Kirche drückt es in einem eigenen Sakrament aus. Barmherzigkeit auch dort, wo etwas so Schlimmes geschehen ist wie die Tötung des eigenen Kindes.
Die beiden Sprechweisen Jesu Christi sind auch die Sprechweisen der Kirche, die heute oft so wenig – auch von Christen – verstanden werden.
Eine alte Regel lautet: „Die Sünde hassen – den Sünder lieben!“ Das ist kein Widerspruch, das ist die Lösung, denn es ist die Konsequenz der Erlösung. Unser Herr Jesus Christus hasst die Sünde; und doch gerade deshalb liebt Er den Sünder, ja Er stirbt sogar für ihn am Kreuz.
3.) Wir sind heute hier, um für etwas einzutreten: „Pro Life“, für das Leben in allen Dimensionen. Es geht um Menschen, Kinder, ungeborene Kinder. Das „Pro Life“ bezieht sich aber auch auf die Mütter, denn wenn eine Mutter nicht Ja zu ihrem Kind sagen kann, verletzt sie sich selbst, beschädigt sie ihre eigene Seele.
Als Priester bin ich entsetzt, wenn man es als einen Fortschritt für die Frauen bezeichnet, dass Abtreibung so „problemlos“, so ohne Fristen der Beratung usw. abläuft. Wenn es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt, dann kann eine schwere psychische Verdunkelung eintreten, das Gefühl der Ausweglosigkeit, wo die Abtreibung als einziges Mittel erscheint, um schnell alles los zu werden. Was für eine Täuschung! Später kommt es zum bitteren Erwachen, denn man ist die Dunkelheit in der Seele gar nicht los geworden. Licht gibt es nur dort, wo es ein – wenn auch noch so herausforderndes – Ja zum Leben gibt.
Ich kenne nicht wenige Frauen, die von den seelischen Verletzungen, die eine Abtreibung ausgelöst hat, wie von Dämonen verfolgt werden.
Ich bitte Euch hier im Namen Jesu Christi um diese beiden Verhaltens- und Sprechweisen, die so wichtig sind für unsere Zukunft:
• Benennen wir prophetisch Falsches als falsch; treten wir bitte ein für die so notwendigen Änderungen.
• Seien wir im besten Sinne des Wortes „politische“ Menschen, die sich nicht verstecken;
• Unterstützen wir jene im öffentlichen Leben, die dem Anspruch des Evangeliums am nächsten kommen.
• Seien wir beharrlich und gehen wir klug und in kleinen Schritten voran. Was für ein Schritt wäre es, wenn wir endlich einen Überblick bekommen über die Zahl der Abtreibungen; wenn wir Beratungsfristen vor der Abtreibung hätten; wenn wir vereinfachtere Adoptionsgesetze hätten…
• Seien wir auch mutig, denn was haben wir denn heute noch zu verlieren? Wenn man uns Christen nicht mehr unterscheiden kann von den Durchschnittsmenschen in dieser Welt, die immer mehr unchristliche Werte propagiert und lebt, – welchen Wert hat dann noch unser Christsein? Was wird der Herr einmal zu uns sagen?
• Es ist daher Zeit, dass wir immer mehr in die Öffentlichkeit gehen. Diese Mutprobe brauchen wir! Sie wird uns selbst zum Segen werden. Und verinnerlichen wir bitte vor allem die Haltung Jesu: Er ist der Sünde, dem Falschen, entschieden entgegengetreten. Doch nochmals entschiedener hat er den Sünder, die Sünderin, mit barmherziger Liebe geliebt.
Gott segne Euch!