Maurice Caillet, ein erfolgreicher Chirurg, war Freimaurer. Zwei Jahre lang leitete er eine Loge. Ein schweres, aussichtsloses Leiden seiner Frau bewegte ihn dazu, mit ihr nach Lourdes zu fahren. Dort erlebte er eine unerwartete, wunderbare Bekehrung. Im folgenden Gespräch nimmt er zu Fragen der Beziehung von Freimaurerei und Kirche Stellung.
Wie würden Sie die Freimaurerei kennzeichnen?
Sie ist eine geistige Gemeinschaft, die den Menschen und die Freiheit zur Geltung bringen will: Letztere soll ohne Beeinträchtigung zum Zug kommen. Es geht zunächst um eine philosophische Frage mit Auswirkungen auf das intellektuelle und geistige Leben jener, die sich dort binden. Allerdings schließt man keineswegs einen Pakt mit dem Teufel ab oder nimmt an schwarzen Messen teil, wenn man in eine Loge eintritt. Manchmal hört man das. Es gibt Leute guten Willens in der Freimaurerei.
Wie geht die Freimaurerei vor?
Wie ein Ideen-Labor. Die großen Probleme der Gesellschaft werden in der Loge systematisch studiert. Diese Arbeit wird dann in der Öffentlichkeit verbreitet. Vor allem über die Abgeordneten und Senatoren, die Freimaurer sind. Sie bringen Gesetzesentwürfe ein, die unmittelbar das Ergebnis von Arbeiten im Schatten der Logen sind. So sind die Verhütung, die Abtreibung, die Banalisierung der Scheidung Frucht freimaurerischen Denkens. Dieses will menschliche Probleme so lösen, daß aller Zwang, alle Abhängigkeit beseitigt werden, sei es in Bezug auf Moral oder Religion.
Damit ist sie schwer mit dem christlichen Glauben vereinbar...
Die Trennung christlicher Maurer von der Kirche ist schrittweise erfolgt. Tatsächlich aber bieten die Organisationen der Freimaurer einen Ansatz, der dem der Kirche diametral entgegengesetzt ist. Für sie ist die Erleuchtung einigen wenigen Eingeweihten, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, vorbehalten; für die Christen ist der Glaube eine Offenbarung, ein Geschenk Gottes, das allen, vor allem den Demütigen und den Kleinen angeboten wird. Indem sie sich ausschließlich auf die Konfrontation der Ideen und die Toleranz stützt, führt die Freimaurerei zum Relativismus; das Christentum hingegen lädt zur Entdeckung Jesu Christi ein. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die Freimaurerei erwartet alles vom Menschen und nichts von Gott; selbst jene Logen, die von der Existenz eines "Großen Architekten" ausgehen, lehnen die Vorstellung von einem Gott, der in das Leben der Menschen eingreift, ab. All das sind Gründe, warum die Katholische Kirche immer schon die Zugehörigkeit von Christen zur Freimauererei verurteilt hat.
Wie steht es dann aber mit den sich häufenden Begegnungen von Christen und Freimaurern?
Mehrere Logen werben heute unter Christen, die manchmal guten Glaubens Freimaurer werden. Hinter der Maske der Toleranz geht die Freimaurerei auf sie zu; für alle zugängliche Konferenzen über philosophische und kulturelle Fragen, erscheinen unverfänglich. Die Christen nehmen nicht wahr, daß dieser Empfang im "Sonntagsgewand" nur das erkennen läßt, was man ihnen gerne zeigen möchte.
Je höher man jedoch in den maurerischen Graden steigt, umso häufiger trifft man auf Personen, die der Kirche und vor allem dem Papst feindlich gesinnt sind. Die Freimaurerei wurde übrigens 1715 durch zwei anglikanische Pastoren, die den Primat des Bischofs von Rom ablehnten, gegründet. Ich selbst war antiklerikal, daher habe ich mich dort wohlgefühlt. Die Feindseligkeit einiger Proteste gegen den Papstbesuch in Frankreich werfen ein Licht auf diese Einstellung. Das sind aber Ausnahmen. Meist wird man nichts von der Freimaurerei hören. Sie weist ihre Berechtigung durch humanitäre Aktionen nach.
Bedauern Sie, daß Sie im "Großen Orient" waren?
Ich habe dort intelligente Menschen getroffen, auch einige wertvolle. Aber Vorsicht... Hinter meinem Engagement stand eine geistige Ausrichtung. Ich war auf einer Bahn, die mich weit in die Abhängigkeit und ins Unglück geführt hat. Daher spreche ich auch heute. Ich möchte einfach sagen: "Es war ein Fehler, machen Sie nicht denselben." Manche fühlen sich auch von dem geheimnisvollen Aspekt der Freimaurerei angezogen. Aber das, was im Zuge der schrittweisen Einweihung in den Logen enthüllt wird, ist eine Illusion. Der Großteil der Geheimnisse wurde durch ehemalige Freimaurer bekanntgemacht. Und über die Rituale kann man alles in den Buchhandlungen erfahren.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Gefahr der Freimaurerei?
Die große Gefahr ist letztendlich der Egozentrismus (wohlgemerkt: ich sage nicht Egoismus) und der Stolz: Der Mensch glaubt, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können, ohne Gottes Hilfe. Das ist die Ursünde: Der Mensch will sich selbst erschaffen, also wie Gott sein. Und genau das ist es ja, was die Schlange dem ersten Menschenpaar sagt: "Ihr werdet wie Gott sein." Diese Art von Stolz - sie bedroht alle esoterische Organisationen - ist Nahrung für den Bösen, selbst wenn die Gründer und Anhänger nicht bewußt einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben. Das Licht, von dem die Rede ist, ist sehr wohl das Luzifers, des "Lichtträgers" und die Früchte sind sichtbar: zerstörte Ehen, Ehrgeiz, Streben nach Macht und Geld, grenzen- und skrupellos...
Das Gespräch führte Benedicte Drouin. Die Beiträge beider Seiten sind aus "Famille Chrétienne v.30.9.99, v. 16.11.95 und v. 14.10.99.