Rechtzeitig zum zu Ende gehenden Jahrtausend erschien ein sehr lesenswertes Buch, das uns zu einem Spaziergang durch zwei Jahrtausende Christliche Geschichte Europas einlädt. Dem Autor, Redakteur der angesehenen FAZ, gelingt es dabei, den Leser zu den Schauplätzen abendländischer Kultur zu führen und ihm die geschichtlichen Abläufe lebendig, fast wie in einem Film, vor Augen zu führen. Im Mittelpunkt seiner Erzählungen steht der Traum von der gerechten Gesellschaft, die der Evangelist Johannes uns in der Apokalypse als die "Himmlische Stadt" vor Augen stellt. Badde zeigt, wie fast alle Herrscher Europas bis zur Neuzeit dieses Modell zu verwirklichen versuchten.
Seine Ausführungen zeigen, daß die Kirche die große Schule Europas war. "Die Architektur der Kathedrale ist die Struktur Europas", ist eine seiner Kernaussagen. Er beschreibt dabei die wichtigsten Etappen der christlichen Geschichte. Sie beginnt beim Konzil von Nizäa, wo Kaiser Konstantin die Christenheit einte, und endet mit dem Fall der Berliner Mauer und seinen Folgen. Er stellt dem Leser die großen Gestalten des Christentums vor Augen, etwa den Heiligen Augustinus. Lebendig beschreibt Badde das Entstehen der großen Mönchsbewegungen, die nach Westeuropa auszogen, um im Namen Christi das Evangelium und die Kultur in diese Länder zu tragen.
Eine spannende Geschichte ist auch die der Kirchenbaubewegung im 12. Jahrhundert, die nach der Ausrufung des "Gottesfriedens" in Frankreich ihren Höhepunkt erlebte. Der Autor nennt diese Dombauhütten die ersten Technologiezentren Europas. Dieses Buch verdeutlicht auch, daß es neben den Christen die Juden waren, die Europa entscheidend mitprägten. Badde beschreibt ihre tragische Geschichte, beginnend mit der Vertreibung in Spanien bis zum Naziterror unseres Jahrhunderts. Wer die Krone des Heiligen Römischen Reiches, heute in der Wiener Schatzkammer der Hofburg ausgestellt, näher betrachtet, sieht, welche Rolle die Könige und Propheten des Alten Bundes im europäischen Gottesgnadentum spielten. Die Perlen und Edelsteine die diese Krone verzieren, sind dieselben, die der Evangelist Johannes in der Geheimen Offenbarung benennt. Diese Krone ist eigentlich eine Miniaturausgabe dieses Großen Modells der Heiligen Stadt, das Europa bis zur Französischen Revolution prägen sollte.
Badde beschreibt ferner den Sturm auf die Bastille, und wie sehr die Aufklärung das Denken Europas veränderte.
Nunmehr scheinen die Christen Europas im eigenen Haus heimatlos geworden zu sein. Die alten Kathedralen ragen wie einsame Inseln aus den Profilen der Städte. Und Badde stellt die Frage: "Werden wir am Schluß der Geschichte, mitten in Europas Triumph, also doch noch von der Vergeblichkeit eingeholt, von einer lähmenden Mutlosigkeit befallen?"
Das Schlußwort im Buch spricht Kardinal Puljic von Sarajevo. Angesichts der Greuel, die sich am Balkan ereigneten, sagt er: "Die gerechte Gesellschaft läßt sich auf Erden nicht verwirklichen. Das ist unmöglich. Aber wenn wir aufhören, es zu versuchen, dann enden wir in der finsteren Barbarei. Denn die läßt sich verwirklichen!"
Christoph Hurnaus
Paul Badde, Die himmlische Stadt, Preis. öS 291.-