Ein Kind abtreiben zu lassen, ist ein massiver Eingriff, der unauslöschliche Spuren hinterlässt, auch wenn Betroffene versuchen, das Geschehen zu verdrängen. Für sie alle gibt es eine gute Nachricht: Auch diese tiefe Wunde kann geheilt werden, wie der folgende Beitrag zeigt.
Wie es begann - das sagt mehr als viele Worte: Acht Frauen kommen in einer gruppentherapeutischen Sitzung zusammen. Alle acht Frauen sind in wöchentlicher Therapie aufgrund von Essstörungen. Während einer der Sitzungen erzählt plötzlich Debbie, eine der Frauen, dass sie von Alpträumen und von überfallartigen schmerzhaften Erinnerungen (sogenannten Flashbacks) heimgesucht wird aufgrund einer Abtreibung, die Jahre zurückliegt.
Und dann geschieht‘s. Debbies Erwähnung der Abtreibung löst eine Art Kettenreaktion aus. Fünf andere Frauen aus der Gruppe, so stellt sich heraus, haben gleichfalls eine Abtreibung hinter sich.
Der Therapeutin wird klar, dass all die vorausgegangenen Gruppengespräche lediglich die Oberfläche berührten, sie waren die Spitze des Eisbergs. Der Schmerz, um den es wirklich ging, lag tiefer, verborgener: Es ist der Schmerz der Abtreibung.
Ihr Supervisor, dem sie von der stupenden Erfahrung berichtet und weiters vorschlägt, dass es nach dem Vorgefallenen offensichtlich sei, das Thema der Abtreibung therapeutisch anzugehen, wiegelt ab, indem er Debbies traumatische Erinnerungen als eine psychotische Reaktion nach Medikamenteneinnahme einstuft.
Der Gruppenleiterin wird das weitere Erforschen der wahren Zusammenhänge ausdrücklich untersagt: „Dies ist eine Unterstützungsgruppe für Essstörungen, nicht für Abtreibung.“ Es ist von Glück zu reden, dass Theresa Burke, so der Name der Therapeutin, das Geschehen weder bagatellisierte noch ignorierte. Und: Sie ließ sich nicht beirren. Politische Korrektheit ist kein Mittel der Wahl, um Opfern zu helfen. Das Opfer verlangt nach dem Mittel, welches das einzig adäquate ist: Der Wahrheit.
Aus den augenöffnenden Erfahrungen Burkes ist über die Jahre hin das weltweite spirituelle Heilungsprogramm Rachels Weinberg® (Rachel‘s Vineyard®) entstanden, welches sich derzeit (Stand 2019) in über 80 Ländern und 33 Sprachen professionell Menschen zuwendet, die eine oder mehrere Abtreibungen hinter sich haben und an dieser traumatischen Erfahrung zu zerbrechen drohen.
Der Name Rachels Weinberg vereint die beiden Aspekte der Trauer und der Hoffnung: Die weinende, untröstliche Rachel des Alten Testaments, deren Kinder verloren sind, ruft das Leid der postabortiven Frauen in Erinnerung, die, zumeist verschwiegen, ihr verlorenes Kind betrauern; das Bild des Weinbergs, als ein Bild der messianischen Fülle, schenkt die Verheißung des Wiederaufbaus in der Wüste, wie es etwa das biblische Buch Hosea 2, 16.17 hoffnungsvoll zum Ausdruck bringt: „Darum will ich selbst sie verlocken. Ich will sie in die Wüste hinausführen und sie umwerben. Dann gebe ich ihr dort ihre Weinberge wieder (...)“
Was muss eine Frau beziehungsweise ein Mann mitbringen, wenn er eine Rachels Weinberg Einkehr mitmachen will?
Die Antwort ist einfach: Die Bereitschaft, sich aufrichtig dem eigenen Erleben zu stellen. Nicht zu verdrängen, nicht zu verharmlosen, nicht zu verfälschen oder zu verschweigen, sondern das Geschehene in aller Redlichkeit dem hinzuhalten, der allein die lebensnotwendige Heilung bringen kann: Gott. Und dabei zugleich die wesentliche Erfahrung zu machen, dass es andere gibt in der Gruppe, die einen ähnlichen Schmerz erleben, die dich verstehen und dich mittragen durch diese dreitägige Einkehr. Mit anderen Worten, neu die Erfahrung zu machen, dass es tatsächlich Mit-Menschen gibt, die sich nach Leben sehnen wie du selbst, und dass es ein Team gibt, welches Dich nicht verurteilt, sondern in die Freiheit führen will.
Und um den Mund mal wirklich voll zu nehmen, sollte man auch dies sagen: Die Teilnehmer, die eine Rachels Weinberg Einkehr mitmachen, wissen danach, was es heißt aufzuerstehen.
Ist es nicht so, dass die theologische Vokabel der Auferstehung für etliche ein reichlich blasses Wort ist? Auferstehung? Ja, das hat irgendwie mit Ostern zu tun, und mit dem leeren Grab, und mit frommen Geschichten vor zweitausend Jahren. Wer hält es für möglich, dass die Geschichte der Auferstehung heute, jetzt sich unter uns ereignet, da der Auferstandene keine nostalgische Figur ist, sondern der Herr, der derselbe ist gestern, heute und in alle Ewigkeit?
Jemand, der den Schmerz, die Verzweiflung, die Niedergeschlagenheit, das emotionale Abgestorbensein, die tödliche Ausweglosigkeit nach einer Abtreibung am eigenen Leib erfahren hat und dann, oftmals erst Jahre später, allen Mut zusammennimmt und eine Einkehr besucht, um endlich aus diesem unerträglichen Schmerz hinauszukommen, wird vielleicht selbst am meisten überrascht sein, dass es das gibt: Heilung nach Abtreibung. Auferstehung aus dem Tod.
Und noch etwas. Diese gute Nachricht muss verkündet werden. Auch und gerade in der Kirche. Ansonsten bleibt der Verzweifelte an der irrigen Meinung haften, es gäbe keinen Ausweg aus der Sackgasse. Das aber würde heißen, wir lassen die Betroffenen im Stich, während sie darauf warten, dass endlich jemand die Schweigespirale durchbricht.
Dr. Theresa Burke hat dies getan. Gegen alle Widerstände. Gott sei Dank!
Dr. Manfred Müller ist Seelsorger im AKH in Wien und Herausgeber des Buches Auferstehung (siehe Seite gegenüber).
Weitere Infos unter:
www.rachelsweinberg.at
www.rachelsweinberg.de
www.rachelsvineyard.org