VISION 20006/2019
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Der heftige internationale Kampf ums Leben

Artikel drucken Jahrzehntelange Versuche, das Lebensrecht auszuhöhlen (Andreas Thonhauser)

Genf, Oktober 2018. Während im Gebäude der Vereinten Nationen der Menschenrechtsausschuss tagt, ist die idyllische Stadt in der französischen Schweiz zuge­pflas­­tert mit Werbeplakaten der UNO. Darauf ist die zur Faust geballte Hand eines Neugeborenen mit blauem Identifikationsarmband zu sehen. Statt des Namens ist eine handschriftliche Botschaft angebracht: „You have human rights since birth“.

Damit soll ausgedrückt werden, dass jedem Menschen unveräußerliche Rechte zustehen. Mit einer Einschränkung: Erst ab der Geburt. Eine subtile Botschaft, die keineswegs ein Versehen oder Miss­verständnis ist.
Auf dem internationalen Parkett der Staatengemeinschaft ist das Recht auf Leben hart umkämpft. Ob an der UNO, den Institutionen der Europäischen Union oder der Organisation Amerikanischer Staaten – internationale Körperschaften sind attraktive Plattformen für Lobbyis­ten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Recht auf Leben einzuschränken. Vor allem Ungeborenen soll es nicht zustehen. Ein Lobbying-Erfolg bei einer dieser Organisationen kann eine breite Wirkung erzielen.
Immerhin machen diese Institutionen politische und juristische Vorgaben für etliche Länder und Millionen von Bürgern. Und sie gewähren den ökonomisch schwächeren Ländern des Südens Entwicklungshilfe. Das ist ein mächtiger Hebel, politische Entscheidungen in lateinamerikanischen,  afrikanischen  und asi­atischen Staaten zu beeinflussen.
Organisationen wie „Amnesty International“ versuchen Politik und Gesetzgebung in Richtung „liberalere“ Abtreibungsgesetze zu bewegen. Ein Beispiel dafür ist der Versuch der Einführung eines Gesetzes in Argentinien, das Abtreibung bis zur Geburt erlauben würde. Einen Tag vor der finalen Abstimmung im argentinischen Senat annoncierte Amnesty in der internationalen Ausgabe der New York Times eine ganze Seite.
Darauf war ein Kleiderhaken als abschreckendes Symbol für lebensbejahende Gesetzgebung zu sehen und der Hinweis, dass die Welt den argentinischen Senat bei seiner Entscheidung am nächsten Tag aufmerksam beobachte. Mit adäquatem Budget lässt sich durch Medien ordentlich Druck gegen das Leben aufbauen.
Auf EU- und UN-Ebene besonders aktiv ist die aus den USA stammende „International Planned Parenthood Federation“ (IPPF). Das erklärte Ziel laut Jahresbericht 2019: Bis zum Jahr 2022 sollen mindestens 100 Länder „reproduktive Rechte“ gewährleisten. Das ist der UN-Terminus für Abtreibung.
Mit einem jährlichen Budget von mehr als 100 Millionen US-Dollar, die vor allem aus staatlichen Fonds kommen, ist das nicht unrealistisch. In ihren Zielen beschreibt die Organisation unter anderem, wie wichtig die Präsenz an der UNO-Generalversammlung und am UN-Nairobi Gipfel sein wird, der im November in Kenia  stattfindet. Er soll das Recht auf Abtreibung stärker international bewerben.
Ein Beispiel dafür, wie an der UNO das Recht auf Abtreibung durchgeboxt wird,  ist der „Kommentar 36“. Dabei handelt es sich um ein Dokument, das der eingangs erwähnte UNO Menschenrechtsausschuss in Genf im Oktober 2018 verabschiedete. Der in Genf ansässige Ausschuss ist damit beauftragt, im Konsens Analysen und Kommentare zu den internationalen Menschenrechtsverträgen zu publizieren. Die Ergebnisse sind nicht bindend, aber in der Regel übernehmen UNO-Mitgliedsländer, also so gut wie alle Staaten dieser Welt, die Empfehlungen des Ausschusses. Oft werden sie von  Höchstgerichten als Grundlage für entscheidende Urteile zitiert.
Die unabhängigen, von 18 Ländern nominierten Experten, die den Rat bilden, arbeiteten an dem Dokument „Kommentar 36“ über mehrere Jahre hinweg. Meinungen aus der Zivilgesellschaft und von politischer Seite waren zwar eingeholt worden, verabschiedet wurde es jedoch ohne eine finale Abstimmung.
„Wir wissen, dass einige Experten des Ausschusses gegen den „Kommentar 36“ waren. Aber er wurde durchgepeitscht. Ein Mitglied trat deshalb sogar zurück,“ erklärte ein Anwalt, der für eine Nichtregierungsorganisation die Arbeit des Ausschusses in Genf beobachtete und lieber nicht öffentlich mit Namen genannt werden wollte.
Es werde mit harten Bandagen gekämpft, denn es geht um viel. Aufgabe des Ausschusses ist es nämlich, die Menschenrechte und die damit verbundenen internationalen Verträge laufend auf ihre Effektivität zu überprüfen. „Kommentar 36“ fokussiert auf das fundamentalste aller Rechte: das unumstößliche Recht jedes Menschen auf Leben.
Während die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das Leben in jedem Stadium, also auch vor der Geburt schützt, entschieden sich die 18 Experten nun, dieses Recht zu relativieren.
Den jahrzehntelang wiederholten Parolen der Abtreibungsindustrie folgend, verfasste der Ausschuss ein langes Statement zum Recht des ungeborenen Lebens und argumentierte: Staaten könnten nicht dazu gezwungen werden,  das Recht auf Leben von Ungeborenen anzuerkennen. Im Gegenteil, ihr Recht auf Leben gelte nur, insofern es nicht das Recht von Frauen auf Abtreibung beschränkte.
Die Menschenrechte kennen jedoch kein „Recht“ auf Abtreibung. Durch den „Kommentar 36“ wurde über Jahre hinweg versucht, solch ein Recht künstlich zu etablieren. „Die meisten Staaten interpretieren das Recht auf Leben als ein Recht, das allen Menschen zusteht, vor und nach der Geburt“, sagt Elyssa Koren eine Anwältin der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International, die an den Vereinten Nationen in New York zu diesen Themen arbeitet.
Besonders ärmere Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika geraten zunehmend unter Druck, Abtreibung nicht nur zuzulassen, sondern auch zu fördern. Hilfsgelder in Milliardenhöhe sollen Entscheidungsträger umstimmen. Die Abtreibungsindustrie hat tiefe Taschen. Nur wenige Organisationen halten an der UNO dagegen und ermutigen Delegierte, an ihrer lebensbejahenden Einstellung festzuhalten.
Der Heilige Stuhl als ständiger UNO-Beobachter ist so eine Stimme der Ermutigung.  In seiner viel beachteten Rede vor der- UNO-Vollversammlung 2015 mahnte Papst Franziskus nicht nur Umwelt und Klima zu schützen, sondern auch das unumstößliche Recht auf Leben jedes Menschen, insbesondere jenes der Ungeborenen. Damit stellte sich der Heilige Vater in die Tradition der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die dieses Recht in Artikel 3 hochhält.
Diese Erklärung beeinflusste internationales Recht entscheidend und bewirkte viel Gutes. Noch immer stehen jüdisch-christliche Grundwerte als Fundament für die entscheidenden Rechte, die Leben, Familie und Glaubensfreiheit schützen. Aber sie sind ein zerbrechliches Gut. Und viele versuchen, diese Rechte für sich und ihre politischen Ziele zu vereinnahmen. Deshalb ist die Präsenz von Organisationen, die für eine lebensbejahende Politik eintreten, so wichtig. Am internationalen politischen Parkett wird nur gehört, wer sich zu Wort meldet.

Der Autor ist Director of External Relations der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF.

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