Es gibt Ereignisse, die das Leben von einem Moment zum anderen tiefgreifend verändern und eine Krisenzeit einleiten, eine Periode, in der sich oft grundlegende Fragen stellen – deren Beantwortung heilsam sein kann. Ein Zeugnis
Freitag, 1. März 2019. Aufgrund unbekannter, nicht zuordenbarer, aber aushaltbarerer Schmerzen im Brustbereich, die nur auftraten, wenn ich mich ein wenig anstrengen musste, liege ich in Innsbruck in der Kardiologie am Tisch der Herzkatheteruntersuchung. Es ist schon gegen Abend. Diese Untersuchung - die bei Bewusstsein durchgeführt wird, aber völlig schmerzlos ist - dauerte gefühlsmäßig etwa eine halbe Stunde. Niemand sprach in dieser Zeit ein Wort. Dann sagte der mich untersuchende Arzt: „Tut mir leid, Hr. Kain, aber sie haben eine schwere drei Wege Gefäßverengung beim Herz. Alle Zuleitungen zum Herz sind hochgradig verengt, da können wir keine Stents mehr setzen. Es fehlt gröber. Wir müssen bei ihnen so schnell wie möglich eine Bypass-Operation durchführen.“
In diesem Moment dachte ich, ich falle in ein tiefes Loch. Man muss wissen, dass ich erst 57 Jahre alt bin, nie geraucht habe, nie einen höheren Cholesterinspiegel hatte, nicht zuckerkrank, nicht übergewichtig, immer in Bewegung, mich gesund nach „Hildegard“ ernährt habe, jährlich Vorsorgeuntersuchungen gemacht habe und meine Hausärztin mich immer für meine „schönen“ und immer besser gewordenen Laborwerte gelobt hatte. Und dann das.
Das Telefonat mit meiner Frau war sehr schwierig, “... ich komme nicht mehr nach Hause, es fehlt gröber, existenzielle OP am Herzen bei geöffnetem Brustkorb“. Das saß. In Gedanken versuchte ich über alles nachzudenken, was man sich so denkt, wenn man von einer Minute auf die andere erfährt, dass der Körper „endlich“ ist. Trotz aller positiven Prognosen und Erfahrungen der Kardiologen ist es möglich, so eine OP auch nicht zu überleben. Die Ärzte überlegten sogar, mir für „die paar Tage bis zur OP noch zumindest einen Stent zu setzen“, dass sie mich noch diese paar Tage ohne Probleme hinüber bringen - muss also doch sehr akut gewesen sein.
Ich wusste, der Vikar, der in unserer Pfarre tätig ist, auch in der Klinik Seelsorger ist. Gleich am frühen Morgen schnell seine Nummer ausfindig gemacht, ihn angerufen. Ja, er kommt, aber erst am späteren Nachmittag. Ich, es ist dringend, weiß nicht, wann ich evtl. operiert werden würde. Er kommt dann doch sofort, ich versuche „auf die Schnelle“ eine Art Lebensbeichte, er spendet mir die Krankensalbung und die Hl. Kommunion. Ich fühle mich sofort besser und „sicherer“.
Am 6. März - es war Aschermittwoch - schon die OP. Bei mir wurde ein 4-fach Bypass gesetzt. Das „volle Programm“. 20 cm Narbe an der Brust, 60 cm am linken Bein - von wo man die notwendigen Venen entnommen hatte. Von 100% Leistung - die ich mir am 28. Februar noch zugetraut hatte, an dem Tag, an dem ich noch ganz normal arbeitete (mein Job ist der Außendienst im Vertrieb) auf 0 % Leistung in den Tagen nach der OP.
Schnitt.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus - sagt ein Sprichwort. Oder auch nicht - wie in meinem Fall. Dieses Ereignis kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel - unvorhersehbar, überraschend, nicht annähernd an so etwas denkend. Es war ein „Schuss vor den Bug“, der mein Leben hart an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Diese plötzliche Diagnose einer schweren mehrfachen Gefäßverengung beim Herzen und die dadurch notwendige, dringende und sofort durchzuführende Operation hat mich, meine Frau und unsere Kinder sehr wohl im wahrsten Sinn des Wortes „ins Herz getroffen“. Wir alle wurden dadurch komplett überrascht.
Es war sicherlich eine Portion Glück dabei - und ein wesentliches mehr an Gebeten - die mich und uns begleitet haben, die es ermöglichten, dass ich diese Operation, das plötzliche Erkennen, dass der Körper sehr wohl „endlich“ ist, das Annehmen von 0 % Leistungsfähigkeit und die daraus folgende langwierige Rekonvaleszenz inkl. Rehabilitation so gut überstanden habe, dass ich inzwischen wieder ins Berufsleben einsteigen konnte.
Es hätte auch ganz anders ausgehen können, wenn man diese Verengungen in den Arterien nicht entdeckt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden - es war wirklich knapp. Dafür bin ich außerordentlich dankbar.
So hart das klingt, aber solche Ereignisse sind auch immer ein Grund, über vieles im Leben nachzudenken, was man eventuell anders machen könnte, respektive sollte. In diesen Wochen hatte ich dazu sehr viel Zeit. Ich erkannte durch diese schwere Erkrankung - auch als mir meine Frau einen „Spiegel vor das Gesicht“ hielt - dass mich viele ehrenamtliche Tätigkeiten, die meine und unsere letzten Jahre begleitet haben, meine Zeit im wahrsten Sinn des Wortes „ausgefüllt“ und mich zum Teil schon „beherrscht“ haben.
Manchmal hatte ich wenig bis keine Luft zum atmen, da dies oder jenes angestanden ist, was zu erledigen war. Das Familienleben wurde dadurch arg zurückgedrängt - von mir zuwenig ernst genommen. Meine Einstellung in allem: wenn ich etwas machen möchte, dann mindestens zu 100%.
Da ich unendlich dankbar für so viele Gebete so vieler Menschen war und bin, versuchte ich auch, alle diese Erkenntnisse und Sorgen ebenfalls durch das Gebet vor den Herrn zu tragen. Letztlich reifte der Entschluss, mein Leben umzukrempeln: ich möchte meine mir verbleibenden Jahre und Energie zukünftig hauptsächlich unserer Familie, meiner Frau, den Kindern und den inzwischen doch schon drei, bald vier Enkelkindern widmen. Letztlich ist das meine ureigenste Berufung als Ehemann, Vater und Großvater.
Von der Hl. Theresa von Avila ist ein Wort überliefert, das auf diese, meine Situation passt wie die berühmte Faust auf’s Auge: „Gott wirft uns zuweilen immer wieder auf die Stufe eines Anfängers zurück.“ So hat mich dieses körperliche „Zurückwerfen“ wirklich nachdenklich gemacht. Ich wurde zum „Innehalten“ genötigt. Vielleicht weil ich auf Hinweise meines Körpers zu wenig gehört hatte? Das glaube ich zwar nicht, dafür waren diese Beeinträchtigungen viel zu kurz und zu wenig heftig. Es war aber ausreichend. Ich hatte vielleicht zu wenig auf meine Frau, mein Umfeld gehört, die mich öfters und schon länger „gedrängt“ hatte, mehr Zeit mit ihr zu verbringen.
Da waren meine Ohren zu sehr verschlossen: ich muss noch dieses und jenes erledigen, bin mit der Arbeit noch nicht fertig, schon wieder ein Telefonat, dort noch etwas zu organisieren, ein wichtiger Termin in der Warteschleife, Rasen mähen, Holz spalten und einräumen, Wohnung renovieren, Fotos sortieren und so weiter. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sehr viele Bürden, die ich mir selbst aufgeladen hatte.
Besser wäre es, hie und da freiwillig „innehalten“ - ohne dass man genötigt wird, Zeit für die Familie, für’s Gebet, für Gott, die Seele nicht unbedingt nur „baumeln“ lassen, sondern auf das Wesentliche hin ausrichten.
Abschließend ein Wort des Psalmisten, der im Psalm 90 schreibt: „Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt, achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Verhängnis, schnell geht es vorbei, wir fliegen dahin. (Ps 90,10). Doch - schon im Vers 12 die Kehrtwende: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Ich habe das durch unfreiwilliges Innehalten gelernt. Schöner ist es - das auf weniger aufregende Weise zu erfahren. Das wünsche ich euch.