Manchmal ist alles ganz geballt. Da sitze ich im Auto, neben mir mein Mann, wir sind auf dem Weg ins Kino. Wir sind verstimmt, zurück lassen wir aufgebrachte Kinder samt Babysitter, die mich später, da sind wir dann auf der Autobahn, noch anrufen werden, weil einer den anderen verhaut hat. Ich bin stinksauer.
Eigentlich passt es ganz gut, dass wir uns diesen Film über die Vergebung anschauen von Juan Manuel Cotelo. In „Das größte Geschenk“ werden Menschen porträtiert, die vergeben konnten, obwohl ihnen riesiges Leid zugefügt worden war. „Die Erfahrung zeigt, dass es nichts Besseres gibt, um Frieden zu schaffen“, sagt der Regisseur. „Die Vergebung hilft auf der ganzen Welt, ohne Ausnahme. Die Vergebung ist ein Geschenk, das man sich weder verdienen noch kaufen kann.“
Wären wir zwei jetzt in diesem Film dabei, dann wäre das jener Moment, wo der eine wieder die Hand des anderen ergreift und das Ehepaar einen Neuanfang macht. Aber da ich gerade mitten drinnen stecke in einem Mischmasch von Ärger, Frust und Hoffnungslosigkeit, spürt sich dieser so feinsinnige, witzige Streifen eher an wie all die tollen Ratgeber über das Leben, die Ehe, die Erziehung.
Diese haben den gleichen Haken: Wenn du das Buch zuklappst, beginnt wieder dein Leben. Deine Verhaltensmuster sind nicht weg, deine alltäglichen Herausforderungen, das Bewusstsein, das Leben never ever in den Griff zu kriegen. Und so fuhren wir wieder heim, ich zwar inspiriert und belebt, mein Mann aber relativ unberührt. Vergebung in Kriegsgebieten, das ist heldenhaft, definitiv. Vergebung, wenn einer aus der Ehe ausbricht und nach fünf Jahren zurückkehrt, während der andere wartet und betet, das ist ein Wunder!
Aber mein Alltag fordert mir permanent die Vergebung im Kleinen ab, ungesehen. Dort, wo keiner merkt, dass du Groll ansammelst. Wo niemand mitkriegt, dass du subtil, mit einem unbedeutenden Nebensatz, jemandem etwas vorwirfst. Wo du Dinge nicht einmal aussprechen kannst, weil sonst eine Explosion folgt. Da braucht es Vergebung auf jener intimen Bühne, wo nur Gott und du stehen.
Einige Tage lang bin ich in etwas hinein gerutscht, was ich in den letzten Jahren ganz bewusst bekämpft habe: Ich habe Groll angesammelt. Habe einige chronische Herausforderungen zu akuten Nöten addiert, alles noch multipliziert damit, dass ich selbst ja „Opfer meiner Umstände“ bin und nicht raus kann aus bestimmten Mustern, und voilà: Heraus kam eine unzufriedene, undankbare, hoffnungslose Perspektive meines Lebens.
Es realisierte sich genau das, was ich zum ersten Mal bei einem lebensverändernden Seminar von Juliana Bosma im Haus David in der Nähe von Linz richtig realisierte: Wenn du Groll ansammelst, wenn du nicht vergibst, dann öffnest du die Tür für den Feind. Der Widersacher, der zuallererst deine Gedanken infiziert mit dem subtilen Gift, dass du Opfer bist, Waisenkind, ungeliebt, alleine gelassen. Seither habe ich die Vergebung ganz neu als Schlüssel entdeckt.
Die Vergebung in der Beichte kannte ich als Katholikin natürlich, auch jene in besonderen Situationen, etwa zu Silvester, als ich vom Erscheinungsberg in Medjugorje herunter stolperte, und mich jeder Stein erinnerte an Menschen, denen ich noch zu vergeben hatte. Aber die Vergebung im Alltag entdeckte ich erst durch meine freikirchlichen Geschwister so richtig und bin unendlich dankbar dafür.
Vergeben muss ich manchmal 25 Mal am Tag. Muss das süße Gift entlarven, den Sog, der dir plötzlich eine verzerrte Perspektive auf dein Leben zeigt. Muss dem absagen, was rundherum gerade „in“ ist an Lebensentwürfen und Gedankenmustern. Das ist der Hauptschauplatz bei der Vergebung, so wie das „Happy End“ von Cotelos Film. Das ist, wenn einer den Kreislauf an Vorwürfen durchbricht – mit der Bitte um Vergebung. Das ist, wenn einer sagt: Ich vergebe.
Fertig mit dem Vergeben ist man nie. Und in diesen dunklen Tagen, wo ich mich mit meinem Groll verbündet habe, blitzen manchmal Lichter auf, die mich erinnern, dass ich was zu erledigen habe. Und eines Morgens überwinde ich mich wieder und halte meine Gebetszeit, schmeiße Gott alles vor die Füße, gestehe meine Unfähigkeit, bekenne meine Schuld und höre auf, selber zu kämpfen.
Dann passiert das, was mir oft passiert, wenn ich kapituliere und Gott das Ruder überlasse: Er nutzt meine Schwäche, um andere aufzubauen. Das Telefon klingelt und eine meiner liebsten Freundinnen aus Studienzeiten ruft an. Nach zwei Minuten sind wir beim Groll. Bei ihrem Groll. Das Ungewöhnliche ist, dass sie mich plötzlich löchert mit Fragen, wie ich damit umgehe, wenn ich Wut und Ärger habe, wie ich mit unlösbaren Situationen umgehe, die einen zur Weißglut bringen.
„Ich bin eine Grollexpertin“, lache ich ins Telefon hinein. Und erzähle ihr von der Vergebung, und wie wichtig es ist, die zu segnen, die uns auf die Nerven gehen, denen zu vergeben, die Unrecht an uns tun oder getan haben, egal welche Gefühle uns gerade irgendwelche Geschichten erzählen. „Sprich es laut aus!“, ermutige ich sie. „Was du laut aussprichst, realisiert sich in der geistlichen Welt.“
Vergebung ist schwer. Aber sie kann so leicht begonnen werden. „Ich vergebe A. Jesus segne A.“ Mehr braucht es nicht für den Anfang, denn dieser Satz ist das kleine Steinchen, das den Berg ins Rollen bringen wird. Jede Vergebung löst wieder ein Steinchen und das nächste und das nächste. Es liegt eine tiefe Wahrheit darin, dass das Wirklichkeit wird, was wir aussprechen. „Wer zuerst um Vergebung bittet, ist der Mutigste!“, habe ich zuletzt bei einer Predigt gehört. „Wer zuerst vergibt, ist der Stärkste! Wer zuerst vergisst, ist der Glücklichste!“
Und so inspiriert mich meine Freundin mit ihrer Not dazu, selber wieder neu zu starten. Meine Lebenswirklichkeit anzunehmen, mich ihr zu stellen, von Gott alles zu erwarten. Denn Er ist es, der auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Er kann alles ins Lot bringen. Er hat als einziger die Kontrolle über dein Leben. Er reagiert sofort, wenn du dich überwindest und vergibst. Gib deinem Herzen einen Ruck, und mache jetzt einen Neustart!
Aus Kath.net v. 15.3.19