Wenn man schon in der eigenen Wirklichkeit den Wert eines Armen, eines menschlichen Embryos, einer Person mit Behinderung – um nur einige Beispiele anzuführen – nicht erkennt, wird man schwerlich die Schreie der Natur selbst hören. Alles ist miteinander verbunden. Wenn sich der Mensch für unabhängig von der Wirklichkeit erklärt und als absoluter Herrscher auftritt, bricht seine Existenzgrundlage selbst zusammen, denn „statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor“.
Diese Situation führt uns in eine beständige Schizophrenie, die von der Verherrlichung der Technokratie, die den anderen Lebewesen keinen Eigenwert zuerkennt, bis zur Reaktion geht, dem Menschen jeglichen besonderen Wert abzusprechen. Man kann aber nicht von der Menschheit absehen. Es wird keine neue Beziehung zur Natur geben ohne einen neuen Menschen. Es gibt keine Ökologie ohne eine angemessene Anthropologie. Wenn der Mensch bloß für ein Wesen unter anderen gehalten wird, das aus einem Spiel des Zufalls oder einem Determinismus der Natur hervorgeht, dann „[droht] in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewusstsein abzunehmen“. (…)
Man kann vom Menschen nicht einen respektvollen Einsatz gegenüber der Welt verlangen, wenn man nicht zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens, der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt. (…)
Wenn die ökologische Krise ein Aufbrechen oder ein Sichtbarwerden der ethischen, kulturellen und spirituellen Krise der Moderne bedeutet, können wir nicht beanspruchen, unsere Beziehung zur Natur und zur Umwelt zu heilen, ohne alle grundlegenden Beziehungen des Menschen zu heilen. Wenn das christliche Denken einen besonderen Wert für den Menschen gegenüber den anderen Geschöpfen einfordert, gibt es Anlass zur Wertschätzung jeder menschlichen Person und fördert so die Anerkennung des anderen. Die Offenheit auf ein „Du“ hin mit der Fähigkeit, zu erkennen, zu lieben und miteinander zu sprechen, ist weiterhin der große Adel des Menschen. Deshalb ist es nicht nötig, für eine angemessene Beziehung zur Schöpfung die soziale Dimension des Menschen abzuschwächen und ebenso wenig seine transzendente Dimension, seine Offenheit auf das göttliche „Du“ hin. Denn man kann nicht eine Beziehung zur Umwelt geltend machen, die von den Beziehungen zu den anderen Menschen und zu Gott isoliert ist. (…)
Da alles in Beziehung steht, ist die Verteidigung der Natur auch nicht mit der Rechtfertigung der Abtreibung vereinbar. Ein erzieherischer Weg, die Schwachen anzunehmen, die uns umgeben und die uns manchmal lästig oder ungelegen sind, scheint nicht machbar, wenn man nicht einen menschlichen Embryo schützt, selbst wenn seine Geburt Grund für Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten sein sollte: „Wenn der persönliche und gesellschaftliche Sinn für die Annahme eines neuen Lebens verloren geht, verdorren auch andere, für das gesellschaftliche Leben hilfreiche Formen der Annahme.“
Auszüge aus der Enzyklika Laudato si v. 24.5.15