VISION 20001/2020
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Christ zu sein, war noch nie so gefährlich

Artikel drucken Gespräch über die weltweite Christenverfolgung

Wer regelmäßig Zeitung liest und Nachrichten hört, wird lau­fend mit Horrormeldungen konfrontiert. Daher übersieht man leicht, wieviel Unrecht weltweit den Christen angetan wird. Selbst in Europas Kirche ist die heute stattfindende Chris­ten­verfolgung kein Thema, das im Blickpunkt ist. „Kirche in Not“ jedoch nimmt sich dieses Themas an. Im Folgenden ein Gespräch mit dessen österreichischem Nationaldirektor.

Immer wieder hört man, dass es heute mehr verfolgte Christen gibt als je zuvor. Stimmt das?
Herbert Rechberger: Auf jeden Fall. Bei meinen Vorträgen verwende ich sogar als Einstieg den Satz: „Christ zu sein, war noch nie so gefährlich wie heute.“ Zwar muss man mit den Zahlen vorsichtig sein, aber man schätzt, dass heute 200 Millionen Christen betroffen sind: durch Bedrohung, Verfolgung, Diskriminierung, Unterdrückung…

200 Millionen – das kommt mir sehr viel vor…
Rechberger: Ist es auch. Man muss allerdings wissen, dass die Verfolgung viele Gesichter hat. Da gibt es jene Verfolgung, die aus Glaubensgründen erfolgt: Christen werden systematisch unterdrückt oder diskriminiert. Weiters gibt es Verfolgung aus ethnischen, sozialen oder politischen Gründen. In Afrika haben wir erlebt, dass ein wohlhabendes christliches Dorf überfallen wurde, um dessen Viehbestand zu rauben. Auch Bildung ist ein Grund zur Verfolgung. Das erleben wir insbesondere in Indien. Hier sind die nationalistischen Hindus aggressiv gegenüber den Christen, weil diese sich für die Bildung der untersten Kaste der Bevölkerung, den Dalits, einsetzen. Aus diesem Grund wurden vor einigen Jahren 30.000 Christen aus dem indischen Teilstaat Orissa vertrieben.

Woher haben Sie diese Zahl von 200 Millionen?
Rechberger: Sie stammt von „Open Doors“, einem christlichen Hilfswerk, das jährlich einen Weltverfolgungsindex (S. 8) veröffentlicht. Dort findet man auch Infos, wie die Zahlen erhoben werden. Jedenfalls sind noch nie so viele Christen verfolgt worden wie heute. Das steht fest.

Und dabei wurden die Christen im kommunistischen Ostblock ja auch systematisch verfolgt.
Rechberger: „Kirche in Not“ wurde ursprünglich als Vertriebenen-Hilfe gestartet. Das Hilfsangebot ist dann von P. Werenfried van Straaten um die Ostpriesterhilfe erweitert worden. Damals war es extrem schwierig, den Christen hinter dem Eisernen Vorhang zu helfen, die fast durchgehend verfolgt wurden – eigentlich bis zur Wende. Und selbst jetzt findet in einigen kommunistischen Ländern Verfolgung statt.

Nordkorea steht ja an der Spitze der Länder beim Weltverfolgungsindex.
Rechberger: Ja, seit vielen Jahren. Es werden übrigens Gläubige aller Religionen verfolgt. Zwar hat man dort eine Kirche, die man Besuchern vorführt, um zu zeigen, dass man die Religionsfreiheit respektiert. Das ist aber ein reines Schauobjekt. Ich habe das einst in Moskau erlebt. Da hat uns die Reiseleiterin auf Anfrage in eine Kirche bei der französischen Botschaft geführt. Als wir noch eine andere sehen wollten, hieß es, noch eine katholische Kirche gebe es nicht.

Wo sehen Sie die Schwerpunkte der Christenverfolgung heute?
Rechberger: Einen massiven Schwerpunkt hatten wir im Mittleren und Nahen Osten. Insbesondere in Syrien. Durch die terroristischen Bewegungen, vor allem den Islamischen Staat (IS), hatten die Christen dort viel zu leiden.

Kann man da von einer systematisch gegen Christen gerichteten Verfolgung sprechen?
Rechberger: Sicher, es haben nicht nur Christen gelitten, aber der IS wollte gezielt einen islamischen Staat errichten. Ähnliches wird ja auch im Norden Nigerias versucht, wo Boko Haram seit vielen Jahren wütet…

Zurück zum Vorderen Orient: Können Sie schildern, was sich dort ereignet hat?
Rechberger: Ich war 2012, noch vor den massiven Konflikten im Irak. Damals haben wir erfahren, wie es dazu gekommen war, dass die Dörfer in der Ninive-Ebene großteils christlich waren. Die Christen, die dort lebten, waren schon einmal vertrieben worden – und zwar hauptsächlich aus den großen Städten. Dort wollte man sie nicht mehr. Sie haben sich dann auf dem Land angesiedelt, was für sie eine schwierige Umstellung war. In den Dörfern konnten sie jedoch halbwegs ruhig leben, obwohl auch da alle Zufahrten überwacht waren. Wir konnten keinen Ort ohne mehrfache Kontrollen erreichen. Schon 2012 gab es Übergriffe. So wurde uns erzählt, dass einmal Jugendliche durch eine der christlichen Städte gezogen waren und christliche Gebäude: Bars, Hotels, Restaurants… angezündet haben. Einer der Bewohner hat mir davon ein Video gezeigt. Schockierend: Das war eine Horde von 14-15-Jährigen.

Noch vor dem Angriff der IS?
Rechberger: Ja. Dann aber kam es zur richtigen Katastrophe. Der IS wollten die christlichen Dörfer der Ninive-Ebene komplett dem Erdboden gleichmachen. Es gelang nicht ganz, aber doch weitgehend. In dem Gebiet wurden über 13.000 Häuser zerstört. Die Christen sind geflüchtet, die meisten wurden in der kurdischen Hauptstadt Erbil aufgenommen. Erzbischof Ba­schar Warda hat dort Großes geleistet. Er hat 130.000 Christen aufgenommen. Wir haben damals dort Container aufgestellt – übrigens auch für Schulen.

Sind diese Christen wieder zurückgekehrt?
Rechberger: Als der IS besiegt war, wurden die Leute befragt, ob sie wieder in die Dörfer zurück wollten. Und es entschieden sich sehr viele, wieder neu anzufangen. Also haben wir begonnen, beim Wiederaufbau der Häuser zu helfen. Das heißt, wir finanzierten das Projekt, und die heimgekehrten Christen führten dann alles selbst durch. Mehr als 50% der Häuser sind wieder aufgebaut, 47.000 Christen wieder zurückgekehrt. Von den Leuten, die in den Westen geflohen sind, ist kaum jemand heimgekehrt.

Beziehen diese Menschen ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen aus dem Glauben?
Rechberger: Ich arbeite seit langem für Kirche in Not. Was mich in meinem Glaubensleben immer wieder stärkt, sind die Begegnungen mit diesen Menschen. Obwohl es offensichtlich gefährlich ist, sich als Christ zu deklarieren, sind die Kirchen dort randvoll. Wirklich beeindruckend. Ich habe das in Kirkuk erlebt. Die Kathedrale, obwohl mehrfach angegriffen,war beim Gottesdienst voll. Ebenso in Syrien: P. Ibrahim al-Sabbagh erzählte uns, dass kurz vor Ostern eine Granate auf das Dach seiner Kirche gefallen sei. Wäre sie dort explodiert, hätte es hunderte Tote gegeben. Und dennoch sei am darauf folgenden Sonntag die Kirche so voll wie nie gewesen.
 
Sollten wir nicht mehr für die verfolgten Christen beten?
Rechberger: Unbedingt. Es ist so wichtig, dass wir für sie beten. Aber ich weiß auch, dass die Menschen dort für uns beten – wahrscheinlich sogar mehr als wir für sie. Bei den verschiedensten Besuchen habe ich das mitbekommen. Allein schon aus diesem Grund komme ich immer reich beschenkt aus diesen Ländern zurück. Da erlebe ich, wie der Glaube gerade in schwierigen Situationen trägt. In der Verfolgung bewährt sich der Glauben. Ich habe das auch in den vom Kommunismus beherrschten Ländern erlebt. Wie gesagt: Der Glaube dieser Menschen ist für mich bewundernswert und hat mich fast ein bisschen beschämt, wenn ich daran denke, dass bei uns, wo keinerlei Gefahr droht – die Kirchen vielfach leer sind.

Wie gut sind Ihrem Eindruck nach die Christen hierzulande über die weltweite Verfolgung informiert?
Rechberger: Bei Vorträgen merke ich, wie wenig bekannt das Thema ist. Christenverfolgung – da denken die meisten an die frühe Kirche, die Verfolgung im Römischen Reich, an Diokletian… Aber, dass dies heute geschieht, ist weitgehend unbekannt. Daher sehen wir, als Kirche in Not, es als unsere Aufgabe an, es bekannt zu machen: durch Bücher, Broschüren, aber auch durch eine Wanderausstellung.

Gibt es einen weiteren Schwerpunkt der Verfolgung?
Rechberger: Afrika. Dort sind viele islamistische Bewegungen tätig: Westafrika, besonders Nigeria, aber auch der Sudan, Kenia… Große Probleme gibt es derzeit in Burkina Faso (siehe S. 9). Das macht uns große Sorgen. Andererseits wächst die Kirche in Afrika.

Steht also der Islam hinter diesen Gefährdungen?
Rechberger: Ja. Das muss man einfach feststellen. Diese Bewegungen streben einen islamischen Staat an, der einer strengen Auslegung des Islams folgt. Sie sind gut mit Waffen ausgerüstet und haben auch staatliche Organe, die als zu liberal angesehen werden, im Visier. Auch in Afrika scheint die Verfolgung das Glaubensleben zu intensivieren. Und auch für China kann man dasselbe sagen. Dort wächst einerseits die Kirche. Auf der anderen Seite werden den Christen immer mehr Prügel vor die Füße geworfen. Dort wollen viele nicht von der Untergrund-Kirche ablassen, weil sie eine ständige und zunehmende Überwachung sowie weitere Einschränkungen durch den Staat befürchten. Dieser betreibt ja eine Politik der Anpassung der Kirche an die Gegebenheiten des Landes.

Ist Asien ein Kontinent, der Sorgen bereitet?
Rechberger: Schon auch. Man denke an die Anschläge, die am Ostersonntag 2019 in Sri Lanka stattgefunden haben. Mehr als 250 Menschen kamen dabei ums Leben. Oder, wie erwähnt, an die Lage in Indien. Dort ist die Situation allerdings von Staat zu Staat unterschiedlich. Kerala ist beispielsweise eine Hochburg des Katholizismus. In Indien kommt etwa jeder zweite Bischof aus Kerala. Dort gibt es kaum Probleme. In anderen Teilstaaten hingegen, wird die Arbeit der Kirche als Versuch gewertet, die Menschen zu bekehren, wodurch die nationale Sicherheit gefährdet werde. Und dann natürlich Pakis­tan: Dort gibt es das Blasphemie-Gesetz, das unglaublich viel missbraucht wird, um gegen Christen eigene Interessen durchzusetzen. Die Übergriffe finden nicht täglich, aber doch immer wieder statt.  Am bekanntesten wurde der Fall von Asia Bibi, der unterstellt worden war, sie habe Mohammed beleidigt. Zum Tode verurteilt, ist sie viele Jahre im Gefängnis gesessen und letztlich nur auf massiven internationalen Druck freigekommen. Pakistan ist sicher ein Hotspot.

Wenn Sie einen Vortrag über die Christenverfolgung halten, was ist da Ihr wichtigstes Anliegen?
Rechberger: Den Menschen zu vermitteln, dass wir als Chris­ten selbstverständlich zu Frieden und Toleranz verpflichtet sind, aber dass letzterer Begriff oft missbraucht wird. Toleranz darf nicht so weit führen, dass man die christlichen Werte totschweigt, etwa Kreuze abmontiert in Pfarrsälen, in denen man Muslime unterbringt. Als Christen dürfen, ja müssen wir Flagge zeigen. Oft wird mir entgegengehalten, auf diese Weise würde man zu Feindschaft gegenüber Moslems oder Hindus aufstacheln. Darauf ist zu antworten: Wir sind nicht primär gegen jemanden, sondern wir sind aufgerufen, unsere eigene Überzeugung angemessen vorzutragen. Als Christen haben wir nun einmal einen Missionsauftrag: Selbst für unseren Glauben einzutreten und jene zu unterstützen, die verfolgt werden. Und das gilt nicht nur für Priester und Bischöfe, sondern für jeden Chris­ten. Wir müssen stolz und dankbar dafür sein, dass wir Christen sind.

Herbert Rechberger ist Nationaldirektor von Kirche in Not Österreich. Das Gespräch mit ihm hat Christof Gaspari geführt.



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