So schrecklich Christenverfolgungen sind – sie eröffnen den Betroffenen auch die Erfahrung einer besonderen Nähe und Fürsorge Gottes in scheinbar unerträglichen Lebenssituationen. Dazu das folgende Zeugnis aus China:
Dezember 1983, christliches Untergrundtreffen im nördlichen China. Drei Tage lang war ein ganzes Dorf im Gebet und Lob Gottes vereint, während dichter Schnee fiel. Einer von ihnen, Bruder Yun, den die Staatspolizei bereits als Prediger suchte, wurde am Heimweg festgenommen und schrie zur Warnung der noch Versammelten laut: „Ich bin ein Mann des Himmels! Ich bin ein Himmelsmann!“ Das wurde sein späterer Beiname „Heavenly Man“.
Verhöre und Folterungen durch die Polizei und durch die Leute der Staats-Sicherheit folgten. Er wurde in eine Zelle mit zehn kriminellen Häftlingen gesperrt. Ihnen beschrieb man Yun als bösartigen Verbrecher. Wer ihn durch beliebige Quälereien zum Geständnis bringen würde, dem sollte das Strafausmaß herabgesetzt werden. So gab es zwischen Verhören, Prügel und Elektroschocks für ihn kaum eine ruhige Minute. Erniedrigt, beschimpft und immer wieder mit menschlichem Unrat besudelt, fand Bruder Yun seinen einzigen Halt und Trost im inneren Gebet und Worten der Psalmen und der Bibel, die er schon lange auswendig kannte.
Um keinen der führenden Christen zu verraten, wählte er Schweigen und Fasten. Der Zellenführer beschimpfte ihn voll Spott: „Ich bin am Leben und mir geht es gut, obwohl ich vergewaltigt und gemordet habe, du aber mit deinem Jesus stirbst hier wie ein kranker Hund!“ Sie sahen ja alle, wie elend er war und überall hingetragen werden musste.
Wochenlang hatte er kein einziges Wort gesagt. Als er aber diese Beleidigung des Herrn hörte, überkam ihn der Heilige Geist. Zum Erstaunen aller erhob er sich mitten in der Zelle und verkündete mit lauter Stimme: „Mitgefangene, ich habe eine Botschaft für euch, hört zu!“
Sie waren wie gebannt, als er fortfuhr: „Freunde, Gott hat mich eigens zu euch hierher gesandt. Ihr wisst, ich glaube an Jesus. Ihr wisst auch, dass ich schon lange ohne Essen und Trinken bin. Nun erlaubt mir mein Herr, zu euch zu reden und euch zu sagen: Jesus ist der wahre und lebendige Gott! Wie könnt ihr es wagen, weiter ein Leben in Sünde zu führen und Böses zu tun? Wie wollt ihr der Hölle entgehen, wenn der Tag des Gerichtes kommt? Nur Jesus kann euch vergeben. Heute hat Er Erbarmen mit euch und schenkt euch die Umkehr. Kniet nieder vor Ihm und bittet Ihn um Verzeihung. Wie sonst wollt ihr der Strafe entkommen?“
Diese Worte schlugen ein wie eine Bombe. Der Zellenführer warf sich auf die Knie und rief laut: „Yun, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ Alle diese von der Sünde abgestumpften Männer beugten sich vor Jesus. Die Reue brach in Tränen aus ihnen hervor, und im plötzlichen Bewusstsein, was sie getan hatten, baten sie um Vergebung. Mit dem bisschen Wasser, das sie hatten, taufte Yun einen nach dem andern. Von diesem Tag an änderte sich die Atmosphäre. Diese vorher so hässliche, von Wut und Tumult erfüllte Zelle wurde ein Ort des Friedens und brachte die Wärter zum Erstaunen.
Prüfungen und der darauf folgende geistliche Sieg, wie diese Umkehr einer ganzen Kerkerzelle, geben vielen Gläubigen in der Verfolgung Kraft. Sie stärken auch uns, die wir jedem Widerspruch so gern ausweichen. Nach vier Jahren kam Bruder Yun frei und widmete sich klug, aber mit glühendem Eifer der Schulung junger Christen.
Jahre später wurden einige Leiter der Hauskirchen bei einem Treffen von der Polizei überrascht, und Yun kam diesmal ins Hochsicherheitsgefängnis der Millionenstadt Zhengzhou. Bei einem Fluchtversuch brach er sich die Beine und wurde halb tot geprügelt. Von da an konnte er nicht mehr gehen. Zwei leidvolle Jahre lang widerstand er zwar allen Verhören, fühlte sich aber zuletzt verloren und von Gott verlassen. Trost waren ihm mehrere zugleich verhaftete Brüder, die den verkrüppelten Yun zu den Vernehmungen tragen mussten.
Er erinnert sich an den Monat Mai 1997: „Ich war nun 39 Jahre alt, ohne Hoffnung oder Zukunft, und ich sagte zum Herrn: Als ich jung war, hast Du mich berufen, Dein Evangelium zu predigen. Jetzt sitze ich mit gebrochenen Beinen und muss hier verrotten. Du hast mich betrogen!
Da flüsterte mein Mithäftling Bruder Xu mir zu, einen Fluchtversuch zu wagen. Ich kannte ihn als einen Mann Gottes, doch dieser Gedanke erschien mir absurd. So wandte ich mich an meine Bibel, die ich erstaunlicher Weise behalten hatte. Mit dem Propheten Jeremia schüttete ich mein verbittertes Herz vor Gott aus: ,Warum hast Du mich so geschlagen, dass es keine Heilung mehr gibt? Wozu bin ich nur geboren? Alle streiten mit mir und verwünschen mich.’
Alle diese Klagen des Propheten waren auch die meinen. Am Schluss von Kapitel 15 empfing ich eine Warnung und eine Verheißung: „Kehr um zu mir, dann nehme ich dich wieder an. Sie werden gegen dich kämpfen, doch ich bin bei dir und rette dich. Aus der Gewalt boshafter und gewalttätiger Menschen werde ich dich befreien!“ Diese Zusage packte mich mit voller Wucht, ich wusste, sie galt mir! Gleich darauf überkam mich eine Vision und ich hörte die Worte: „Warum öffnest du nicht die Eisentür?“ Sofort sprach der Herr in meinem Herzen: „Das ist die Stunde deiner Rettung.“ Da erkannte ich, dass ich den Fluchtversuch wagen sollte.
Ich bat, auf die Toilette zu kommen. Als Bruder Xu mich hin trug, gebot er mir leise: Du musst fliehen! In diesem Augenblick hatte ich eine dreifache Bestätigung: Das Wort aus Jeremia, die Vision und Bruder Xu. Ich habe gelernt, es ist keine Zeit für Diskussion oder rationales Abwägen, wenn der Herr eindeutig gesprochen hat. Dann gilt fragloser Gehorsam.
Es war am 5. Mai 1997 um 8 Uhr morgens – überall Hochbetrieb und alle Wachen auf ihren Posten. Ich hinkte (ohne zu merken, dass ich das überhaupt konnte) auf die Eisentür im Gang zu, gewärtig jeden Augenblick erschossen zu werden. Genau da wurde die Tür geöffnet und ein Mithäftling, der den Hof gefegt hatte, kam bewacht herein. Es läutete ein Telefon, der Wärter lief ins Büro auf dem Gang, und ich marschierte frei vorbei. Eine zweite Eisentür einen Stock tiefer stand offen, da der Wächter dicht daneben saß. In diesem Moment sprach der Geist zu mir: „Geh jetzt! Der Gott von Petrus ist auch dein Gott!“ Der Wächter starrte mich an ohne jede Reaktion, seine Augen sahen durch mich hindurch, ohne mich wahrzunehmen, und ich ging vorbei. Im Erdgeschoss war das Haupttor in den großen Gefängnishof weit offen und keiner der beiden Wachposten da. Ich warf den Besen weg, den ich meinem Mithäftling ab genommen hatte, und ging in den großen Hof hinaus, ging an etlichen Wachen und Leuten vorbei, keiner sprach mich an, gelangte ans riesige Stahltor hinaus zur Straße, es stand einen Spalt weit offen, und war draußen auf dem Gehsteig, direkt vor dem Hochsicherheitsgefängnis von Zhengzhou.
Sofort hielt ein kleines gelbes Taxi vor mir. Der Fahrer fragte: Wohin? Ich nannte die Adresse einer lieben christlichen Familie. Es war wie ein Traum und doch volle Realität. Kurz darauf wurde ich dort freudig, doch ohne Überraschung aufgenommen: „Wir und viele haben gerade für Euch eine Woche lang gefastet und gebetet. Gott hat uns gesagt, dass Er dich befreit und als erstes an unsere Tür schickt. Wir haben Zivilkleider und ein entlegenes Versteck für dich.“ Nach einem Dankgebet bekam ich ein Fahrrad, jemand setzte sich hinter mir auf den Gepäckträger und leitete mich zu meinem Versteck. Erst als ich in die Pedale trat, wurde mir bewusst, dass meine Beine geheilt waren. Es musste gleich zu Beginn meiner Flucht geschehen sein.
Kaum war ich dort, da öffnete sich der Himmel zu sintflutartigen Regengüssen. Es wurde stockdunkel und der Sturm heulte. Die soeben einsetzende Großfahndung wurde schwer behindert und der Regen wusch alle Spuren hinweg. In dieser Nacht schlief ich wie ein neugeborenes Kind in den Armen meines Herrn. - - -
Dies ist das Zeugnis von Bruder Yun, den der Gott des Petrus sanft wie diesen aus dem tiefsten Kerker herausführt. Spüren wir sein großes Wagnis, seine tiefe Armut und die herrliche Hilfe Gottes? Die Apostelgeschichte ereignet sich neu. Das als real ins eigene Bewusstsein aufzunehmen ist eine Übung des Glaubens. Dazu noch um die Gnade zu bitten, in weit sanfteren Verhältnissen ohne Scheu zum Herrn zu stehen: In Gesprächen, wo ein paar einfache Worte der Liebe zu Jesus genügen, oder im Lokal ein ruhiges Kreuzzeichen vor der Mahlzeit, als Dank für Gottes Gaben.
Schließen wir mit einer Vision der Untergrundkirche in China: Auf der alten Seidenstraße das im Feuer geprüfte Evangelium nach Europa zu bringen als Dank für den von dort empfangenen christlichen Glauben.
P. L e o, Abtei Seckau
(Quelle: Heavenly Man. Erzählt von Paul Hattaway. Brunnen Verlag 2005, 380 Seiten)