Es kommt leicht Beklemmung auf, wenn man sich näher mit dem Los verfolgter Christen beschäftigt. Unwillkürlich packt einen die Sorge, man könnte in ähnliche Situationen geraten. Diesbezüglich macht jedoch gerade das Zeugnis vieler Verfolgten wiederum Mut. Denn sie berichten von der Stärkung und dem Trost, den ihnen die erfahrene Nähe Gottes bescherte.
Meine erste Begegnung mit dem Thema Christenverfolgung hatte ich bei der Gründung der österreichischen Sektion von CSI (Christian Solidarity International). Weihbischof Florian Kuntner und der evangelische Bischof Oskar Sakrausky hatten die Initiative dazu ergriffen. Das Anliegen: Aufmerksam zu machen auf ein Geschehen, das weitgehend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit ausgeblendet wurde, was umso überraschender war, als Österreich – am Eisernen Vorhang gelegen – ja unmittelbarer Nachbar von Ländern war, in denen die kommunistischen Regierungen Christen jedenfalls benachteiligten, aber auch unterschiedlich intensiv verfolgten. Auch in der Kirche war das harte Los unserer Glaubensgeschwister eher ein Randthema, wenn überhaupt.
Damals begann ich, Zeugnisse von Christen zu lesen, von Menschen, die auch unter widrigsten Bedingungen an ihrem Glauben festhielten. Ich erinnere mich an Texte von Tatjana Goritschewa, einer bekehrten Atheistin in Russland, von Nijole Sadunaite, eine furchtlose Frau aus Litauen, Pastor Richard Wurmbrand, ein Rumäne… Und ich war beeindruckt. Was für ein Mut, welche Ausdauer, welch tiefe Überzeugung, dass keine Bedrohung jemals das große Geschenk des Glaubens an Jesus Christus erschüttern könne, welche Erfahrung der Geborgenheit in Gott, der auch in schlimmsten und bedrohlichen Lebenslagen nahe ist und Kraft schenkt! Wie jämmerlich klein war im Vergleich dazu mein eigener Schönwetter-Glaube, der bestenfalls hämischem Grinsen, herablassendem Unverständnis oder kränkenden Nebenbemerkungen standzuhalten hatte.
Noch mehr beeindruckt hat mich dann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Begegnung mit Christen aus unseren Nachbarländern. Sie hatten nicht nur irgendwie im Gegenwind überlebt, sondern viele von ihnen hatten Jahre, ja Jahrzehnte hindurch unter widrigsten Bedingungen missioniert. Sie konnten einfach nicht anders, als ihre Erfahrung der großen Geborgenheit in Gott, der gegenwärtig ist und wirkt, weiterzugeben – auch wenn das gefährlich war. Begabte Menschen, die auf Karriere verzichteten, um im Untergrund Kirche zu bauen, Familien, die ihre Kinder vor kommunistischer Indoktrination geschickt zu bewahren wussten, Untergrund-Priester, die sich wie normale Bürger mit einfachsten Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienten und sich in ihrer pastoralen Tätigkeit laufend der Gefahr aussetzten, entdeckt und verhaftet zu werden.
Keine Spur von Verbitterung, wenn sie ihre Erfahrungen erzählten. Aber viel Staunen über das, was der Herr trotz aller Widrigkeiten in diesen Jahren der Unterdrückung bewirkt hatte. Großes Erstaunen aber auch, als sie dann dem „christlichen“ Westen begegneten. Da entdeckten sie zwar unglaublichen Wohlstand, schöne Kirchen, eindrucksvolle kirchliche Apparate, unter den Christen aber wenig Begeisterung, viele Zweifel, Diskussionen und Kritik.
In den Gesprächen mit unseren Freunden in den östlichen Nachbarstaaten wurde mir bewusst, wie viel wir von jenen, die unter Verhältnissen der mehr oder weniger intensiven Verfolgung leben mussten, lernen können und lernen sollten: dass Christ-Sein totales Engagement bedeutet, den ganzen Menschen fordert und dass Halbherzigkeit auf Dauer nicht tragfähig ist.
An dieser Stelle möchte ich einige dieser Zeugen zu Wort kommen lassen. An erster Stelle Silvo Krcmery, einen slowakischen Arzt, der schwerster Verfolgung ausgesetzt war, 13 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbrachte und dort auch gefoltert worden war:
„Die Christen hatten natürlich auch Angst. Aber man konnte sie nicht so isolieren. Wer gewohnt war zu beten, zu meditieren, anzubeten, konnte in der Zeit der Einzelhaft, wo die anderen durchgedreht haben, ein tiefes geistiges Leben führen. Wir nannten das die Erfahrung der „Schwerelosigkeit“. Schon im Gefängnis fand der Kern der Erneuerung statt. Viele Fernstehende und oberflächlich Gläubige konnten überzeugt und gewonnen werden. Es gab eine große Zahl von Konvertiten. Sie wurden unterrichtet. Es war eine sehr fruchtbare Zeit.“
Bemerkenswert auch was Antoine, ein vietnamesischer Seminarist, den wir in Frankreich kennengelernt haben, und der mit Mitbrüdern in einem strengen Arbeitslager gelandet war, zu sagen hat. Dort musste er unter anderem vier Jahre lang allein und an die Mauer gekettet in einem Karzer verbringen:
„Selbstverständlich haben wir auch evangelisiert. Das ging meist davon aus, dass den Nichtchristen aufgefallen ist, wie wir miteinander umgegangen sind. Sie haben unsere brüderliche Liebe gespürt. Sie haben da etwas Außergewöhnliches entdeckt. Eine Gelassenheit, eine Freude, keine Angst vor der Zukunft, eine fröhliche Annahme des Leidens. Viele haben gesagt, sie hätten auf unseren Gesichtern etwas von innen her leuchten gesehen und sie seien beeindruckt gewesen vom Mut, mit dem wir Angriffe auf unseren Glauben abgewehrt haben. Einige haben das auch mit der „schwarzen Zelle“, andere mit dem Leben bezahlt.“
Auch der Rückblick von Kardinal Jan Korec auf die schweren Jahre, die er im Gefängnis verbracht hatte, macht deutlich, welche Kraft der Gläubige aus dem Glauben zu schöpfen vermag:
„Trotz der unmenschlichen und ungerechten Bedingungen, denen wir ausgesetzt waren, muss ich sagen, dass das Leben für uns Priester auch durchaus positive Seiten hatte. Wir wussten ja, wem wir das alles zu verdanken hatten. Der, dem wir unser ganzes Leben geweiht hatten, sorgte dafür, dass wir durch die gegebenen Verhältnisse nicht abgestumpft wurden. Er gab uns Kraft und zeitweise sogar Freude – aus dem Glauben, aus dem Gebet und in der brüderlichen Liebe. Daraus resultierten unser innerer Friede, unser Vertrauen, unsere Geduld, unsere Standhaftigkeit, ja auch unsere Freude. Im Geiste des Glaubens vergaßen wir nie, dass auch unsere Zeit im Gefängnis nützlich und eine heilige Zeit war, die Gott uns zur Verfügung stellte.“
Wir Christen im Westen leben in einem Umfeld, das uns noch vorgaukelt, wir hätten die Dinge im Großen und Ganzem im Griff. Da ist die Versuchung groß, die Beziehung zu Gott als Pflichtübung oder aus Routine und Tradition zu pflegen. Was die wirklich wichtigen Dinge jedoch anbelangt, seien wir auf uns selbst gestellt. Die verfolgten Christen lehren uns, dass uns all die weltlichen Sicherheiten nur allzu leicht aus der Hand genommen werden können, dies dann aber kein Grund zur Verzweiflung sein muss, denn Er, der Herr des Universums, wacht, bleibt uns nahe und sorgt für uns. Wir sollten das schon jetzt und hier in Anspruch nehmen.
Mut Zeugnis für den Glauben ablegen
Heute feiern wir einen Tag des Gedenkens an die Missionare, die zu Märtyrern wurden. Im Lauf des Jahre 2018 haben auf der ganzen Welt viel Bischöfe, Priester, Ordensfrauen und –männer sowie gläubige Laien Gewalt zu erleiden gehabt. 40 von ihnen wurden getötet, fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Dieses Martyriums unserer in unseren Tagen verfolgten Brüder und Schwestern zu gedenken, dazu ist die ganze Kirche verpflichtet. Gleichzeitig ermutigt es uns aber auch, mutig Zeugnis abzulegen für unseren Glauben und unsere Hoffnung auf Den, der am Kreuz für immer den Hass und die Gewalt durch Seine Liebe besiegt hat.
Beten wir für die vielen Opfer der jüngsten unmenschlichen Attentate in Nigeria und in Mali. Möge der Herr diese Opfer aufnehmen, die Verwundeten heilen, die Angehörigen trösten und die grausamen Herzen bekehren.
Papst Franziskus
Worte beim Angelus am 24.3.19