Grundproblem ist der Glaubensverlust
Auf die Frage, warum die Kirche in Deutschland so tief verwundet ist, haben die zuständigen Bischöfe vier Gründe genannt:
(a) der Missbrauch von Macht;
(b) die Lebensform der Bischöfe und Priester;
(c) die Sexualmoral der Kirche;
(d) der Ausschluss von Frauen in Diensten und Ämtern.
Mein Kommentar: Diese Diagnose bleibt an der Oberfläche. Sie reagiert auf bestimmte Proteste, Trends und Krisensymptome; aber was die Kirche in Deutschland so krank erscheinen lässt, hat einen viel tiefer liegenden Grund. Die Ursache nämlich ist ein gigantischer Glaubensverlust. Und der betrifft den Kern des christlichen Bekenntnisses.
Hoffentlich irre ich mich, wenn ich nicht nur unter den Getauften, die ihren Glauben kaum noch oder gar nicht mehr praktizieren, sondern auch unter denen, die noch ihre Sonntagspflicht erfüllen, einen fortschreitenden Verlust der christologischen Mitte beobachte: nämlich die Ablösung der Wahrheit von der Geschichte. Man trennt die Botschaft Jesu von ihm selbst. Er ist dann letztlich nur noch austauschbarer Mittler einer zeitbedingten Wahrheit, bloßer Wegweiser, bloßes Vorbild. Oder anders gesagt: Man versteht nicht mehr, was Jesus gemeint hat, als er sagte: „Wer mich sieht, sieht Gott den Vater.“ (Joh 14,9).
Karl Heinz Menke
Der Autor ist em. Professor für Dogmatik und Theologische Propädeutik.
Wir stecken in einer Krise der Katechese
Die Kirche lebt also nicht davon, dass ihre Lehren von der Mehrheit anerkannt werden. Sie lebt davon, dass sie treu das weitergibt, was Christus sie gelehrt hat. „Weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und es sind viele, die auf ihm gehen.“ (Mt 7,13) (…) Glaube setzt Bekehrung voraus. Wo diese Bekehrung fehlt, fehlt auch die Voraussetzung dafür, dass ich als Kind Gottes mit Vertrauen auch solche Lehren entgegennehmen kann, die querstehen zu heutigen Überzeugungen.
Außerdem: Der Glaube ist immer in der Minderheit, immer anstößig. Das durchzuhalten braucht Mut, Glaubensmut: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ (Lk 12,32) Dazu braucht es aber auch vertiefte Glaubenslehre, braucht es Katechese, braucht es Erklärung schwieriger Punkte, braucht es ein geduldiges Bemühen darum, dass die Menschen wirklich begreifen, worum es geht. Der Glaube der Kirche will ja nichts wegnehmen, er will zu einem Leben in Fülle führen. Das Schwinden der Akzeptanz kirchlicher Lehre – auch innerhalb der Kirche – ist daher auch ein Symptom für die Krise der Katechese, die wir seit fünfzig Jahren haben
Andreas Wollbold
Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie in München.
Was Gott von uns will, ist Maßstab der Erneuerung
Der heilige Paulus mahnt in seinem Römerbrief: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,2). Das sollte, wenn uns das Wort Gottes noch etwas bedeutet, das Hauptanliegen eines jeden Erneuerungsprogramms sein: Sich nicht der Welt anzugleichen, sondern zuerst sich selbst, sein Denken und Tun im Geiste Jesu Christi zu erneuern. Es kann nicht nur darum gehen, zu hören, was die Menschen von der Kirche erhoffen oder gar fordern, sondern vor allem darum, zu prüfen und zu erkennen, was Gott von uns, der Kirche und den Menschen erwartet. Nicht, was der „Welt“ und den Menschen, angenehm und wünschenswert erscheint, ist der Maßstab der Erneuerung, sondern Gottes Wille. Das, was in den Augen Gottes „gut und vollkommen“ ist! Ich habe hingegen den Eindruck, dass inzwischen auch in den Reihen der Kirche der „Geist von 68“ Eingang gefunden hat und hier Heimatrecht beansprucht. Alles soll hinterfragt und dann nach eigenem Gutdünken neu formuliert und zurechtgerückt werden.
In den Verlautbarungen und der Berichterstattung über das kirchliche Geschehen in Deutschland muss man schon mit der Lupe suchen, um jemanden zu finden, der den Mut hat, dem allgemein verbreiteten Trend „drastischer Kirchenkritik“, die bei vielen leider oft wohlwollenden Applaus findet, mit einem besonnenen und kritischen Wort offen entgegenzutreten.
Erzbischof Erwin
Josef Ender
Der Autor war von 2003 bis 2007 Nuntius in Deutschland.
Lesenswertes Heft
Bei den Texten dieser Seite handelt es sich um Auszüge aus den wirklich lesenswerten Beiträgen des ersten Heftes einer Serie von Beilagen, mit denen die Wochenzeitung Die Tagespost den „Synodalen Weg“ begleitet und kommentiert. In diesem Heft geht es um das Thema „Woher weiß die Kirche, was Gott will?“
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