Die Amazonas-Synode, der „Synodale Weg“ in Deutschland und das kürzlich veröffentlichte päpstliche Schreiben „Querida Amazonia“ trugen dazu bei, dass man die umstrittenen „heißen Eisen“ nicht nur in der katholischen Kirche wieder einmal heftig debattiert: Zölibat, Weihe von Frauen, Aufwertung homosexueller Beziehungen, zivil wieder verheiratete Geschiedene… Wie sind diese Diskussionen zu bewerten, wie soll man sich in Gesprächen verhalten? Für den einen oder anderen sind folgende Anmerkungen zu wiederkehrenden Behauptungen vielleicht eine Hilfe.
In der Kirche muss man offen auch über heikle Themen diskutieren können.
Das stimmt: Über alles, was Leben aus dem Glauben betrifft, sollten Christen miteinander reden können und dürfen. Nur – wer hat solche Gespräche jemals verboten? Die oben erwähnten „heißen“ Eisen sind seit Jahrzehnten Dauerbrenner in den Medien. Unter dem Etikett Diskussion wiederholen meist jene, die dem Lehramt widersprechen, ihre Behauptungen, als wären sie der neueste Stand der Erkenntnis. Im Grunde genommen sind die Argumente längst bekannt, und sie wurden vom Lehramt auch beantwortet. Heute steht jeder vor der Frage: Richte ich mich nach dem Lehramt oder nach den Kritikern? Erübrigt sich damit jedes sonstige Gespräch zu diesen Fragen? Keineswegs, denn im Leben jedes einzelnen geht es immer wieder um die Frage: Wie setze ich die als richtig erkannten Wegweisungen, die Gebote, im Leben um? Und da bedarf es des Gesprächs und des Rates Gleichgesinnter. .
Man muss sich doch ein Urteil in den Streitfällen bilden.
Die Medien vermitteln den Eindruck, man sei in wesentlichen Fragen bestens informiert. Überall live dabei, bildet man sich rasch ein Urteil über Personen und Situationen, zu denen man keine persönliche Beziehung hat. Man kennt nur Schlaglichter aus Zeitung und Fernsehen, meist nur Oberflächliches. Ist da ein Urteilen - meist ist es ja ein Verurteilen – über Personen und ihre Motive zulässig? Besser ist es, sich mit Originalstellungnahmen, den entsprechenden Dokumenten und Studien zu konfrontieren, will man sich ein halbwegs verlässliches Bild machen.
Missstände muss man einfach anprangern.
Mit dem Anklagen ist es so eine Sache. In der Schrift lesen wir, dass es Satan ist, der uns anklagt. Nicht, dass er keinen Grund zur Anklage hätte. Als Sünder bieten wir alle reichlich Angriffsflächen. Gottes Zugang aber ist das nicht. Nicht zu richten, sondern zu retten, ist der Herr gekommen (Joh 3,17). Seine Jünger fordert Er auf, sich ebenso zu verhalten: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden ... “ (Mt 7, 1) Wo tatsächlich ein Missstand besteht, ist es angebracht, den jeweils Verantwortlichen aufmerksam zu machen – unter vier Augen, sagt der Herr, soll die brüderliche Korrektur erfolgen. Und wenn dies erfolglos bleibt, soll die Gemeinde informiert werden. Das ist schwierig, erfordert Mut und geschieht daher viel zu selten in angemessener Weise. Das falsche Erdulden von Missständen um des lieben Friedens willen ist mitverantwortlich für deren Überhandnehmen.
Als mündige Christen müssen wir uns selbst ein Urteil bilden dürfen.
Mündigkeit ist ein juristischer Begriff. Er bedeutet, dass der Mensch bei Erreichen eines gewissen Alters für sein Verhalten selbst verantwortlich und selbstständig handlungsfähig, also erwachsen und autonom wird. Bei der Aufzählung dieser Merkmale spürt man schon, dass die Übertragung des Begriffs auf den Christen Probleme aufwirft. Wem gegenüber könnten wir denn mündig sein? Gott gegenüber wohl nicht. Der Herr ruft uns auf, wie Kinder zu werden. Ins Himmelreich können überhaupt nur Menschen wie diese eingehen (Mt 18,3): Wesen, die auf Autonomie verzichten, die Abhängigkeiten bejahen, die vertrauen. Dass viele heute so stark die Mündigkeit des Laien betonen, muss man aber auch verstehen: Es ist die Reaktion auf eine Vergangenheit, in der vielfach der Eindruck entstehen konnte, es gäbe in der Kirche eine Zweiklassengesellschaft: die Kleriker und die Laien, letztere in ihrer Bedeutung nachgeordnet. Das 2. Vatikanische Konzil hat zu Recht das Charisma der Laien betont. Dieses unterscheidet sich aber vom Charisma des Weiheamtes, das von uns Laien zu achten ist.
Man kann nicht zu allem schweigen.
Das stimmt: Der Christ darf nicht überall ein Auge zudrücken. Es geht ihm ja um das Heil seiner Mitmenschen. Daher lesen wir in der Schrift: „Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurück gewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit… Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.“ (Mt. 18, 15-17) So sollen auch wir handeln. Zunächst: Es geht darum, jemanden zu gewinnen! Dann: Nicht wegen jeder Lappalie soll der andere ermahnt werden. Nur wenn er gesündigt hat. Die Ermahnung soll, wie gesagt, unter vier Augen erfolgen – und liebevoll sein. Bleibt der Versuch ergebnislos, dann soll die Sache weiterbetrieben werden – aber im internen Kreis und nicht im grellen Licht der Medien, die Schaukämpfe mit Genuss vermarkten.
Der Heilige Geist wirkt nicht nur in den geweihten, sondern in allen Christen.
Das stimmt fraglos. Aber diese Wirkung zielt auf Einheit in der Kirche ab. Wer also nach reiflicher Überlegung und viel Gebet zur Überzeugung gelangt, er müsse in einer konkreten Frage dem Bischof oder dem Papst widersprechen, so hat er die Verpflichtung, dies dem Betroffenen – nicht jedoch der Öffentlichkeit – mitzuteilen. In der Regel werden wir aber die Autorität anerkennen. Der Herr hat sogar die Autorität der Schriftgelehrten und Pharisäer, also jener, die Ihn ans Kreuz gebracht haben, unterstrichen (Mt 23,2- 4). Und im Hebräerbrief lesen wir: „Gehorcht euren Vorstehern, und ordnet euch ihnen unter, denn sie wachen über euch und müssen Rechenschaft darüber ablegen; sie sollen das mit Freude tun können, nicht mit Seufzen, denn das wäre zu eurem Schaden.“ (13,17f)
Im Urchristentum war es anders: nicht so autoritär und hierarchisch wie heute. So hat Jesus Kirche gewollt.
Die besondere Stellung der Apostel wird von Anfang an in der Schrift betont. Der Apostel Paulus wiederum ermahnt die von ihm eingesetzten Bischöfe, besonders auf die ihnen anvertraute Herde zu achten (Apg 20,28-31). Und der heilige lgnatius von Antiochien, ein Märtyrer aus dem 1. Jahrhundert, spricht davon, man müsse danach streben, sich „nicht dem Bischof entgegenzustellen“.
Manche meinen, im Besitz ewiger Wahrheiten zu sein. Es ist ehrlicher einzugestehen, dass wir alle Suchende sind.
Wir besitzen die Wahrheit nicht, aber wir kennen den, der die Wahrheit ist, Jesus Christus. Er sagt uns: „Ich bin ... dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ (Joh 18,37) Und Seine Jünger hat Er beauftragt, in alle Welt zu gehen, um alle Menschen zu taufen, um sie zu lehren, „alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,20). Wir Christen sind also Zeugen dieser ewigen Wahrheit. Und die Hirten der Kirche sind deren Hüter. Das ist kein Fundamentalismus, sondern Fundament unseres Glaubens, ein Fundament, das zeitlos gültig ist. Dieses Verständnis passt zwar schlecht in eine wissenschaftsgläubige Zeit, die sich von einer relativen Einsicht zur nächsten hantelt, es kann aber nicht aufgegeben werden.
Wer kritisiert, gilt nicht mehr als katholisch. In der Kirche findet eine Ausgrenzung kritisch denkender Geister statt. Viele fürchten sich.
Diese Behauptung stimmt einfach nicht. Der Langmut mit Kritikern ist in der Kirche außergewöhnlich groß: Unbehelligt äußern sich Geistliche kirchenkritisch in den Medien, schreiben kritische Theologen Bücher – oft hart an der Grenze der Häresie, oft jenseits dieser Grenze wandelnd – behalten aber ihre Lehrkanzeln und Lehrerposten. Keine weltliche Einrichtung wäre ähnlich nachsichtig. Wenn etwas zum Fürchten ist, dann wohl diese Tatsache: dass man heute in derselben Diözese je nach Veranstaltung unterschiedliche Glaubenswahrheiten vorgesetzt bekommt. Hier sind Klarstellungen überfällig. Wer sich mit der Lehre der Kirche nicht identifizieren kann, sollte fairerweise die Kirche verlassen, vor allem aber nicht als Lehrer in ihr auftreten. Wer argumentiert, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu lehren, was die Kirche im Weltkatechismus festhält, und fürchte um seinen Job, hat übersehen, dass von der Verkündigung und Annahme bzw. von der Ablehnung der Gebote „Tod oder Leben, Segen oder Fluch“ (Dtn 30,19) abhängen. Und: „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein,. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“ (Mt 5,19) Und nach Letzterem sehnen wir uns doch alle.
CG