Seit Jahrzehnten wird der Zölibat der Priester infrage gestellt. Er sei schuld am Priestermangel, heißt es – höchste Zeit, auch bewährte, verheiratete Männer zu weihen. Das Abschluss-Dokument der Amazonas-Synode enthält diese Forderung ebenso wie die Arbeitspapiere des „Synodalen Wegs“ in Deutschland.
In diese aufgeheizte Debatte hinein, noch im Vorfeld des nachsynodalen Schreibens „Querida Amazonia“ von Papst Franziskus veröffentlichte Kardinal Robert Sarah das Buch Aus der Tiefe des Herzens – mit einem Beitrag von Benedikt XVI. (ein Auszug siehe nebenan) –, ein flammendes Plädoyer für den Zölibat. Das Buch sei an alle gerichtet, wolle aber insbesondere die Priester stärken und ermutigen, heißt es in der Einleitung.
Der eher kurze Beitrag des emeritierten Papstes zeigt in einer nüchternen Sprache die Wurzeln des Zölibats auf, wie schon im Alten Testament die priesterlichen Dienste an Enthaltsamkeitsgebote geknüpft waren. Im Neuen Bund habe der Gedanke der Ganzhingabe an Christus von Anfang an den apostolischen Dienst geprägt und dazu geführt, dass die Berufung verheirateter Männer zu Priestern einherging mit dem Einverständnis des Paares, eine Josephsehe zu führen. Um diese Ganzhingabe nach dem Vorbild Jesu leben zu können, sei schon sehr früh und weit verbreitet die zölibatäre Lebensweise der Priester praktiziert worden.
Ausführlich und engagiert geht Kardinal Robert Sarah auf das Thema ein. Beim Priestertum gehe es um etwas Zentrales in der Kirche, hält er fest. Um die rechten Antworten zu finden, müsse man auf den Herrn hören – in der Stille. „Lasst uns nichts übereilen! Wir werden die Dinge nicht innerhalb weniger Monate ändern können. (…) Unsere Überlegung über das Priestertum darf nicht nur der Aktualität geschuldet sein oder auf eine soziologische Analyse reduziert werden. Es ist unbedingt notwendig, sie mit geistlicher Betrachtung zu nähren und sie durch Theologie zu strukturieren.“
Die Aufhebung des Zölibats wäre eine pastorale Katastrophe, meint Sarah. Er berichtet von den eigenen Erlebnissen als junger Priester in Guinea und vom Glück, das er bei seinem Totaleinsatz für den Herrn und das ihm anvertraute Volk erleben durfte. Wo diese Erfahrung fehle, könne der Zölibat zur Last werden, räumt er ein. Aber die Kirche – besonders die jungen Gemeinschaften – brauche dieses priesterliche Zeugnis der totalen Hingabe.
Gut gefällt mir die Feststellung Sarahs: „Das Priestertum ist Antwort auf eine persönliche Berufung. (…) Man wird nicht Priester, weil es notwendig ist, innerhalb der Gemeinde ein Bedürfnis zu stillen, und weil irgendjemand den ,Posten’ nun einmal besetzen muss. Das Priestertum ist ein Lebensstand. Es ist die Frucht eines intimen Dialogs zwischen Gott, der ruft, und der Seele, die antwortet: ,Siehe, ich komme (…), um deinen Willen (…) zu tun. (Hebr 10,7)“
Wichtig erscheint mir auch die Überlegung zur Frage, wie Ehe- und Weihesakrament in Beziehung stehen. In beiden Fällen gehe es um eine Totalhingabe: „Es gibt eine echte Analogie zwischen Ehesakrament und dem Weihesakrament, die beide in einer totalen Hingabe gipfeln. Aus diesem Grund schließen sich diese beiden Sakramente aus. (…) Die Fähigkeit zur bräutlichen Liebe des Priesters wird gänzlich und ausschließlich der Kirche geschenkt. Die Logik des Priestertums schließt jegliche ,andere Braut’ als die Kirche aus.“
Es ist ein lesenswertes Buch, ein engagierter Appell, den kostbaren Schatz des Zölibats zu bewahren und mit Engagement fruchtbar zu machen (siehe Text).
Aus der Tiefe des Herzens – Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche. Von Kardinal Robert Sarah mit einem Beitrag von Benedikt XVI. fe-medienverlag, 150 Seiten, 16,80€.
Im Folgenden ein Auszug aus den theologischen Überlegungen von Papst Benedikt im Buch von Kardinal Sarah:
Sehr früh, wir wissen nicht genau wann, aber sehr früh hat sich die regelmäßige oder gar tägliche Feier der Eucharistie als für die Kirche wesentlich entwickelt. Das „überwesentliche“ Brot ist zugleich das „tägliche“ Brot der Kirche. Dies aber hatte eine wichtige Konsequenz zur Folge, die die Kirche gerade heute bedrängt.
Im allgemeinen Bewusstsein Israels ist es offenbar klar gewesen, dass Priester in den Zeiten, in denen sie mit dem Kult zu tun hatten, also in Berührung mit dem göttlichen Geheimnis standen, sexuelle Enthaltsamkeit üben mussten. Der Zusammenhang von sexueller Enthaltung und Gottesdienst war im allgemeinen Bewusstsein Israels durchaus klar. (…) Da die alttestamentlichen Priester sich nur an bestimmten Zeiten dem Kult zu widmen hatten, waren Ehe und Priestertum miteinander durchaus vereinbar.
Für die Priester der Kirche Jesu Christi war die Situation durch die regelmäßige oder in vielen Teilen tägliche Eucharistiefeier grundsätzlich verändert. Ihr ganzes Leben steht in der Berührung mit dem göttlichen Geheimnis und verlangt so eine Ausschließlichkeit für Gott, die eine andere, das ganze Leben umgreifende Bindung wie die Ehe neben sich ausschließt. Aus der täglichen Eucharistiefeier und aus dem umfassenden Dienst für Gott, der darin mitgegeben ist, ergab sich die Unmöglichkeit einer ehelichen Bindung von selbst.
Man könnte sagen, die funktionale Enthaltsamkeit war von selbst zu einer ontologischen geworden. Damit war von innen her ihre Begründung und Sinngebung verändert. Heute drängt sich dagegen sofort der Einwand auf, dass es sich dabei um eine negative Einschätzung des Leibes und der Sexualität handle. Der Vorwurf, der priesterlichen Ehelosigkeit liege ein manichäisches Weltbild zugrunde, wurde schon im 4. Jahrhundert erhoben, aber von den Vätern mit Entschiedenheit zurückgewiesen und ist dann auch für einige Zeit verstummt.
Eine solche Diagnose ist schon deshalb falsch, weil in der Kirche die Ehe von Anfang an als eine von Gott im Paradies geschenkte Gabe betrachtet wurde. Aber sie nahm den Menschen als Ganzen in Anspruch und der Dienst für den Herrn beanspruchte ebenfalls den Menschen ganz, sodass beide Berufungen zugleich nicht realisierbar erschienen. So war die Fähigkeit, auf die Ehe zu verzichten, um ganz für den Herrn da zu sein, zu einem Kriterium für den priesterlichen Dienst geworden.
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Wenn jeder Israelit so über Grundbesitz verfügte, der ihm das Nötige zum Leben gewährleistete, so ist es das Besondere des Stammes Levi, dass er als einziger Stamm kein Land erbte. Der Levit bleibt landlos und so ohne unmittelbar irdische Existenzgrundlage. Er lebt von Gott und für Gott allein. Konkret bedeutet dies, dass er in einer genau geregelten Weise von den Opfergaben leben darf, die von Israel Gott zugedacht sind.
Diese alttestamentliche Figur ist bei den Priestern der Kirche in einer neuen und tieferen Weise verwirklicht: Sie sollen allein von Gott und für ihn leben. Was das konkret heißt, ist vor allem beim heiligen Paulus genau zu lesen. Er lebt von dem, was ihm die Menschen fortan geben, weil er ihnen das Wort Gottes schenkt, das unser wahres Brot, unser wirkliches Leben ist. Konkret scheint in dieser neutestamentlichen Umwandlung der levitischen Landlosigkeit der Verzicht auf Ehe und Familie durch, der aus der radikalen Zugehörigkeit für Gott folgt. In diesem Sinn hat die Kirche das Wort Klerus (Erbengemeinschaft) gedeutet. In den Klerus eintreten heißt: auf ein eigenes Lebenszentrum zu verzichten und Gott allein als Träger und Garant seines Lebens anzunehmen.
Es bleibt mir immer lebhaft im Gedächtnis stehen, wie ich im Betrachten dieses Psalmverses am Vorabend meiner Tonsur begriffen habe, was in diesem Augenblick der Herr von mir wollte: Er wollte selbst ganz über mein Leben verfügen und zugleich sich mir damit ganz anvertrauen.
Papst em. Benedikt XVI.
Auszüge aus: Aus der Tiefe des Herzens – Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche. (Siehe nebenan)
Kardinal Sarahs Appell an die Priester: „Ihr seid das Bollwerk der Wahrheit!
Liebe Brüder im Priesteramt, erlaubt mir, Euch direkt anzusprechen. Immer neue sexuelle Skandale werden bekannt. Sie werden von den sozialen Netzwerken sehr verstärkt. Sie erfüllen uns mit Scham, weil sie unser Versprechen des Zölibats in der Nachfolge Christi direkt infrage stellen.
Wie soll man ertragen, dass manche unserer Brüder die heilige Unschuld der Kinder profanieren konnten? Wie sollen wir auf eine missionarische Fruchtbarkeit hoffen können, wenn solche Gräueltaten im Verborgenen geschehen? Es steigert unser Leid und unsere Einsamkeit. Manche unter Euch werden von der Arbeit erdrückt. Andere zelebrieren in leeren Kirchen. Alle möchte ich daran erinnern:
Die Erfahrung des Kreuzes offenbart die Wahrheit Eures Lebens. Indem Ihr die Wahrheit Gottes verkündet, steigt Ihr ans Kreuz.
Ohne Euch wäre die Menschheit nicht so groß und nicht so schön. Ihr seid das Bollwerk der Wahrheit, weil Ihr angenommen habt, Ihn bis zum Kreuz zu lieben. Ihr seid nicht die Verteidiger einer abstrakten Wahrheit oder einer Partei. Ihr habt beschlossen, aus Liebe zu Jesus Christus zu leiden. Ihr alle, versteckte und vergessene Priester, die die Gesellschaft manchmal verachtet,
Ihr, die den Versprechen Eurer Weihe treu seid, Ihr erschüttert die Mächtigen dieser Welt. Ihr erinnert sie daran, dass nichts der Kraft Eurer Selbsthingabe für die Wahrheit widersteht. Eure Anwesenheit ist dem Fürsten der Lüge unerträglich.
Der Zölibat offenbart die ureigene Essenz des christlichen Priestertums. Darüber als eine zweitrangige Wirklichkeit zu sprechen, verletzt die Priester der ganzen Welt.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Relativierung des priesterlichen Zölibats das Priestertum auf eine bloße Funktion reduziert. Das Priestertum ist aber keine Funktion, sondern ein Lebensstand.
Liebe Brüder im Priesteramt, liebe Seminaristen, die Ihr Euch auf das Priestertum vorbereitet: Ich weiß, dass viele unter Euch entsetzlich darunter leiden, zu sehen, wie der Zölibat kritisiert und verachtet wird. Ich weiß, wie sehr Ihr Euch einsam und von jenen verlassen fühlt, von denen ihr Euch Unterstützung erwartet.
Lasst Euch von den kleinen, leeren und kläglichen theologischen Meinungen der heutigen Zeit nicht beirren. Wenn es vorkommt, dass Ihr an Eurer Berufung zweifelt oder versucht seid, vor dem Anspruch des Zölibats zurückzuschrecken, meditiert die leuchtenden und kraftvollen Worte von Benedikt XVI.: „Jesus hält uns. Richten wir immer wieder unseren Blick auf Ihn und strecken wir die Hände nach Ihm aus. Lasst uns Seine Hand ergreifen, dann werden wir nicht untergehen ( ... ). “
Kardinal Robert Sarah
Auszug aus: Aus der Tiefe des Herzens – Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche. (Siehe oben)