P. Helmut Leonhard, ein Leben lang als missionarischer Seelsorger tätig, ist 83 Jahre alt und hat eine schwere Zeit hinter sich: eine nicht enden wollende Serie massiver Eingriffen im Gefolge einer Hüftoperation. Am Fest Maria Königinim Vorjahr hat er eine Dankmesse dafür gefeiert, dass „mich die Mutter Gottes zum priesterlichen Dienst in der Gemeinschaft der Claretiner geführt hat.“ Im Folgenden blickt er auf Wunder, die Gott in seinem Leben gewirkt hat, zurück. Ein Auszug aus zwei Rundbriefen an seine Freunde:
Im Ruhestand gehen die Gedanken oft zurück in die Vergangenheit. Manches sieht aus heutiger Sicht anders aus, als ich es damals erlebt habe. Bei manchem sehe ich auch mein Fehlverhalten im Rückblick deutlicher als damals, so dass ich dann gleich nachträglich Gott um Verzeihung bitte. Oft zeigt mir auch Gott, dass manche Fehlhaltungen oder Sünden in gemäßigter Form noch immer vorhanden sind. Wir sind und bleiben eben Sünder. Wichtig ist nur, dass wir uns weiter bemühen, unsere Fehler zu überwinden, und dass wir auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen.
Wie also hat mir Maria geholfen auf dem Weg vom Atomphysiker zu den Claretinern?
Angefangen hat es auf einer Studentenwallfahrt nach Mariazell, an der ich als berufstätiger „Altakademiker“ teilgenommen habe. Wir waren in Gruppen eingeteilt, und jede Gruppe hatte einen Priester als geistlichen Begleiter. Bei jeder Station gab dieser Priester einen Impuls, über den wir während des nächsten Wegstücks nachdenken oder mit einem der Pilger sprechen sollten.
Unser Priester hat so über den Glauben gesprochen, wie ich noch nie einen Priester predigen gehört hatte. Es war ein Claretiner aus Mexiko, Pater Moreno, der in Wien beim Cursillo mitarbeitete, einer neuen Art von Glaubenskurs, den Pater Josef, ein spanischer Claretiner aus Spanien nach Wien gebracht hatte.
Danach blieb ich in Kontakt mit P. Moreno. Er hat mich auch mehrmals in meiner Familie besucht und immer wieder zum Cursillo eingeladen. Schließlich habe ich an einem Cursillo teilgenommen. An diesem verlängerten Wochenende hat Gott mir eine persönliche Begegnung mit Jesus geschenkt, durch die mein ganzes Leben verändert wurde.
Jesus hatte sich mir als Freund gezeigt, der mich mehr liebt, als je ein menschlicher Freund mich lieben kann. Dass ich so einen Freund gefunden hatte, der von da an immer bei mir sein würde, egal wohin ich gehe und was ich tue, das hat mich so glücklich gemacht, dass ich sofort anfing, meinen Freunden und den Mitarbeitern im Atomreaktor von Jesus zu erzählen. Ich wollte, dass alle diesen Freund kennenlernen, damit sie genauso glücklich werden wie ich. Und so kam mir bald der Gedanke, ob ich nicht den Beruf wechseln und Priester werden sollte, denn die Menschen mit Jesus bekannt zu machen, war mir jetzt viel wichtiger, als die Reaktorstrahlen zu messen. Mein Problem war nur, dass ich als Priester ja vor allem mit Menschen zu tun haben würde, die schon an Jesus glauben, während ich als Laie am Arbeitsplatz und bei anderen Gelegenheiten viel mehr mit Menschen zu tun hatte, die Jesus noch nicht kennen. Viele Monate habe ich um die richtige Antwort gerungen.
Da P. Josef, mein geistlicher Begleiter, davon wusste, hat er mir eines Tages geraten, mein Leben der Muttergottes zu weihen und nicht mehr darüber nachzudenken, sondern ihr die Entscheidung zu überlassen. Nach einem Monat Vorbereitung habe ich diese Marienweihe abgelegt und das erste Wunder folgte sofort: die Gedanken um die richtige Entscheidung waren aus meinem Denken völlig verschwunden.
Das nächste Wunder geschah etwa ein Monat danach: Mir war plötzlich ganz klar, dass ich Claretiner werden sollte. Diese Klarheit war ein reines Geschenk des Himmels. Danach habe ich im Reaktor gekündigt, habe meine Wohnung meiner Schwester geschenkt und bin ins Kloster umgezogen. Bald fing das Theologiestudium an. Ein Jahr später habe ich das Studium unterbrochen und bin ins Noviziat am Dreifaltigkeitsberg gegangen. Und wieder ein Jahr später habe ich dort meine Ordensgelübde abgelegt.
Wenn ich heute auf diese wunderbare Führung zurückdenke, bin ich voll Dankbarkeit, denn ein so erfülltes Leben hätte ich als Physiker nicht erlebt. Kern dieses erfüllten Lebens ist die Freundschaft mit Jesus. Was diese Freundschaft für ein unschätzbares Geschenk ist, habe ich oft in meinem Leben erfahren, besonders deutlich in dem Jahr der zehn Hüftoperationen, das mit dem Wunder der Heilung am 29.März 2018 beendet wurde. Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnte ich mit meinem Freund über alles reden, was mich gerade bewegt hat. Immer war er bei mir, nie hat er mich allein gelassen.
Nur einmal nach der zehnten Operation hatte ich drei Tage lang ein richtiges Tief. Es ging mir so schlecht, dass am dritten Tag plötzlich der Gedanke auftauchte: „Ich will nicht mehr weiterleben.“ Dieser Gedanke hat mich aufgeschreckt, und ich dachte „Helmut, das ist doch überhaupt nicht deine Art zu denken, dieser Gedanke kommt vom Bösen.“ Sofort habe ich Jesus gebeten, den Bösen zu vertreiben, und sofort war die ganze Depression verschwunden.
Kurz danach hat Jesus mir sehr klar gesagt „Hast du gesehen, wie schlecht es dir ging, nur weil ich mich drei Tage lang von dir zurückgezogen habe? Wenn es dir in diesem Jahr trotz der vielen Operationen so gut ging, dann nicht deswegen, weil du so ein toller Kerl bist, sondern weil ich die ganze Zeit bei dir war.“
Wenn ich bedenke, dass ich bald 83 werde und zehn Operationen an der rechten Hüfte hinter mir habe, kann ich nur sagen, mir geht es erstaunlich gut. Seit mehreren Monaten gehe ich ohne Gehstützen. Es geht zwar langsam und mühsam und ein wenig humpelnd, aber es geht!
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Jetzt will ich von einem zweiten großen Wunder und seinen Konsequenzen erzählen:
Etwa fünf Jahre nach der Priesterweihe lebte ich mit zwei Mitbrüdern in zwei Wohnungen in einem neu gebauten Wohnviertel für etwa 10.000 Menschen. Wir sollten dort eine neue Pfarrgemeinde aufbauen, aber es gab dort keine Kirche und nicht einmal einen großen Versammlungsraum. Die nächste Kirche war zu Fuß etwa 15 Minuten entfernt. Am Sonntag kamen von unserer Siedlung etwa 20 Personen in diese Kirche und mit ihnen begannen wir den Aufbau einer neuen Gemeinde. Es war eine Pionierarbeit und im Blick auf die vielen, die scheinbar kein Interesse an Gott und Kirche hatten, sehr frustrierend.
Damals habe ich in den Ferien zwei oder drei Wochen in einer Pfingstgemeinde in Südengland verbracht. In einem ihrer Gottesdienste stand ein Mann auf und sagte: „Der Heilige Geist zeigt mir immer wieder, dass es in dieser Versammlung sieben Personen gibt, die sich in einer Wüste befinden; Trockenheit im Gebet und keine Früchte in ihrer pastoralen Arbeit. Gott will das Wasser des Heiligen Geistes über diese Wüste ausgießen. Die das betrifft sollen aufstehen, und die ganze Gemeinde wird für sie um den Heiligen Geist beten.“
Das passte genau auf mich, und so bin auch ich aufgestanden, und die Gemeinde begann mit aller Kraft in Sprachen zu beten. Es dauerte keine Minute und mir liefen die Tränen über die Wangen, weil ich die Liebe meines göttlichen Vaters so stark erlebte.
Dazu muss ich sagen, dass ich vorher überhaupt nicht wusste, wie es sich anfühlt von einem Vater geliebt zu werden und ihn zurückzulieben, da ich kriegsbedingt ohne Vater aufgewachsen bin und als mein Vater zurückkam, war ich 13 Jahre alt, und er war für mich einfach ein fremder Mann. Vaterliebe erlebte ich also bewusst zum ersten Mal in dieser Pfingstgemeinde. Nach dem Gottesdienst bin ich schnell in mein Zimmer im Gasthaus gegangen und habe den ganzen Tag lang nur in Sprachen gebetet und die Liebe des Vaters genossen.
Zurück in Wien bin ich jeden Morgen in die Donauauen gefahren, um dort mit meinem himmlischen Vater spazieren zu gehen. Nach einigen Wochen hatte ich bei einem dieser Spaziergänge plötzlich den Eindruck, dass mein Vater sich entfernt. Ich rief noch „Warum gehst Du weg? Was habe ich denn falsch gemacht?“ Keine Antwort. Und so blieb es. Zuerst dachte ich: Wenn Er wegen meiner Sünden weggegangen wäre, hätte Er mir sicher auf meine Frage geantwortet. Da Er mir nicht geantwortet hat, kann es nur bedeuten, dass jetzt die Wüste oder dunkle Nacht beginnt, von der Johannes vom Kreuz in seinen Schriften spricht. Trotzdem konnte ich es nicht akzeptieren und lehnte ich mich dagegen auf.
Einige Jahre später beichtete ich bei Exerzitien, dass sich bei meinem Beten alles nur um mich dreht und nicht um Gott, und ich wollte loskommen von dieser Zentrierung auf das Ich. Als ich danach über die Felder ging, hörte ich wie ein leises Säuseln des Windes die Frage „Willst du wirklich loskommen von deinem Egoismus?“ Ich antwortete laut, dass ich das wirklich will. Darauf wieder diese ganz leise Stimme: „Gut, dann ziehe ich mich noch mehr von dir zurück.“
Ich verstand das überhaupt nicht, denn wenn ich von Gott noch weniger erfahre, dann werden doch meine Gedanken beim Gebet noch mehr als bisher um mich selbst kreisen. Und genauso war es dann auch. Ich habe mich viele Jahre lang aufgelehnt dagegen. Aber Gott blieb bei Seiner Entscheidung.
Heute kann ich sagen „Gott sei Dank“, denn dadurch kam ich langsam, aber sicher immer mehr los von mir selbst, von meinem Egoismus. Erst dadurch lernte ich, immer mehr aus dem Glauben zu leben und nicht aus dem, was ich gerade erfahre oder fühle. Die innere Reinigung geht zwar immer noch weiter, aber es ist alles viel einfacher geworden.
Wenn Gott mir jetzt auf verschiedenste Weise immer wieder mal zeigt, dass Er mich liebt, freue ich mich und bin dankbar, aber ich kann auch ohne diese Liebeserweise gut leben, weil ich im Glauben weiß, dass Er mich unendlich liebt – und was will ich mehr?
Ich denke, dass diese Loslösung vom Egoismus in seinen verschiedenen Formen das größte und wichtigste Wunder ist, das Gott in uns vollbringt. Allerdings fühlt sich dieser Loslösungsprozess gar nicht schön an, sondern ist meist sehr unangenehm. Aber nur so werden wir frei für die echte Liebe. Dieser Prozess der Loslösung vom Egoismus sieht bei jedem anders aus. Je mehr wir uns auf diesen schmerzlichen Prozess einlassen, umso schneller gelingt diese Loslösung und umso leichter wird es für uns.