1999 - das Jahr des Alters: Universitätsinstitute haben geforscht, die Medien dem Thema mehr als sonst Raum gegeben und der Familienminister hat Enquêten zum Thema veranstaltet. In Österreich wurde ein Bericht an die Bundesregierung verfaßt. Werden diese Bemühungen die Alten im allgemeinen und im eigenen Bewußtsein aufwerten?
Kaum habe ich das Worte "Alte" geschrieben, ist mir auch schon bewußt, daß ich einen schweren Verstoß in Sachen Ausdrucksweise begangen habe. "Alte" - das Wort ist verpönt. Heute sprechen wir von Senioren, von den (etwas) Älteren. Denn alt zu sein, erscheint in unserer Gesellschaft als Makel. Das heutige Ideal ist die Jugend.
Schauen Sie sich um: Glorifiziert wird der junge, im Vollbesitz seiner Kräfte stehende, gut gebaute, schöne, aufstrebende Mensch. Ein Blick auf die Plakate und in die Fernsehwerbung genügt: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene prägen das Geschehen. Strahlende Freude in der überbordenden Konsumwelt.
Daher setzen so viele alte Menschen alles daran, so lange wie möglich jugendlich zu wirken (in Kleidung, Haarfärbung, Körper- und Gesichtsstraffung...) und machen den Konsum zu ihrem Lebensinhalt, wie der bekannte österreichische Altersforscher Leopold Rosenmayr feststellt: "So wie die Strände und die Seilbahnen in den Sommersaisonen überfüllt sind, so gibt es auch das konsumüberfüllte Alter... Dazu kommt auch die Passivierung des sitzenden Nicht-los-Kommens vom Fernsehen plus Kalorienzufuhr in Form von Alkohol und Naschereien."
Bedingt durch ein in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessertes Pensionssystem verfügen die alten Menschen heute tatsächlich über ein relativ hohes Einkommen. Genau diese Errungenschaft wird infrage gestellt. Die Zukunft der Pensionen ist heiß umstritten und die Frage steht im Raum: Können wir uns die vielen Alten überhaupt noch leisten?
Die Demographen sagen uns nämlich voraus, daß Europa vor einer dramatischen Überalterung der Bevölkerung steht. Tatsächlich ist die Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren enorm gestiegen. Wurden unsere Vorfahren um 1850 im Schnitt nur 38 Jahre alt, so liegt das Durchschnittsalter für Männer heute bei 74 und für Frauen sogar bei 80 Jahren! Eine Verdoppelung der Lebensdauer also.
Tendenz weiter steigend: Derzeit ist jeder fünfte Österreicher älter als 60. In 30 Jahren wird es jeder dritte sein. Und über 75 werden dann beachtliche 15 Prozent der Bevölkerung sein. Bedingt durch die sinkenden Geburtenzahlen ergibt das im Jahr 2030 voraussichtlich mehr als doppelt so viele über 60jährige wie unter 20jährige.
Die Demographen sehen schwarz, zum Beispiel Rainer Münz: "Auf jeden Fall werden im 21. Jahrhundert die Gegensätze zwischen den Generationen wachsen. ... Manche prophezeien unserer Gesellschaft eine Art ,Krieg' zwischen Alt und Jung. ... Es drohen Verteilungskämpfe zwischen der Pensionsversicherung, der Arbeitslosenversicherung, dem Fiskus und der Masse der Steuer- und Beitragszahler."
Besondere Sorge bereitet die Betreuung der Hochbetagten, deren Zahl auch stark steigen wird, liegt doch beispielsweise der Anteil der Pflegebedürftigen bei den über 90jährigen bei 30 Prozent.
Derzeit wird diese Pflege noch überwiegend von Angehörigen übernommen. Aber wie wird das morgen, wenn alle berufstätig und viele Familien zerbrochen sind? So die bange Frage. Und: Woher das Geld nehmen für die Pflege und die hohen Kosten der Krankenversorgung der Hochbetagten?
Um diese Fragen kreisen die Debatten in den Medien. Und eigentlich hat niemand eine Antwort parat, was auch verständlich ist. Denn hinter all diesen Problemen steht ein tiefes Dilemma, über das niemand gerne spricht: Auf der einen Seite wird alles unternommen, um das Leben der Menschen zu verlängern, um ihre "Lebensqualität" (meist gleichbedeutend mit Wohlbefinden und Konsumfähigkeit) möglichst lang zu erhalten. Und ist dieser Zustand erreicht, ist der Mensch alt geworden, dann ist die Verlegenheit groß, wenn die Beschwernisse des Alters überhand nehmen. Weil unsere Gesellschaft diesem Leben keinen letzten Sinn geben kann, gerät sie in ärgste Verlegenheit, menschliche Existenz zu rechtfertigen, sobald die Kosten-Nutzen-Rechnung ein negatives Ergebnis liefert.
Daher lauert hinter all den sich abzeichnenden Schwierigkeiten das Gespenst der Euthanasie, der Tötung von Menschen, deren Lebensqualität nach den Kriterien der Konsumgesellschaft nicht mehr ausreicht.
An diesem Punkt der Überlegungen wird offenkundig: Das Alter wird nicht dadurch aufgewertet, daß man die Konsum- und Versorgungsrechte der alten Menschen möglichst gut absichert. Vielmehr geht es darum, zu sehen, daß alte Menschen keine eigene Kaste mit einer typischen Bedürfnisstruktur sind, sondern Menschen wie du und ich bleiben. Mit 60 wird man zwar der Altersklasse der über 60jährigen zugeteilt, man überschreitet damit aber keine magische Grenze, die das Leben fundamental ändert. Man bleibt ein Mensch mit Hoffnungen, Ängsten, Interessen, Freuden und mit dem Wunsch, geliebt zu werden und ein nützliches Leben zu führen.
Und vor allem: Man fühlt sich nicht so alt, wie man als 20jähriger gemeint hatte, daß sich "Greise" von 60 und älter zu fühlen hätten. Ich merke das an mir. Als 20jähriger dachte ich, daß man mit 30 schon uralt sei. Und nun bin ich 57 und erfülle das Plansoll meiner damaligen Vorstellungen in keiner Weise.
Diese Diskrepanz, die wohl die meisten Menschen erleben, hat damit zu tun, daß der menschliche Geist nicht demselben Alterungsprozeß unterworfen ist wie der Körper. Der Geist kann trotz des Abbaus der körperlichen Kräfte und Möglichkeiten erstaunlich jung, beweglich, interessiert bleiben. Ja, manche werden mit zunehmendem Alter sogar wacher!
Das Älter-Werden eröffnet nämlich die Chance, geistig zu reifen. Dank der gesammelten Lebenserfahrung lernt der Mensch die Realität, sowie die eigenen Grenzen und die der anderen besser zu erkennen und zu ertragen. Langsam kann es ihm auch gelingen, Wichtiges von Unwichtigem treffender zu unterscheiden, Rückschläge etwas besser zu verkraften, die eigenen Vorstellungen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren (Die folgenden Beiträge gehen auf die großen Chancen des Alters ein).
Aber all das geschieht nicht von selbst, denn es gibt nicht das typische Altern. Jeder erlebt seine ganz persönliche Geschichte. Sie eröffnet ihm die Chance, ein weises Herz zu gewinnen. Ein langes Leben ist dafür eine günstige Voraussetzung, aber keine Garantie. Und so ist geistige Reife weder ein automatisches Attribut noch ein Privileg des Alters. Unsere Zeit, in der Hektik, Informationsflut und äußeres Getriebe den Ton angeben, macht es den Menschen sogar besonders schwer, zu dieser Weisheit des Alters zu gelangen. Vielleicht sind deswegen die weisen Alten gar nicht so dicht gesät.
Ein weises Herz ist nämlich ein Geschenk Gottes. Und weil Gott weiß, wie schwer wir uns tun, uns für Sein Wirken zu öffnen, läßt Er uns in Seiner Güte in dieser Zeit so alt werden und gibt uns immer wieder eine neue Chance.
Christof Gaspari